Das Massaker des Oberst Klein war kein Versehen – Bundeswehrsoldaten werden zu hemmungslos aggressivem Handeln ermuntert.
Der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Wolfgang Schneiderhan, dachte, wie die FAZ schon Anfang 2003 berichtete, »über bisher Undenkbares« nach. Über die Frage nämlich, »ob es richtig sein kann, nicht abzuwarten, ob man von einem anderen angegriffen wird, sondern sich gegen diese mögliche Gefahr vorauseilend zu schützen und selbst die Initiative zu ergreifen«. Was seinerzeit »undenkbar« war, wird in der Bundeswehr heute praktiziert. Frühere Hemmungen sind beseitigt.
Und so griff Oberst Georg Klein mit Bombern eine Gruppe von Afghanen an, die zwei geklaute manövrierunfähige Tanklastzüge umringten. Unter ihnen konnten ja Terroristen sein, und dann ist alles erlaubt. Zwischen 70 und 125 Todesopfer wurden gezählt. Der zuständige Minister verteidigte den Massenmord sofort. Er denkt ja in ähnlichen Kategorien: Wer zum Beispiel ein Flugzeug entführt, soll, weil er ja ein Terrorist sein könnte, abgeschossen werden, ob Unbeteiligte dabei sind oder nicht. Ein mutmaßlicher Terrorist ist todgeweiht, ungeachtet dessen, daß die Todesstrafe abgeschafft wurde. Daran hält Jung fest, obwohl das Bundesverfassungsgericht es ihm untersagte. Da er zudem die Bundeswehr nicht nur in der Luft über uns, sondern auch auf dem bundesdeutschen Festland einsetzen will, darf man mit Unruhe und Angst erwarten, was er unternimmt, wenn mutmaßliche Terroristen einmal auf einer unserer Autobahnen einen Tanklastzug entführen.
Für den Fall, daß Soldaten doch noch Hemmungen haben, nach Schneiderhans und Jungs Rezept zu handeln, werden sie mit permanenter Hetzpropaganda aufgestachelt. »Unter der Überschrift ›Köpfe des Terrors‹ werden in der September-Ausgabe des Bundeswehr-Magazins Y am Computer produzierte Bilder von Führern der El Quaida, Taliban und Dschihad präsentiert, die in der Art der Darstellung und der beabsichtigten Wirkung ihre Vorläufer im Stürmer haben. Als Beweis lege ich Ihnen die Faksimiles eines Stürmer-Titelbildes von 1943 bei.« Das schreibt Alfred Fleischacker, der aus einer jüdischen Familie stammt und als Kind in England den Naziterror überlebte, in einem offenen Brief an Minister Jung. Der Brief steht in der jüngsten Ausgabe der antifa, der Zeitschrift der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschisten. Die VVN-BdA weist auf die besondere Aktualität vor dem Hintergrund des Blutbades am Kundus-Fluß hin und wirft die Frage auf, »welches Menschenbild der Truppe vermittelt wird, die derartige Kriegsverbrechen begeht«.
Die Veröffentlichung in Y ist kein Einzelfall. In Publikationen, die in der Bundeswehr verbreitet werden, wird beispielsweise ein Ende der Gerichtsverfahren gegen Wehrmachtskriegsverbrecher gefordert. Bundeswehrgeneral a. D. Jürgen Reichardt äußerte, auch die heutigen Bundeswehrsoldaten könnten »in Situationen« geraten, in denen sie wie einst Hitlers Soldaten »überreagieren«. Sie müßten dann befürchten, noch nach Jahrzehnten vor Gericht gestellt zu werden. Deshalb solle Schluß sein mit der Verurteilung der Wehrmachtsverbrechen und der Wehrmachtsverbrecher. In der Zeitschrift Gebirgstruppe sprang Reichardt ausdrücklich dem in München zu lebenslanger Haft verurteilten Leutnant a. D. Joseph Scheungraber bei, der wegen des Mordes an 14 italienischen Zivilisten angeklagt war (s. Ossietzky 8/09).
Auch die neue »Taschenkarte«, die Minister Franz Josef Jung an die Soldaten ausgeben ließ, trägt mit ihrer aggressiven Tendenz dazu bei, daß deutsche Soldaten wieder verwendungsfähig für Kriegsverbrechen werden. Sie werden ermuntert, als erste zu schießen.
Nun hat der Bundeswehrverband sich vor den Oberst Georg Klein gestellt, der straffrei bleiben, nicht als Kriegsverbrecher angeklagt werden solle. Der Verband sieht offenbar die Verantwortung mehr beim Minister, fordert aber auch nicht Jungs Abberufung und Bestrafung. Er umgeht das Problem, indem er die Bundeskanzlerin bittet, das Kommando zu übernehmen. Da ist etwas dran.
Die Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte hat laut Grundgesetz-Artikel 65a der Bundesminister für Verteidigung; im Verteidigungsfall geht sie laut Artikel 115b auf den Bundeskanzler über. Obwohl die derzeitige »Verteidigung am Hindukusch« (wie Jungs Vorgänger Struck den Krieg nannte) laut Bundestagsbeschluß von November 2001 auf einen Bündnisfall – der Bündnispartner USA war nach NATO-Lesart am 11. September 2001 angegriffen worden – zurückgeht, haben der Kanzler und später die Kanzlerin die Kommandogewalt nicht übernommen. Was kümmert sie das Grundgesetz.
Dabei waren und sind wir wirklich im Krieg. Schon vor fünf Jahren verschaffte sich die Redaktion der Zeitschrift Friedens-Forum beim Bundesministerium für Verteidigung diese Auskunft: Ja, der nach dem 11.9.01 ausgerufene NATO-Bündnisfall gelte noch. Jawohl, die NATO habe den Bündnisfall ausgerufen und dieser sei noch aktiv, bestätigte ein Fregattenkapitän. Zu Einzelheiten könne sich nur die NATO selbst äußern. Das war die Auskunft.
Frau Bundeskanzlerin, übernehmen Sie – und machen sie dem Krieg ein Ende! Holen Sie die Soldaten zurück!