Beck in die Provinz zurückgeschickt, Müntefering mitsamt Bürochef Wasserhövel wieder hervorgeholt, Steinmeier ganz nach vorn geschoben – die SPD gibt sich frohgemut: Endlich sei sie »wieder gut aufgestellt«. Beck habe sich »zuviel zugetraut«, für die Bundespolitik sei er nicht qualifiziert, heißt es nach neuer sozialdemokratischer Sprachregelung – als hätte sich der Rheinland-Pfälzer vor etwas mehr als zwei Jahren selbst zum Bundesparteivorsitzenden gewählt. Müntefering wird zum begnadeten Volkstribun erklärt, in einem bayerischen Bierkeller hatte er seinen Wiedereinstieg in die große Politik mit dem Satz signalisiert: »Lieber heißes Herz und klare Kante statt Hose voll.« Fürwahr eine programmatische Glanzleistung. Steinmeier, so will es die SPD, sei auch gesellschaftspolitisch bereits als »Erfolgspolitiker« ausgewiesen, nämlich durch seine Tätigkeit als oberster Schröder-Gehilfe. Und Arbeitgeberpräsident Hundt bestätigt der SPD, sie habe die richtigen Personalentscheidungen getroffen: »Steinmeier war der Architekt, Müntefering der Baumeister der Agenda 2010.«
Bemerkenswert ungeniert trennt sich die SPD von Restbeständen innerparteilich-demokratischer Manieren. Im Zusammenspiel eines klandestinen Führungszirkels und einiger massenmedialer Meinungsmacher wurden der Partei die beiden neuen Spitzenkräfte verordnet, die Gremien und die Parteidelegierten dürfen die Entscheidungen gelegentlich abnicken und müssen »Geschlossenheit« zeigen. Die Idee, zunächst innerparteilich über politische Weichenstellungen zu diskutieren und daraus folgend personelle Beschlüsse zu fassen, ist für die SPD veraltet, völlig abseitig.
Und nun wird spekuliert, auf welche Weise bei der Bundestagswahl 2009 die Machtrendite herauszuholen ist. Der Gedanke an eine Oppositionsrolle verbietet sich, Müntefering hat das längst klargestellt: »Opposition ist Mist.« Selbstverständlich wissen der Kanzlerkandidat und der designierte Parteivorsitzende der SPD, daß ihre Agenda-2010-Partei nicht auf dem Wege zu einer eigenen neuen Mehrheit ist; so töricht sind sie nicht, daß ihnen verborgen geblieben wäre, wie die Sozialdemontage der SPD dauerhaft Mitglieder, AnhängerInnen und WählerInnen weggetrieben hat. Also müssen Regierungskoalitionen arrangiert werden, und zwar – demokratiereformerisch – um jeden Preis und, von der Linkspartei im Bund abgesehen, egal mit wem. Entweder mit den Grünen, die sind ja, wenn sie mitregieren, leicht wieder auf die Agenda-Politik einzuschwören. Aber dafür werden die Stimmen wohl nicht reichen. Oder mit den Grünen und der FDP. Zwar ziert sich Westerwelle erst einmal noch und klagt darüber, daß die SPD »den Kommunisten schöne Augen« mache und »das hochangesehene Staatsoberhaupt aus seinem Amt drängen« wolle, doch das sind kleine agitatorische Scharmützel. Wenn im Herbst 2009 die Unionsparteien und die FDP eine Mehrheit für eine »bürgerliche« Bundesregierung nicht erreichen und auch die Grünen ihnen dazu nicht verhelfen können, »Jamaika« also nicht funktioniert, mag eine »Ampel« die Lösung sein. Die SPD wäre damit zufrieden. Müntefering hat es schon angedeutet: Seine Partei nimmt dann in Kauf, daß die Freien Demokraten »wenig Sinn für Arbeitnehmerrechte haben«. Läuft das alles nicht, läßt sich die Große Koalition weiterführen.
Eine Wahl galt einst als Chance für die Eigentümer der Volkssouveränität, sich zwischen politischen Alternativen zu entscheiden und so auf die Richtung der Regierungspolitik Einfluß zu nehmen. Von diesem Demokratie-Ideal soll nun endgültig Abschied genommen werden. Und was die SPD angeht, hat Beck, als er seinen Rücktritt erklärte, unbeabsichtigt die Lage geklärt. Er habe, so drückte er es aus, den Parteivorsitz übernommen, »um der Partei zu helfen«, das scheine aber in Zukunft »nicht mehr möglich«. Der sozialdemokratischen Partei, so läßt sich das verstehen, ist, sozialdemokratisch gedacht, nicht mehr zu helfen.