Siedlung Wandlitz – die Sensationslust ist abgeflaut. Vor vier Jahren, im Juni 2013, eröffnete das örtliche Kulturamt in der Bernauer Goethestraße 3 eine Galerie mit dem Namen »Kunstraum Innenstadt – Skulpturensammlung der Waldsiedlung Bernau«. Der relativ kleine, helle, übersichtlich gestaltete Raum zeigt eine ständige Ausstellung von Werken bekannter Bildhauer, die zur Generation der Wegbereiter der Plastik in der DDR gehören. In regelmäßiger Folge gibt es dort Veranstaltungen, Vorträge und Künstlergespräche. Erst am 15. Juni 2017 sprach dort die Leiterin des Museums in der Spandauer Zitadelle über Leben und Werk der Bildhauerin Jenny Wiegmann-Mucchi, deren Bronzeplastik »Sitzende« lange Jahre in der Waldsiedlung gestanden hatte. Zuvor gab es eine Lesung aus Erinnerungen an Ruthild Hahne, Gerhard Rommel und Ingeborg Hunzinger. Raimund Hoffmann und Joachim Pohl sprachen über Aspekte des Schaffens von Waldemar Grzimek, von dem mehrere Bildwerke zum Ensemble der Waldsiedlung gehörten. Es gibt eine Informationstafel zur Geschichte der Waldsiedlung, eine Übersichtskarte mit den ehemaligen Standorten der Werke und ergänzende Literatur mit Künstlerbiografien und historischen Hintergründen. Die Forschungen über diese ehemals abgeschottete Wohnsiedlung der führenden Partei- und Staatsfunktionäre sind noch nicht abgeschlossen. Zu denen, die sich intensiv damit beschäftigen, gehört Paul Bergner, der bereits mehrere Sachbücher veröffentlichte, aber noch immer Neues herausfindet. Mit ihm konnte ich die Waldsiedlung, die erst am 19. Juni 2017 unter Denkmalschutz gestellt wurde, vor wenigen Wochen besichtigen.
Nach der »Wende« pilgerten viele Neugierige in das verlassene Areal, teils mit gemischten Gefühlen, oft sensationslüstern, verurteilend und hämisch. Doch dann setzte meist Enttäuschung darüber ein, nicht die erwarteten Paläste vorzufinden. Was von Kunstwerken auf dem Gelände der jetzigen Brandenburg-Klinik noch zu sehen ist, sind wenige Relikte: Fundamente größerer Bildhauerarbeiten, ein »Keiler« von Waldemar Grzimek im Eingangsbereich, eine Vogeltränke, Wangengitter an Gebäuden, ein in die Wand eingelassenes Tonrelief »Strandleben« von Ingeborg Hunzinger, ein Bleiglasfenster von Walter Womacka, Putzkeramiken von Heidi Manthey, das restaurierte Haupteingangstor von Fritz Kühn und Reste von Arbeiten Hedwig Bollhagens und Charles Crodels an einem mit Erde gefüllten Wasserbecken.
Bitter bleiben die Erinnerungen an den vandalistischen Umgang mit den Plastiken nach der »friedlichen Revolution«. Sechs Skulpturen sind bis heute verschwunden, darunter der »Ruhende Tänzer« und eine »Kellnerin« von Waldemar Grzimek sowie Walter Arnolds »Stehende«. Andere wurden in Privatgärten, im Kunsthandel, auf Mülldeponien entdeckt. In den verlassenen Häusern waren noch Gemälde, Kleinplastiken und andere gestaltete Gegenstände zu finden, meist Geschenke oder von den Bewohnern selbst erworben. Sie wurden gestohlen, auf einem Brandplatz vernichtet oder zum Schrottplatz gefahren. Bei der »Bergung« der »Schwimmerin« von Waldemar Grzimek blieb ein abgesägter Fuß auf der Plinthe.
Etliche der Plastiken sind den Besuchern der großen Dresdener Kunstausstellungen bekannt. Einige gibt es in mehreren Güssen oder Steinfassungen, zum Beispiel Gerhard Rommels »Stele der Völkerfreundschaft«, die sowohl in Nagasaki als auch in Magdeburg steht, der »Rote Matrose« von Hans Kies, den man im Berliner Friedrichshain wiederfindet, oder Waldemar Grzimeks »Hockendes Wildschwein«, das bis heute den Eingang des Dresdener Zoos ziert.
Es ist ein großes Verdienst der Stadt Bernau, die geretteten Plastiken – liebevoll restauriert – in einer seriösen Schau wieder zu präsentieren. Damit bewahrt sie ein wichtiges Stück Kunstgeschichte der DDR, der man heute endlich wieder unvoreingenommener gegenübertritt. Zu sehen sind Fritz Cremers und Ludwig Engelhardts »Schwimmerinnen« (1959/1960), Heinrich Drakes »Jaguar« (1938), Wilfried Fitzenreiters »Knabengruppe« (1959), Gerhard Geyers »Musizierende Mädchen« (1956) und sein »Pelikan« (1960), Waldemar Grzimeks Plastiken »Hockendes Wildschwein« (1958/59), »Hockendes Mädchen« (1959), »Margot« (1957) und seine »Schwimmerin« (1959), Ruthild Hahnes wunderbare Kinderporträtbüsten »Nora« und »Richard« (beide von 1947), Arbeiten von Ingeborg Hunzinger, Hans Kies, Jenny Wiegmann-Mucchi, Lore Plietzsch, Johann Friedrich Rogge, Gustav Weidanz, Jürgen von Woyski und Walter Howard. Das ist wie ein Blick in die frühe Geschichte der Plastik in der DDR. Der Stadt Bernau ist ebenso Dank zu sagen wie Paul Bergner.
Heute verbietet kein Schild mit der Aufschrift »Wildforschungsgebiet! Betreten verboten!« mehr den Zutritt zum Areal. Ein wunderbares Naturgelände lädt zum Spaziergang ein. Die Unternehmensgruppe Michels, der neue Eigentümer, betreibt seit Anfang der Neunzigerjahre hier die Brandenburg-Klinik mit zahlreichen Folgeeinrichtungen, teilweise in den ehemaligen Wohnhäusern der Funktionäre. Das Parkgelände wird jedoch vernachlässigt; es gibt zu wenig gärtnerische Pflege, Wege wachsen zu, Unkraut breitet sich aus, und das, was von den wenigen Resten einstiger Kunstwerke dort noch vorhanden ist, sollte restauriert werden. Ein Besuch in der Bernauer Galerie und ein Gang durch das Gelände der ehemaligen Waldsiedlung lohnen sich.
»Kunstraum Innenstadt – Skulpturensammlung der Waldsiedlung Bernau«, Goethestraße 3, 16321 Bernau, geöffnet Do 10 bis 18, Sa 10 bis 16 Uhr, Eintritt frei