Michael Sommer, realistisch. – Der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering hat dem Verband, dem Sie vorsitzen, bestätigt, daß dieser, »wenn man genau hinsieht, dazu aufruft, sozialdemokratisch wählen zu gehen«. Aber für »Einheitsgewerkschaften« ist das ein etwas heikles Zeugnis, und so waren Sie im Interview mit der Neuen Westfälischen bemüht, auch den derzeit oppositionellen Parteien Referenz zu erweisen: den Grünen, weil die nicht mehr so »industriefeindlich« seien, der FDP, weil sie für Arbeitnehmerdatenschutz eintrete, und der Linkspartei, weil sie arbeitsmarkt- und sozialpolitische Forderungen des DGB »aufgenommen« habe. In anderen Fragen sei diese Partei jedoch »völlig unrealistisch«, sagten Sie und führten als Beweis an: »Mit einem DGB-Vorsitzenden Michael Sommer ist ein politischer Generalstreik nicht zu machen.« Ob es in der Partei Die Linke Politiker gibt, die so wirklichkeitsfremd sind, von Ihnen derlei zu erwarten, wissen wir nicht; aber in Ihrer Selbsteinschätzung liegen Sie richtig.
Frank-Walter Steinmeier, zuversichtlich. – Die gewerkschaftsnahe Zeitschrift Mitbestimmung hat Sie gefragt, ob aus der Wirtschaftskrise etwas »für eine Demokratisierung der Wirtschaft« folge. Da sind Sie guten Mutes: »Die Sozialpartnerschaft erlebt eine Renaissance. Früher kamen entweder Unternehmer oder Gewerkschafter getrennt zu mir ins Büro, jetzt kommen sie oft zusammen.« Das ist schön für Sie, nicht nur, weil es Zeit spart. Getrennte Visiten bei der Regierung – das hat ja fast schon Klassenkämpferisches. Nun schweißt die Not zusammen: zum Volksgemeinschaftstermin.
Kurt Tucholsky, weitblickend. – In Ihrem 1929 erschienenen Buche »Deutschland, Deutschland über alles« lesen wir: »Eine sozialdemokratische Partei hat in acht Jahren 0 Erfolge. In wieviel Jahren merkt sie, daß ihre Taktik verfehlt ist?« Wir können Ihre Frage heute klar beantworten: Die seitdem verflossenen achtzig Jahre haben noch nicht ausgereicht.
Claudia Roth, kämpferisch. – Sie haben der Bundesregierung heftige Vorwürfe wegen Afghanistan gemacht, ganz grün-oppositionell: Die Große Koalition habe es in den vergangenen Jahren »versäumt, für den Einsatz dort zu werben«. Infolgedessen fielen »populistische Forderungen wie die von Oskar Lafontaine« nach sofortigem Truppenabzug leider auf fruchtbaren Boden. Und dem Bundesminister für Verteidigung, Franz Josef Jung, fehle es »an Sensibilität, mit tödlichen Folgen des Militäreinsatzes angemessen umzugehen«. Ja, wenn die Grünen wieder in der Bundesregierung säßen, dann gäbe es intelligentes Kriegsmarketing und empfindsame Begründungen fürs Weiterkämpfen. Ein neues Auschwitz müßte verhindert werden, diesmal am Hindukusch und überall. Und Sie würden auch mal eine Träne weinen, weil es Ihnen irgendwie leid täte.
Wolfgang Schäuble, zerstreut. – Wie lange deutsche Soldaten und Polizisten noch in Afghanistan bleiben müßten, wollte die Welt am Sonntag von Ihnen erfahren. Einen Termin solle man besser nicht angeben, meinten Sie: »Eine solche Ankündigung würde nur von den Falschen, von den Taliban bis hin zur Linkspartei, mißbraucht.« Nun überlegen wir, wer denn für den Mißbrauch von Ankündigungen die Richtigen sein könnten. Zum Beispiel Ankündigungen drohender Terroranschläge.
Angela Merkel, rätselhaft redend. – Auch eine Landesmutter muß, wenn der Gang zur Urne ansteht, mal ein strenges Wort sprechen – und so haben Sie bei der bundesweiten Großkundgebung Ihrer Partei in Düsseldorf die SPD verwarnt. Diese Partei neige dazu, »den einen zu geben und den anderen zu nehmen«, da bleibe »für die Mitte nichts mehr übrig«. Die »Mitte«? Links und Rechts werden Sie hier nicht im Sinne haben, also geht es Ihnen um Oben und Unten, um Reich und Arm. Was wäre den Sozialdemokraten da vorzuwerfen? Es war die Regierung Schröder, die mit großem Schwung dem Prekariat den Gürtel enger schnallte und per Steuerpolitik den Großunternehmen Geld zuschaufelte. Anschließend haben die Konzerne nicht etwa Geschenke an Mittelständler verteilt. Wir haben Zweifel, ob Ihr Publikum aus alledem schlau wird. Aber egal, Klagen über Verluste der »Mitte« kommen immer gut an.
Universität Leipzig, mit Aussetzer jubilierend. – Sie begehen in diesem Jahr mit einem pompösen Jubiläumsprogramm Ihren 600. Geburtstag. Auf 239 Seiten haben Sie akribisch Veranstaltungsübersichten nach Monaten geordnet, Höhepunkte des Jubiläums, Feste und Feierlichkeiten et cetera zusammengetragen, natürlich auch Grußworte und eine Aufreihung der Förderer des Jubiläums. Doch werden Sie wirklich schon 600 Jahre? Wie es scheint, möchten Sie die Zeit, in der die Leipziger Alma Mater »Karl-Marx-Universität« hieß, gern aus Ihrer Geschichte verbannen. Muß nun das Jubiläum verschoben werden? Nein, Sie haben Glück: Dank Theodor Frings, Ernst Bloch und Hans Meyer, denen Sie besondere Vorträge widmen, sind diese 40 dunklen Jahre doch gerettet, so daß Sie beruhigt feiern können. Aber ob jemand wie Bloch heute bei Ihnen eine Professur bekäme?