Gut, der Mehdorn-Obolus zur Abschreckung veralteter Menschen, die ihren Fahrschein noch am Schalter kaufen wollen, ist gefallen. Die ganze Republik mit Ausnahme der Berliner FDP hatte sich dagegen empört. Sogar Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee, der bisher nur als Stiefelknecht des Burschenschaftlers und Reservehauptmanns Mehdorn in Erscheinung trat, muckte auf. Einige Abgeordnete tuscheln sogar, man müsse den »Börsengang« der Bahn doch noch stoppen.
Aber hat nicht Martin Lindner, der FDP-Fraktionsvorsitzende im Berliner Abgeordnetenhaus, recht? Er hält es für »völligen Schwachsinn«, wegen einer Gebühr von 2,50 Euro an der Kompetenz Mehdorns zu zweifeln. Der »politische Aufschrei vom Hinterbänkler bis zum Minister« sei »billiger und kleinkarierter Populismus« und schade dem zukünftig privaten Unternehmen Deutsche Bahn.
Mehdorns Kompetenz ist unumstritten. Er hat den Fahrpreis für die Bahn, die eigentlich zur Zeit noch uns allen gehört, in den letzten fünf Jahren sechsmal erhöht, um nahezu 25 Prozent. Er hat noch aus den jüdischen Kindern, die sein Reichsbahnvorgänger ebenfalls gegen Gebühr nach Auschwitz transportierte, seinen Profit geschlagen. Hat aus dem Zug zu ihrem Gedenken Hunderttausende Euro herausgeholt. Und benutzt den Protest gegen diese Raffgier auch noch als Argumentationshilfe für den Raub unserer Bahn durch die Börse. Denn die ganze Geschichte mit den schon lange toten Judenkindern, so erfahren wir, wird doch nur dazu benutzt, die dringend nötige Privatisierung der Bahn zu verhindern. Mehdorns Freund Hugo Müller-Vogg formuliert das in Bild so: »Gezielt wird auf den historisch angeblich unsensiblen Bahnchef, getroffen aber werden soll der Befürworter einer modernen, leistungsfähigen und zum Teil privatisierten Bahn.«
Vor sechs Monaten stand es in diesem Blatt (Ossietzky 8/08): »Mehdorn muß weg, zuallererst. Dieses Ungeheuer, das über Kinderleichen geht, nein Kinderasche zertritt und dafür noch Geld will, aus dem Amt zu entfernen, ist die wichtigste Aufgabe, solange die Bahn noch unser aller Eigentum ist. Sie in den Händen dieses Mannes zu lassen, das heißt: Ein neues Auschwitz wird nicht am Fahrplan scheitern.«
Das wird es nicht. Denn untergegangen in der Empörung über den Mehdorn-Obolus ist die Absicht des Bahn-Führers, den Güterverkehr von Berlin nach Auschwitz wieder unkompliziert zu gestalten, ihn in deutsche Hände zu legen. Was die Financial Times Deutschland am 5. September unter der Überschrift »Mehdorn im Kaufrausch« meldete, blieb weithin unbeachtet: »Die Deutsche Bahn will künftig verstärkt in Osteuropa investieren. Konzernchef Hartmut Mehdorn dringt auf einen Einstieg bei der polnischen Güterbahn CTL Logistics.«
Noch ist der Börsengang am 27. Oktober aufhaltsam. Wo aber ist die Abgeordnetenmehrheit, die sich dem Aufstieg Mehdorns zum unumschränkten Bahn-Führer in den Weg stellt?