Helmut Kramer hat in Ossietzky 16/09 (»Rehabilitierung. Ein Lehrstück«) darüber berichtet, wie sich die Mehrheit im Bundestag jahrelang gegen eine Initiative der Linkspartei sträubte, die von der Wehrmachtsjustiz zum Tode verurteilten »Kriegsverräter« endlich zu rehabilitieren. Am 8. September nahm der Bundestag das Gesetz nun doch an, und zwar genau in dem von der Linkspartei beantragten Wortlaut – aber erst nachdem andere Abgeordnete den Antrag nochmals eingebracht hatten; die eigentlichen Initiatoren blieben ausgesperrt. Der Plenarsaal war fast leer, nur die Reihen der Linksfraktion waren voll besetzt.
Unter den drei Zuhörern auf der Pressetribüne saß auch der 87jährige Deserteur Ludwig Baumann (s. Ossietzky 17/08, »Anhaltende Demütigung« der Opfer«), der seit vielen Jahren um die Rehabilitierung der »Kriegsverräter« gekämpft hat, von denen keiner mehr lebt. Ein Journalist neben mir meinte, die ganze Angelegenheit habe sich doch »schon biologisch erledigt«, denn keiner der nunmehr Rehabilitierten habe noch etwas von der Rehabilitierung. Baumann erwiderte leise: »Aber das deutsche Volk! Denn die nachfolgenden Generationen werden danach fragen, ob es nicht wenigstens eine Scham der Deutschen gegeben habe.«
Die Parteien, die den alten Antrag neu gestellt hatten, wollten dazu eigentlich keine Debatte und hatten im Vorfeld angekündigt, sie würden ihre Reden, ohne sie zu halten, zu Protokoll geben. Nur die Linkspartei bestand darauf zu reden. Offenbar aus Wahlkampfgründen sahen sich dann die anderen genötigt, ebenfalls zu reden. So wurde diese letzte Debatte des 16. Deutschen Bundestags zum makabren Schauspiel. »Beschämend und der Sachfrage politisch nicht angemessen, ein Possenspiel!« zürnte Jan Korte, Abgeordneter der Linksfraktion, der sich beharrlich für die Rehabilitierung engagiert hatte. Keiner der Redner von CDU/CSU, SPD und FDP begründete ihre plötzliche Meinungsänderung. Der SPD-Abgeordnete Carl-Christian Dressel, Berichterstatter im Rechtsausschuß, hatte noch kurz zuvor alle SPD-Abgeordneten kategorisch aufgefordert, den Antrag nicht zu unterschreiben. Er hatte auch versucht, die Fraktion davon zu überzeugen, daß sie die Rehabilitierung verhindern müsse. Und er hatte sich sogar diffamierend über die Kriegsverräter geäußert. Vor dem Parlament aber begann er seine Rede: »Ich freue mich sehr, als Redner zum letzten Tagesordnungspunkt zum Abschluß der Wahlperiode und damit ganz kurz vor Toresschluß feststellen zu können: Wir haben am 26.8. im Rechtsausschuß einstimmig beschlossen, dem Plenum zu empfehlen … den Gesetzentwurf anzunehmen. Es freut mich besonders, weil wir damit die Ehre der letzten Opfergruppe wiederherstellen können … es ist ein guter Tag für die Opfer der Nazijustiz, und es ist gut, daß es diesen Tag, an dem alle Todesurteile und Urteile gegen sogenannte Kriegsverräter pauschal aufgehoben werden, in der 16. Wahlperiode gibt.« Und der CDU-Abgeordnete Jürgen Gehb sagte mit geschwellter Brust: »Im Ergebnis ist das eine Initiative von CDU/CSU, SPD und FDP.« Er erklärte auch, weshalb sich die CDU geweigert hatte, den Antrag gemeinsam mit den Linken einzureichen: »Wir haben nicht nur gesagt, daß wir mit den Erben der Verantwortlichen für Stacheldraht und Mauerschüsse keine solche Initiative machen. Wir haben dafür auch sachliche Gründe« – die er nicht nannte. Und dann folgte doch noch ein Tritt gegen die, die mit dem Gesetz rehabilitiert werden sollten: »Eines ist mit mir nicht zu machen: daß ich die tatsächlichen oder vermeintlichen Kriegsverräter glorifiziere oder am Ende auf einen Podest stelle und ihnen ein Ehrenzeichen umhänge.« Daraufhin fragte Korte, wie Gehb dann den Widerstand derer vom 20. Juli einschätze. Keine Antwort.
Es ist den Abgeordneten Jan Korte (Linkspartei), Wolfgang Wieland (Grüne) und Christine Lambrecht (SPD) zu danken, die diesen Bundestag nicht ohne die Verabschiedung dieses Gesetzes entlassen wollten. Und Christine Lambrecht sprach ein würdiges Schlußwort: »Ich hoffe, daß das Ergebnis dieser langen, zähen Diskussion über die Aufhebung dieses NS-Unrechts darin besteht, daß sich auch heute und in der Zukunft Menschen finden werden, die gegen Unterdrückung, Unrecht, Ausbeutung und Krieg aufstehen; denn dann wären die Menschen, denen wir heute Gerechtigkeit widerfahren lassen, nicht umsonst gestorben.«
Für Ludwig Baumann hat sich, wie er sagte »ein später Traum erfüllt«. Für ihn ist mit diesem Gesetz »ein wichtiger Kampf erfolgreich beendet. Auch die Kriegsverräter und ihre Familien müssen nicht mehr mit dem Makel eines gültigen Urteils leben.« Aber der Streit um die öffentliche Erinnerung an die Opfer der NS-Militärjustiz ist noch längst nicht zu Ende: In Torgau und dem vorgelagerten Fort Zinna befand sich seit 1938 das größte Militärgefängnis Deutschlands. Hier wird nun ein Erinnerungsort eingerichtet, an dem der Opfer der Militärjustiz gedacht werden soll. 30.000 mal wurde die Todesstrafe verhängt, 20.000 mal vollstreckt. Unmittelbar daneben wird der Insassen von zwei sowjetischen Speziallagern gedacht; auch NS-Militärrichter waren dort inhaftiert. Baumann und der von ihm geleitete Opferverband bestehen auf eindeutige Tren-
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Politische Bildung
Im Bremer Rathaus wurde im Juni die Ausstellung »Was damals Recht war…« über die Wehrmachtsjustiz gezeigt; der Titel nahm Bezug auf den Satz von Hans Filbinger (CDU): »Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein.« Zu den Veranstaltern gehörte die Landeszentrale für politische Bildung, die dann aber bei der Gestaltung des Begleitprogramms viele Schwierigkeiten machte. Sie lehnte einige Themenvorschläge – beispielsweise zum Thema totale Kriegsdienstverweigerung – strikt ab. Auch beanstandete sie das Thema eines Vortrags des Bremer Soziologieprofessors Rudolph Bauer: »Was heute Recht ist – Sozialdemontagen à la Hartz IV untergraben die politische Demokratie und tragen zur gesellschaftlichen Militarisierung bei« ebenso wie das Thema »Militarisierung der ›Inneren Sicherheit‹ – Neue Sicherheitsarchitektur für den alltäglichen Ausnahmezustand«, worüber Ossietzky-Mitherausgeber Rolf Gössner, Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte und stellvertretender Sprecher der Deputation für Inneres der Bremer Bürgerschaft, sprechen wollte. Bauer und Gössner wurden aufgefordert, eine Begründung der »Wissenschaftlichkeit« ihrer Vorträge einzureichen. Die Landeszentrale bemängelte an den Veranstaltungstiteln eine allzu »prononcierte Aussage im politischen Meinungskampf« und forderte eine Offenlegung von »Fakten und Beweisen«, auf die sich die Referenten stützen würden. Herbert Wulfekuhl, der Leiter der Landeszentrale, verlangte von ihnen gar die Beantwortung der Frage: »Wie beurteilen Sie die herrschende Meinung in dieser Frage?« Tiefsten Aufschluß über sein Verständnis von staatlicher politischer Bildung gab er mit dem Bescheid an die Rote Hilfe, deren Mitwirkung an dem Veranstaltungsprogramm er ablehnte: »Wenn Sie die Bundeswehr als ›Angriffsarmee eines imperialistischen Landes‹ definieren, können Sie nicht Partner der staatlichen politischen Bildung sein.«
Dieser Tage lud daraufhin die Georg-Elser-Initiative Bremen zu einer Podiumsdiskussion über »Meinungsfreiheit in der politischen Bildung« ein. Wulfekuhl verweigerte seine Teilnahme, stellte die »Lauterkeit« der Veranstaltung in Frage und bewertete die Absicht, die Rechtmäßigkeit politischer Zensur durch die Landeszentrale öffentlich zu diskutieren, als »unfreundlichen Akt«. Durch sein Fernbleiben ersparte er es sich, auf Fragen wie die, ob er auch den von ihm eingeladenen Bundeswehroffizier nach seiner Wissenschaftlichkeit gefragt habe, antworten zu müssen. Jetzt stellt sich eine grundsätzlichere Frage: Kann staatliche politische Bildung in einer Zeit imperialistischer Angriffskriege, an denen sich Deutschland beteiligt, wahrhaftig, diskursiv, demokratisch bleiben, oder muß sie sich nach und nach darauf reduzieren, Untertanen mit herrschender Meinung abzufüllen, damit sie kriegsverwendungsfähig werden?
Red.
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nung und fordern, daß Informationstafeln auf die Nazitäter hinweisen. Darüber gibt es noch keine Einigung. Kann man etwa die Opfer und zugleich die Täter ehren? Baumann: »Wir lassen keine Gleichsetzung zu. Wir wollen kein ideologisches Schandmal.«