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Titel1817

Rückschleusungen  (Ralph Hartmann)

Noch ist der schreckliche Krieg in und gegen Syrien nicht beendet. In einigen Gebieten wird weiter gekämpft, gefoltert, gestorben. Doch in vielen Landesteilen beginnt Schritt für Schritt wieder ein halbwegs normales Leben. Der Wiederaufbau kommt in Gang. Wasser- und Stromleitungen, Straßen und Brücken werden repariert, Wohn- und Krankenhäuser, Schulen und Kindergärten werden, wenn teilweise auch notdürftig, instandgesetzt, beschädigte Landwirtschafts- und Industriebetriebe, darunter vor allem auch Ölraffinerien, nehmen die Produktion wieder auf. All das sind erste Schritte auf einem langen beschwerlichen Weg. Nach einer Einschätzung des Internationalen Währungsfonds (IWF) betragen die Kosten für den Wiederaufbau 100 bis 200 Milliarden US-Dollar. Syrien wieder aufzubauen, sei, so der IWF, eine »monumentale Herausforderung«. Die gegenwärtige Führung in Damaskus nimmt sie an.

 

Sichtbarstes Zeichen des Aufbauwillens war in diesem Sommer die 59. Internationale Messe von Damaskus, an der 43 Staaten vertreten waren und in die über zwei Millionen Besucher strömten. Das gequälte Land will endlich Frieden haben. Kriegsflüchtlinge zieht es in ihre alten Wohnorte, allein in diesem Jahr sind über 600.000 von ihnen zurückgekehrt. Nicht wenige der Syrer, die in Deutschland Zuflucht suchten, wollen zurück in ihre Heimat, zu ihren Familien. Doch die bundesdeutschen Syrienfreunde an der Spitze mit der Wir-schaffen-das-Kanzlerin machen es ihnen schwer.

 

Während Assad zur Rückkehr aufruft und betont, dass »die Regierung ihr Möglichstes tun wird, um die Heimkehr von Flüchtlingen zu befördern«, erlauben es die deutschen Behörden nicht. Sie handeln par ordre du mufti. Angela Merkel hat Forderungen nach Rückkehr syrischer Flüchtlinge abgelehnt: »Ich weiß, dass aus den Nachbarländern schon Menschen zurückkehren – sogar nach Aleppo. Aber insgesamt ist die Situation in Syrien noch dramatisch.« (Zeit online 27.8.2017) Ja, so ist sie, die deutsche Kanzlerin: fürsorglich und umsichtig. Zudem ist sie humorvoll, geradezu witzig, denn eine kurzzeitige Rückkehr in die Heimatländer hält sie unter besonderen Umständen für möglich – jedoch nicht, um dort Urlaub zu machen. Allerdings könne sie sich »schwierige familiäre Situationen vorstellen, in denen eine Rückkehr für einige Tage verständlich ist«. In den Ohren von heimkehrwilligen Syrern wird das wie ein schlechter Witz klingen. Sie müssen andere Wege gehen. Etliche von ihnen verkaufen ihre deutschen Dokumente an erfahrene Schleuser, um mit deren Hilfe ihre Reise nach Syrien vorbereiten und bezahlen zu können. Sie lassen sich notgedrungen zurückschleusen. Die sogenannten Rückschleusungen sind ein prima doppeltes Geschäft, denn die kriminellen Schleuser verkaufen die erhaltenen Ausweisdokumente zu horrenden Preisen und organisieren die Reise neuer Flüchtlinge in die EU.

 

Für heimkehrwillige Syrer entsteht so eine kuriose Situation, die einer von ihnen, der seinen Namen nicht preisgeben wollte, so schildert: »Es fühlt sich echt bescheuert an, der Trip nach Deutschland war teuer und gefährlich, und jetzt mache ich mich auf den Rückweg. Muss mich wieder schmuggeln lassen.« Ein anderer tief enttäuschter syrischer Rückkehrwilliger meinte: »Ich bin aus Aleppo geflohen, um dem schnellen Tod zu entkommen. Aber hier sterbe ich gerade ganz langsam.« Ihm bleibe nichts anderes übrig, als das Risiko der untersagten Rückreise einzugehen. Seine Tasche habe er schon gepackt.

 

Andere beklagen, dass sie ihre Familie noch immer nicht nachholen können. Einer von ihnen gesteht enttäuscht: »Nach Deutschland zu kommen, war der größte Fehler meines Lebens.« Nun will er so schnell wie möglich zurück nach Aleppo, wo seine Frau und seine vier Söhne leben.

 

Vor dem Krieg zu fliehen und nach Deutschland zu kommen, war für die meisten Syrer eine Reise voller Qualen und Entbehrungen. Dass es allerdings so schwer sein würde, Deutschland wieder zu verlassen, daran haben sie nicht im Traum gedacht.

 

Wesentlich anders als in Syrien ist die Sicherheitslage in Afghanistan. Selbstverständlich gibt es auch im Land am Hindukusch, wo die deutsche Sicherheit verteidigt wird und wohin die USA noch mehr GI‘s schicken, weiterhin kriegerische Auseinandersetzungen und immer wieder schwerste Anschläge – gut erinnerlich ist die Attacke Ende Mai in unmittelbarer Nähe der bundesdeutschen Botschaft mit vielen Toten und schweren Zerstörungen. Aber das Auswärtige Amt hat nun eine neue Lagebewertung vorgelegt. Sie hat unseren Innenminister Thomas Maizière so erfreut, dass er umgehend erklärte, dass die Bundesregierung an ihrem Kurs zu Abschiebungen in das Land festhalte: »Wir wissen, dass die Lage in Afghanistan kompliziert ist.« In begrenztem Rahmen seien Abschiebungen dorthin aber verantwortbar. Wie Recht hat er doch, schließlich ist nur in 27 der 34 Provinzen mit Angriffen der radikalislamischen Taliban zu rechnen.

 

Angesichts dieser so unterschiedlichen Lage ist es nur allzu verständlich, dass den Syrern die freiwillige Rückkehr in ihr Land untersagt wird, Afghanen aber weiterhin zwangsabgeschoben werden. Bleibt nur die Frage zu beantworten, weshalb. Offensichtlich sind es vor allem zwei nachvollziehbare Gründe:

Erstens, eine Heimkehr, eventuell sogar eine massenhafte, von syrischen Flüchtlingen würde zweifellos von Assad propagandistisch als Erfolg seines politischen Kurses dargestellt werden. Darüber hinaus wäre es auch ökonomisch von nicht zu unterschätzendem Nutzen, denn für den begonnenen Wiederaufbau wird jede Hand gebraucht. Aber können die Bundesbürger daran interessiert sein, dass das Assad-Regime gestärkt wird? Allgemein ist doch bekannt, dass der syrische Präsident eine »Schreckensgestalt«, der »Giftgas-Assad«, ein »Tyrann« mit »blutiger Familientradition« (Bild 8.4.2017) und ein »Kriegsverbrecher« ist, der »seine Zukunft bereits hinter sich hat« (Außenminister Gabriel dpa 28.6.2017). Diesen Unhold direkt oder indirekt zu unterstützen wäre letztlich ein unverzeihlicher Fehler. Davon sind wir zum Glück weit entfernt, was sich auch darin zeigt, dass die gegen Syrien verhängten schmerzhaften, den Wiederaufbau des zerstörten Landes extrem erschwerenden Sanktionen aufrechterhalten werden (siehe Ossietzky 13/2017).

 

Und zweitens stellen gerade die syrischen Flüchtlinge ein Reservoir dar, um den in der Bundesrepublik beklagten Fachkräftemangel, wonach bereits in wenigen Jahren bis zu drei Millionen Facharbeiter fehlen könnten, zu lindern. Immerhin zeichnen sich gerade die syrischen Flüchtlinge durch ein relativ hohes Bildungsniveau aus. Forscher des Instituts der deutschen Wirtschaft haben in einer Studie festgestellt, dass vor Kriegsbeginn die Analphabetenrate in der Gruppe der damals 15- bis 25-Jährigen bei lediglich 3,5 Prozent lag. (In der Bundesrepublik sind rund 7,5 Millionen Deutsche funktionale Analphabeten). Und wie steht es um die Berufsausbildung nach der neunjährigen verpflichtenden Schulzeit? Etwa 70 Prozent der syrischen Schüler besuchten 2011 im Anschluss daran eine sogenannte Sekundarschule. Dabei konnten sie zwischen einem allgemeinbildenden und einem berufsbildenden Zweig wählen, so dass die Autoren der Studie mit Genugtuung feststellen konnten: »In Syrien gibt es also durchaus Ausbildungen auf Facharbeiterniveau. Demnach bringen viele syrische Flüchtlinge bereits Berufsqualifikationen mit, an die in Deutschland angeknüpft werden kann.« So gesehen, ist ein beträchtlicher Teil der Migranten aus diesem arabischen Land geradezu ein Segen für das deutsche Kapital und die Rückkehrverweigerung alles andere als ein Zufall. Sie zeugt von der Weitsicht der in Berlin Regierenden. Aus lauter selbstlosem Humanismus handeln sie nach dem eingebürgerten Trump-Motto: »Germany first.«