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Titel1908

Brandstifter verjagt, Brand glimmt  (Wolf Gauer)

Am 11. September, 35 Jahre nach dem von der US-Regierung gewollten und unterstützten Militärputsch gegen die legitime Regierung Chiles, wurde den US-amerikanischen Botschaftern in Bolivien und Venezuela das Agrément entzogen. Zur Vergeltung verabschiedete Washington den bolivianischen Geschäftsträger, worauf Venezuela auch seinen Gesandten aus den USA abzog.

In beiden Ländern war offenbar geworden, wie die US-amerikanischen Geschäftsträger gegen die Integrität ihrer Gastländer konspirierten. Die deutsche Konzernpresse verschwieg es vornehm, Ossietzky-Leser wissen es schon länger (s. Heft 16/08, S. 583). In Bolivien hatte Philip S. Goldberg die US-amerikanische Botschaft zur Schaltstelle der separatistischen, auf Bürgerkrieg abzielenden Aufstände der reichen »weißen« Departements gemacht, die mittlerweile mehr als 30 Todesopfer zeitigten und im Departement Pando mit Ausnahmezustand und Militäreinsatz beantwortet wurden. 2004 hatte Goldberg schon den Putsch gegen die legale Regierung Jean-Bertrand Aristide in Haiti angeleitet. Zuvor hatte er in Bosnien als Vertreter des State Department und anschließend als Missionschef im Kosovo entscheidend an der Zerstückelung Jugoslawiens mitgewirkt.

Nicht nur Hugo Chávez’ Solidarität mit Bolivien motivierte zur Verabschiedung des Botschafters Patrick Duddy aus Venezuela: Am 10. September waren im Fernsehen Mitschnitte einzelner Abmachungen zur Besetzung des Präsidentenpalasts und zum Abschuß von Chávez’ Dienstmaschine erschienen. Sie erinnerten an den gescheiteren Putsch von 2002 und die fortdauernden Versuche des Imperiums, den ölreichen Staat Zulia (Maracaibo) von Venezuela abzutrennen. Nach der Vertreibung der anglo-amerikanischen Ölkonzerne, nach dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Israel und dem Aufbau der Zusammenarbeit mit Kuba, China, Iran und Rußland – gemeinsame Manöver mit russischen Bombern laufen gerade an – ist Chávez persönlich mehr gefährdet als jeder andere Regierungschef in Südamerika. Sein kompromißloser Kampf für ein bolivarianisches, d.h. ein geeintes, entkolonialisiertes Südamerika, für den »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« und sein Einfluß in ganz Lateinamerika machen ihn in Washington und bei den US-hörigen Eliten so verhaßt wie Fidel Castro Ruz.

Die Baumwolle-, Soja-, Vieh- und Biospritbarone des Kontinents sympathisieren mit den reichen Minderheiten in Bolivien. Fernando Lugo, Paraguays gerade vereidigter Präsident, mußte, kaum im Amt, Putschabsichten entgegentreten. Wenn es ums Gemeinwohl geht, sabotieren und blockieren die Oligarchien Paraguays oder Argentiniens die Straßen und Energiestränge ebenso, wie es Ihresgleichen in Bolivien tun.

Brasilien wirft sein Gewicht in keine der Waagschalen, sondern sorgt sich lediglich um die gefährdeten Gaslieferungen aus dem Nachbarland und bietet – ganz auf Lulas Weichmacherart und zum Wohlgefallen Washingtons – Vermittlung zwischen der Regierung Morales und den separatistischen Mordbrennern an.

Peru und Kolumbien, Washingtons Musterschüler, brachten im Schatten der Ereignisse ihr Schäflein ins Trockene und schlossen die Assoziierungsverhandlungen zwischen der Europäischen Union und der Gemeinschaft der Anden-Nationen (CAN) ab, ohne die linken Mitgliedsländer Bolivien und Ekuador überhaupt zu konsultieren. Schließlich hatte auch Merkel diese bei ihrer Inspektionsreise links liegenlassen.

Konstruktiver war dagegen das Bemühen von Hugo Chávez und der chilenischen Präsidentin Michelle Bachelet um ein Dringlichkeitstreffen der Regierungschefs der UNASUR, der politisch-wirtschaftlichen Union von bislang zwölf südamerikanischen Staaten. Die Konferenz in Santiago de Chile war der erste gemeinsame Versuch einer Konfliktlösung ohne US-amerikanische Teilnehmer. Schon die Ankündigung löste erste Gesprächsbereitschaft der bolivianischen Aufrührer aus – vielleicht half da auch die Abreise des Philip S. Goldberg.