Am 24. September wird ein neuer Militärbischof der evangelischen Kirche, Martin Dutzmann, in der Berliner »Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche« ins Amt eingeführt. Diese Kirche, 1891–95 auf Drängen Wilhelms II. errichtet, sollte als »nationales Denkmal (...) alle zukünftigen Generationen an die unvergleichliche Größe und das unermeßliche Verdienst des ersten Deutschen Kaisers erinnern«, Wilhelms I., der dem Volk damals noch als »Kartätschenprinz« in Erinnerung war. Zusammen mit dem Berliner Dom und der Potsdamer Garnisonkirche bildete die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche eine verläßliche Trinität, die den preußischen Militarismus segnete, wenn er weltweit – im fernen China oder in »Deutsch- Südwestafrika« (Namibia) – als Mordbrenner wütete.
Hier also wird sich am 24. September alles aus Politik, Kirche und Gesellschaft versammeln, was Freude und Interesse am heutigen Militär und seinen weltweiten Kriegseinsätzen hat. Der bisherige Amtsinhaber, der Oldenburger lutherische Bischof Peter Krug, beschrieb in einer Abschiedspredigt die Aufgaben, die seiner Meinung nach die Militärseelsorge, ja »die ganze Kirche«, »unseren Soldaten (...) in der Zeit weltweiter Militäreinsätze« schuldet: »Fürsprache und Mitsorge um Seele und Leib (...), eine adäquate Einsatzvorbereitung und eine fallspezifische Nachbehandlung bei Verwundungen und traumatischen Erlebnissen«. Dazu müsse man »auf geeignete Weise mit der militärischen und politischen Führung eines Landes im Gespräche bleiben über das Wohl und Wehe der Menschen, die für ihr Vaterland das eigene Leben zu riskieren bereit sind«. Dabei könne es »nicht Aufgabe des einzelnen Soldaten oder des Seelsorgers sein, Beschwerde über politische Beschwernisse zu führen«.
Ihre Vergangenheit hat die evangelische Militärseelsorge eingeholt. Im »Merkblatt über Feldseelsorge«, das unmittelbar vor dem deutschen Überfall auf Polen, am 21. August 1939, herauskam und dann während des Krieges von den »Wehrmachtspfarrern« gehorsamst befolgt wurde, heißt es zu »Wesen und Aufgabe der Feldseelsorge«: »Die Aufgaben der Feldseelsorge erstrecken sich keineswegs nur auf die den Verwundeten und Kranken zu leistende seelische Hilfe. Vielmehr soll die Feldseelsorge (...) durch möglichst enge Fühlung mit allen Teilen der Truppe und ihrer Führung um die seelische Haltung der Soldaten und um ihre Ausrüstung mit tapferem und getrostem Glauben bemüht sein. Ein Soldat, der seinen Dienst und Einsatz für das Vaterland als Gottes Auftrag ernst nimmt, (...) kann standhaft bleiben, tapfer kämpfen und mutig sterben ...«
Diese Aussagen ergeben sich aus den 1526 von Luther herausgegebenen militärseelsorgerlichen Anordnungen, die in Kriegszeiten immer noch gern befolgt werden. An Luther war angesichts der Kriegsgräuel in den »Bauernkriegen« (1525) die Frage herangetragen worden, »ob auch Kriegsleute in seligem Stande sein können«. Er selbst hatte ganz erheblich zu diesen Gräueln beigetragen, indem er die Fürsten, die »lieben Herren«, dazu ermuntert hatte: »Steche, schlage, würge sie (die Bauern), wer da kann, bleibst du darüber tot, wohl dir, einen seligeren Tod kannst du nimmer erlangen.« Nun antwortete er auf jene Anfrage in einer Lehrschrift: Ja natürlich können Kriegsleute in seligem Stand sein, sie dürfen in ihrem »Kriegshandwerk« nur nicht von »Ehrsucht und Geldgier« getrieben werden, und sie dürfen sich nicht gegen »die von »Gott verordnete Obrigkeit empören«. Wer aber als Soldat »die Ehre Gottes sucht«, so belehrt der Reformator den gehorsamen Kriegsmann, der soll »frisch und unverzagt« kämpfen, und er ermuntert ihn, dann auch, »mit Freuden (...) Beute zu nehmen«. »Denn«, so heißt es im theologischen Schlüsselsatz der Lehrschrift, »die Hand, die das Schwert führt und tötet, ist dann auch nicht mehr eines Menschen Hand, sondern Gottes Hand, und nicht der Mensch, sondern Gott henkt, rädert, enthauptet, tötet und führt Krieg (...) Zusammengefaßt: Man darf beim Soldatsein nicht darauf sehen, wie man tötet, brennt, schlägt, gefangen nimmt und so weiter. Das tun die ungeübten einfältigen Kinderaugen, die dem Arzt nicht weiter zusehen, als wie er die Hand abnimmt oder das Bein absägt, aber nicht sehen oder bemerken, daß es um die Rettung des ganzen Körpers geht. Ebenso muß man auch dem Amt des Soldaten oder des Schwertes mit männlichen Augen zusehen, warum es so tötet oder grausam ist. Dann wird es selber bewiesen, daß es ein durch und durch göttliches Amt ist und für die Welt nötig und nützlich wie Essen und Trinken ...«
Im »Augsburger Bekenntnis« (1530), dem Hauptbekenntnis der Lutheraner, lauten diese Aussagen Luthers kurz und drohend zusammengefaßt; »...alle Obrigkeit in der Welt (...) ist von Gott geschaffen und eingesetzt, um (...) Übeltäter mit dem Schwert zu bestrafen, rechtmäßig Kriege zu führen und in ihnen mitzustreiten (...) Hiermit werden die verdammt, die lehren, daß diese Auffassung (nämlich: Kriege zu führen) unchristlich sei.« Im Originaltext werden auch noch die genannt, die »verdammt« und damit auf die damalige Todesliste gesetzt wurden: die »Anabaptisten« (»Wiedertäufer«). Diese hatten den besonderen Haß der Lutheraner nicht nur wegen ihrer Tauflehre auf sich gezogen, sondern vor allem, weil sie den Kriegsdienst ablehnten.
Der neue evangelische Militärbischof ist Landessuperintendent der Lippischen Landeskirche, die zum überwiegenden Teil aus »reformierten« Gemeindegliedern besteht. Die »Reformierten« gebärdeten sich in der Geschichte nie ganz so kriegsversessen wie die »Lutheraner«, es gab auch bisweilen Berührungen mit den »Täufern«, die sich in der frühen Reformationszeit von ihnen abgespalten hatten.
Dennoch ist nicht zu erwarten, daß der neue evangelische Militärbischof die Kirchen mit dem Wort »Frieden schaffen ohne Waffen« vom Kriegspfad abbringt. Die Bundesregierung hat jedenfalls keine »schwerwiegenden Einwände« gegen seine Ernennung erhoben, wozu sie nach dem Militärseelsorgevertrag berechtigt gewesen wäre.