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Frieden naht, Krieg droht  (Ralph Hartmann)

Seit 2011 tobt der Krieg in Syrien, der von Anfang an kein Bürger-, sondern ein blutiger, schrecklicher Stellvertreterkrieg ist. Nahezu eine halbe Million Menschenleben hat er bisher gefordert. Weitaus mehr als zehn Millionen Syrer sind geflüchtet. Zahllose Orte liegen in Trümmern. Die Infrastruktur des Landes ist zum großen Teil zerstört. Im Vergleich zur Vorkriegszeit hat sich das Bruttoinlandsprodukt halbiert. Laut dem Internationalen Währungsfonds könnte es zwei Jahrzehnte dauern, bis das Vorkriegsniveau wieder erreicht ist. Die Weltbank schätzt die Wiederaufbaukosten auf 170 Milliarden US-Dollar.

 

Noch ist der Krieg nicht beendet. Die jüngste Entwicklung weckt Hoffnungen auf ein Ende des Grauens. Zugleich wachsen Besorgnisse, dass der Krieg fortgesetzt und zugleich Ausgangspunkt für eine ernsthafte Bedrohung der so schon labilen internationalen Beziehungen mit unabsehbaren Folgen wird. In Syrien wird gegenwärtig nur noch in wenigen Gebieten gekämpft. Der größte Teil des Landes steht wieder unter Kontrolle der syrischen Regierung. Nahezu zwei Millionen Flüchtlinge wollen in ihre Heimat zurückkehren. Präsident Assad hat die Flüchtlinge aufgefordert, nach Hause zu kommen. Laut der UN-Organisation für Migration sind in diesem Jahr bisher über 600.000 Flüchtlinge wieder an ihre Wohnorte zurückgekehrt. Allein in Ost-Aleppo, das bis Dezember letzten Jahres von islamistischen Kräften besetzt war, sind es bislang schon mehr als 200.000 Frauen, Männer und Kinder.

 

Auf eine baldige Beendigung aller Kriegshandlungen hoffend, stehen die Syrer vor der nahezu gigantischen Aufgabe des Wiederaufbaues des Landes. Die NATO-Staaten wollen sich daran nicht beteiligen. Zumindest »nicht innerhalb der bestehenden staatlichen Ordnung«. Sie hoffen noch immer auf einen Regime Change und setzen die würgenden Sanktionen fort.

 

Im Gegensatz dazu haben vor allem Russland, der Iran und China Hilfe zugesagt. Mit Teheran schloss Damaskus bereits zu Jahresbeginn Verträge ab – zur Zusammenarbeit in der Landwirtschaft, dem Energie- und Telekommunikationssektor. In das syrische Stromnetz will der Iran umgerechnet 660 Millionen US-Dollar investieren. Noch stärker will sich China am Wiederaufbau beteiligen. Allein in einen Industriepark in Syrien beabsichtigt Peking, umgerechnet zwei Milliarden US-Dollar zu investieren. 150 chinesische Firmen sollen sich daran beteiligen. In Pekings Projekt einer »Neuen Seidenstraße« soll Syrien die Rolle eines zentralen Drehkreuzes einnehmen.

 

Doch kaum ist die Hoffnung auf ein Ende der Gewaltorgie gewachsen, ziehen bereits neue dunkle Wolken herauf. Mehrfach hat Präsident Trump erklärt, dass sich die US-Truppen nach der Zerschlagung des Islamischen Staates (IS) aus Syrien zurückziehen würden. Der IS ist besiegt, die GIs aber bleiben, auch wenn ihre bisherige Unterstützung der syrischen Kurden fragiler geworden ist. Mittlerweile haben die USA auf syrischem Staatsterritorium östlich vom Euphrat mehr als zwölf Militärbasen für ihre angeblich nur 2200 Soldaten errichtet. Nun haben kurdische Medien vor Ort informiert, dass die US-Truppen entlang eines Landstrichs von der Stadt Manbidsch im Norden Syriens bis zur südlichen Grenze der Provinz Deir es-Sor moderne Radaranlagen stationiert haben. Offenbares Ziel ist es, in grober Verletzung aller Völkerrechtsnormen eine Flugverbotszone einzurichten. Wohin solche Zonen auf fremden Territorien führen, ist noch heute in Libyen zu besichtigen.

 

Noch weitaus gefährlicher ist gegenwärtig die Lage in Idlib. Die Provinz ist die letzte noch verbliebene Hochburg der terroristischen Banden. Nachdem diese mehrere Vermittlungsangebote aus Damaskus kategorisch abgelehnt haben, ist die syrische Regierung entschlossen, diese Provinz von den Terroristen zu befreien. Russland unterstützt eine militärische Offensive. Außenminister Lawrow appellierte an die »westlichen Partner« die Anti-Terror-Operation nicht zu behindern. Wörtlich erklärte er: »Dieses Geschwür muss in jeder Hinsicht entfernt werden.« (https://de.sputniknews.com) Da sich in der Provinz auch zwei Millionen Zivilisten aufhalten, haben Syrien und Russland für sie spezielle humanitäre Korridore eingerichtet.

 

Die frieden- und freiheitsliebenden Politiker in den USA verfolgen diese Entwicklung mit Besorgnis und sehen ihre Felle ein weiteres Mal davonschwimmen. Ihr Sprecher, Trumps Sicherheitsberater John Bolton, drohte: »Wir sehen jetzt die Pläne des syrischen Regimes, seine offensiven militärischen Aktivitäten in der Provinz Idlib wieder aufzunehmen. Wir müssen offensichtlich besorgt sein über die Möglichkeit, dass Assad wieder chemische Waffen benutzen könnte. Nur damit es keine Verwirrung gibt, wenn das syrische Regime chemische Waffen einsetzt, werden wir sehr energisch darauf reagieren, und sie sollten daher wirklich lange darüber nachdenken.« (https://deutsch.rt.com)

 

Bolton weiß, wovon er spricht. Er weiß, dass in Idlib bereits acht Fässer mit Chlorgas und Munition für Mehrfachraketenwerfer verladen wurden, deren Raketen am Einsatzort mit Chlorgas befüllt werden sollen. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, die über diese Vorbereitungen auf einer Pressekonferenz informierte, fragte die anwesenden Medienvertreter: »Raten Sie mal, wer auch dort angekommen ist? Die sogenannten Weißhelme selbstverständlich. Sie verfügen über die nötige Ausrüstung, um Aufnahmen vom Einsatz chemischer Waffen zu machen.« Nach bewährtem Muster soll folglich erneut ein »Chemiewaffenangriff« seitens der Assad-Truppen inszeniert werden, um die Welt ein weiteres Mal zur Rechtfertigung massiver militärischer Strafaktionen zu belügen. Und die engsten Verbündeten der USA – Großbritannien und Frankreich – sind mit von der Partie. In einer »gemeinsamen Erklärung« haben die drei Alliierten in weiser Voraussicht gewarnt: »Wir bleiben entschlossen zu handeln, wenn das Assad-Regime wieder chemische Waffen einsetzt.«

 

Und die Vorbereitungen für das entschlossene Handeln sind im vollen Gange. Die US-Marine verlegte ein sechstes Kriegsschiff ins östliche Mittelmeer unweit der syrischen Küste. Fünf Zerstörer mit Cruise Missiles an Bord befinden sich bereits dort, ihre Raketen könnten schon bald auf Syrien gefeuert werden, als Teil eines »präzisen Militärschlags«, wie Mitarbeiter aus dem Pentagon drohten.

 

Als Reaktion auf die Konzentration US-amerikanischer Kriegsschiffe im östlichen Mittelmeer hat Russland seinerseits inzwischen zehn mit Marschflugkörpern ausgestattete Kriegsschiffe und zwei U-Boote im östlichen Mittelmeer stationiert. Weitere Schiffe sollen unterwegs sein. So stehen sich nun vor den Küsten Syriens hochmoderne, mit präzisen gefährlichen Waffen ausgerüstete Flottenverbände der USA und Russlands gegenüber und warten auf die Befehle ihrer Oberkommandierenden.

 

Ein wahrlich schreckliches Szenario! Es erinnert an den 27. Oktober 1961, als sich am Checkpoint Charlie an der Berliner Friedrichstraße sowjetische und amerikanische Panzer gegenüberstanden und ein falscher Befehl den Dritten Weltkrieg auslösen konnte. Damals gewann die Vernunft die Oberhand. Wird sie auch 2018 obsiegen? Der US-Präsident Trump steckt in schweren Nöten. Er muss ein Impeachment-Verfahren fürchten. Ein militärischer Zusammenstoß der beiden Atommächte könnte ihn davor schützen und die Welt ins Chaos stürzen. Der Weg zum Frieden ist lang und beschwerlich, der Marsch in den Krieg kann kurz und tödlich sein.