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Titel1817

LICHTblicke unter der Altstadt von Gera  (Peter Arlt)

Auf die unterirdischen Weiden der Höhler führten 25 Künstler aus Australien, Belgien, Finnland, Spanien und vor allem Deutschland ihren Pegasus. Hier besitzt das Wunderpferd der Künstler einen Aufenthaltsort in der Höhler-Welt, wo vom 16. bis 19. Jahrhundert das Biergebräu lagerte und für die Kunst manches Zauberkraut sprießt: in den Naturfelsen und unverputzten flachen Gewölben, in den unregelmäßigen Stollengängen mit Stufen und Nischen. Vom besonderen Ort und über vielfältige künstlerische Medien führen sich die Künstler zur eigenen unterirdischen und begehbaren Installationskunst.

 

Mit gesteigertem Engagement und mühevollem Sparkurs brachten Gitta Heil, Sven Schmidt, Winfried Wunderlich und ehrenamtliche Begeisterte des Vereins zur Erhaltung der Geraer Höhler die Biennale nunmehr zum achten Mal hervor (vgl. Ossietzky 15/2015). Obwohl die Zahl der »bespielten« Höhler inzwischen auf drei für 24 Installationen beschränkt wurde, fehlte lange Geld zur Realisierung. Den Weg zur sponsernden Stiftung »Lebendige Stadt« wies der Schirmherr Wolfgang Tiefensee.

 

Das labyrinthisch erscheinende Raumgefüge, das bis zu elf Meter hinabführt, zeigt sich im Grundriss eines Kartenplanes in geheimnisvollen Schriftzeichen (Bettina Schünemann). Die nur während der Biennale erlebbaren Kunstwerke bestehen aus Steinen, Wurzelwerk, Kunststoff, aufgeblähten Ballons, Licht und kinetischen Objekten, Filmnegativen und Videokunst und fordern heraus, Intentionen zu ergründen. Dazu geben die beigefügten Schilder wie auch der Katalog (62 Seiten, 5 €) Hinweise, die poetisch, mit heiterer Ironie und manchmal Agitation geistig anstoßen. Der innovative Materialeinsatz – Licht, Klang, Zeit und Bewegung – führt mehrfach zu gestalthaften Zeichenfindungen, die aktuelle Zeiterfahrungen vermitteln.

 

Die Künstler werfen in die »SCHATTENwelt LICHTblicke«, wieder ein dichotomischer Biennale-Titel. Dass in diesen Kellern frisch gebrautes Bier gelagert wurde,, darauf geht Daniel Theiler zurück und beamt die ständig schäumende Flüssigkeit als gefilmtes Bild an die Decke. Im Katalog deutet Michael Hametner: Sind die Bierbläschen auch Menschen, die umherwuseln, oder das Innere eines Ameisenhügels oder anderes? Ein deutungsoffenes Werk: Mir erschien es wie eine Masse von miniaturhaften Totenschädeln.

 

Das Dunkle imaginiert. Der Raum der Höhler wird als Unterwelt, Nacht oder Meer gedeutet, als Bereich des Todes, des Schutzes oder Verstecks. Durch das Totenreich der finnischen Mythologie führt uns Hanna Järvenpää an weißen und schwarzen Skeletten vorbei, deren farbiges Funkeln auf denkwürdiges Leben aufmerksam macht.

 

Manche Installationen wecken ein Gefühl, eingesperrt zu sein, und erinnern an Platons Höhlengleichnis. Dort sind Menschen in einer Höhle gefangen und sehen von den Gestalten außerhalb der Höhle nur deren Schatten. Diese verstehen sie als reale Welt. Doch Platon meint, die Dinge der sichtbaren Welt seien nur ein trügerischer Schein. Folglich ahmt der Künstler nicht das Original, sondern einen Schatten nach, der selbst eine Nachahmung sei. Im sensualistischen Erkenntnisgegensatz dazu verstehen wohl alle Künstler ihre Werke nicht als »Schatten des Schattens«.

 

Die schattenspielerische Lust des Betrachters weckt Anne Sevenichs Installation: In einer Höhlung ziehen mit dem Licht von Taschenlampen die Schatten aneinander vorüber oder kämpfen miteinander.

 

Wurzelzwischenstücke macht Jenny Winter-Stojanovic frei und sichtbar. Mit dem Wurzelgeflecht assoziiert sie Synapsen, die Nervenzellen verbinden, das Unbewusste, die Träume. Manche folgen C. G. Jung und verstehen im Schatten das Gegenbild zu sich selbst oder meinen wie Sue Hayward, dass der Schatten »sowohl eine individuelle als auch eine kollektive Bedeutung hat«. Die Höhler sind oft Symbole für die Tiefe des Unbewussten, un- und unterbewusste Schichten durchdringen sich mit bewusster Reflexion, woraus jeder neue Gedanke, jede neue Vision steigt.

 

Wie beim Schriftsteller Joseph Conrad erscheinen Schattenlinien, die man überschreiten muss, um zu Neuem zu kommen. Von der Gefahr für Flüchtende berichtet die von Myriam Gross Mall auf eine hintereinander gesetzte Scheibenfolge gezeichnete Familie, die durch den Gang zu unsicherem Ziel stößt.

 

Einmal imaginieren die Höhler das Wasser, führen den bedenklichen Zustand der Meere, wie die Plastepest, vor Augen: drei schwebende weiße Hammerhaie von Joost Meyer, aus denen – wie er schreibt – »noch Fetzen von Kunststofffolie heraushängen«.

 

Berührungspunkte von Kunst und Wissenschaft führen bei Heinz Bert Dreckmann zu einer gestalterisch schönen und geistig vertieften Installation, die zeigt, wie sich Wissenschaft und Kunst verwandt verhalten. Er beobachtete, wie in einem Raumgitter, das er mit Stäben in siebenfachen Ebenen nach oben und in die Tiefe baute, die perfekte Symmetrie des Raumgitters unter farbiger Beleuchtung im Inneren einen kugelförmigen Schatten entstehen lässt. Die physikalische Tatsache deutete der Künstler philosophisch, indem er im Katalog darauf hinwies, dass »der Schatten in einem Käfig gefangen zu sein scheint« und fand einen neuen Sinn zum sonst verlorenen oder verkauften Schatten.

 

 

Bis 15. Oktober, Gera, Höhler A Markt 3, Höhler B Markt 8/9 und C Markt 14, mittwochs bis sonntags 11 bis 18 Uhr.

 

Soeben erschien von Peter Arlt das Buch »Traumläufe im Irrgang. Ein Lebensroman in Träumen«, EDITION digital, ISBN 978-3-95655-830-6, 183 Seiten, 9,90 €, Bezug: verlag@edition-digital.de