Leider Gottes
Bundesminister Franz Josef Jung erbittet »göttlichen Beistand für die Bundeswehr in Afghanistan«, wie in der Tagespresse zu lesen war. »Ich bete täglich für unsere Soldaten«, habe er berichtet. Deutschland müsse und werde die »Mission« dort »erfolgreich zu Ende bringen«; allerdings wisse »leider Gottes kein Mensch«, wieviel Opfer der Einsatz noch kosten werde.
Daß eine überirdische Instanz um Schützenhilfe für den Sieg der eigenen Truppen gebeten wird, hat eine lange Tradition bei Christen wie übrigens auch bei Muslimen. »Gott mit uns« stand einst auf den Koppelschlössern deutscher Soldaten, und derselben Parole waren deren Gegner verschworen, was aber die Niederlage mal der einen und mal der anderen nicht verhinderte. Dar- über wird sich Minister Jung nicht den Kopf zerbrochen haben. Seltsam nur, daß er seine Ungewißheit über künftige Verlustzahlen in Afghanistan mit dem Zusatz »leider Gottes« versah. Ein versteckter Vorwurf an die überirdische Instanz oder leiser Zweifel an der Kraft des eigenen Gebetes?
Marja Winken
Ein Politik-Imitat
Die große Stunde des Bundestagswahlkampfes ist fast schon wieder vergessen, und groß war daran gar nichts außer dem Aufwand der Fernsehbetreiber. Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier sind, wenn Unterhaltsames geboten werden soll, Fehlbesetzungen – aber das wußte man schon vor dem »Duell«. In einer Republik, die Demokratie verspricht, muß Bürgerbeteiligung wenigstens vorgetäuscht werden, also hatte das Publikum bis in die Provinzpresse hinein Gelegenheit, seine Meinung kundzutun und erforschen zu lassen: Wer sich denn gefälliger präsentiert habe, die Kanzlerin oder ihr Vizekanzler. Daß über ein solches Ranking sich der Ausgang der Wahl entscheide, ist Unfug, und Franz Münteferings Jubelruf, jetzt sei dank Steinmeiers seriösem Auftreten der »Durchbruch« für die SPD gelungen, wirkte peinlich. Das »Duell«, das keines war, konnte keines sein, denn die beiden »Duellanten« hatten nicht vor, einander zu beschädigen, weshalb auch. Wenn sie sich – was wahrscheinlich ist – nach der Wahl wieder aus »Verantwortung für das Ganze« zusammentun, wären Blessuren nur lästig. Inhaltlich gab es ohnehin keinen Grund zur Konfrontation, denn beide »Volksparteien«, die da zu repräsentieren waren, sind entschlossen, dem Volk die Augen zuzuhalten, ihm die tatsächlichen gesellschaftspolitischen Probleme zu verbergen. Das gilt für die steuerpolitischen Folgen der übers systemrelevante Großkapital gespannten »Rettungsschirme« wie für kommende weitere Einschnitte ins längst löchrige »soziale Netz« und auch für die militärpolitischen Abenteuer der Bundesrepublik. Die Unterschiede zwischen Union und SPD betreffen lediglich Verpackungsmaterialien im Regierungsgeschäft, nicht dessen Produkte. Das »Duell« war ein Musterbeispiel für die intensiven Bemühungen von Politikern und Medien, der Politik das Politische auszutreiben: die Frage nach Alternativen.
Arno Klönne
Gewissensakrobaten
Wer ernsthaft Politik macht, der hat Ziele und sucht sich die Bündnispartner, mit denen er diese Ziele erreichen zu können hofft; nur im Kindergarten heißt es: Mit dir spiel ich nicht, weil dein Bruder doof ist. Leider beherrscht das Kindergartenspiel zunehmend die Politik; die Frage »Wer mit wem?« ist wichtiger geworden als das Ringen um politische Inhalte, um Ideen und Problemlösungen. Daran ist vor einem Jahr Andrea Ypsilanti in Hessen gescheitert; daran könnten jetzt erneut linke Regierungsbündnisse in Thüringen und im Saarland scheitern. Ypsilanti hatte die Chance, ihr Land mit neuer Politik in eine bessere Zukunft zu führen: mehr Bildungsgerechtigkeit und eine ökologische Ausrichtung der Wirtschaft. Aber sie hätte die Unterstützung der einzigen Partei gebraucht, die das Märchen nicht akzeptiert, daß in Afghanistan seit acht Jahren zurückgeschossen wird, und entschieden gegen den sozialen Kahlschlag der Markttradikalen antritt. Dummerweise (ihre einzige Dummheit) hatte sie sich das Versprechen abringen lassen, mit der Linken nicht zu kooperieren. Sie stand also vor dem Dilemma, von zwei unvereinbaren Wahlversprechen eines brechen zu müssen.
Für jeden, der seinen politischen Verstand beisammen hat, ist ohne jeden Zweifel die politische Erneuerung des Landes ein ungleich höherwertiges Versprechen als eine Koalitionsaussage. Medien und Öffentlichkeit aber haben sich darauf kapriziert, den Versuch, mit Stimmen der Linken ins Ministerpräsidentenamt zu kommen, zum furchtbarsten Wahlbetrug aller Zeiten zu stilisieren und die vier SPD-Abweichler, die das Vorhaben im letzten Augenblick vereitelten, als strahlende Gewissenshelden zu feiern. Die ganze Lügengeschichte der Bundesrepublik, von Adenauers Verleugnung seiner Wiederaufrüstungspläne und seinen Wiedervereinigungsbeteuerungen bis zum SPD-Wahlversprechen von 2005, keine Mehrwertsteuererhöhung zu akzeptieren, scheint vor diesem Gipfelereignis des Wählerverrats verblassen zu sollen.
Wie dieser »Wählerbetrug« verhindert wurde, ist jetzt haarklein nachzulesen in einem dicken Buch. Es hat den lapidaren Heldenepos-Titel »Die Vier« und verzeichnet auf 415 Seiten jedes Handygespräch, jede nicht abgefragte E-Mail, jedes konspirative Treffen der Beteiligten, jede Aufwallung von Pflicht-erfüllerstolz und jede Angstschweißperle, die den wackeren Gewissensakrobaten über die Stirn rollte (nur Dagmar Metzger hatte sich früh geoutet, während die anderen drei ausdauernd Loyalität heuchelten – was offenbar als Indiz für die skrupulöse Ernsthaftigkeit ihres Ringens um die Gewissensentscheidung gewertet werden soll).
Das Buch wird als Großtat des politischen Journalismus gefeiert, und sein Autor Volker Zastrow hat in der Tat eine Herkulesarbeit geleistet. Noch nie dürfte ein Ereignis der Zeitgeschichte mit so minutiöser Akribie durchleuchtet worden sein. Vom tragischen Verkehrsunfall in der Kindheit und der aktuellen Nierenkrebsoperation bis zu den Details der Wohnungseinrichtung – für nichts ist dem Redakteur der
FAZ seine Zeit, seine Arbeitsenergie und sein investigativer Spürsinn zu schade. Nur über das, worum es eigentlich gegangen ist, erfährt man aus seinem Buch so gut wie nichts. Nichts über das politische Projekt, für das Ypsilanti kämpfte, nichts über die verpaßten Chancen, nichts über die enttäuschten Hoffnungen von Millionen Menschen. Und so ist es ja gewollt: Die Hoffnungsträgerin des politischen Veränderungswillens versinkt als geprellte Lügnerin im Orkus, und im sentimentalen Glanz der Wahrheitsmärtyrer erstrahlen die Königsmörder, denen die Kontaktvermeidung mit der Schmuddel-Linken wichtiger war als das Schicksal ihrer Partei und ihres Landes. Daß zumindest bei Jürgen Walter auch noch ganz andere, weniger verklärungstaugliche Motive eine Rolle gespielt haben, wird immerhin erahnbar.
Hans Krieger
Volker Zastrow: »Die Vier. Eine Intrige«, Rowohlt Berlin, 415 S., 19.90 €
Fachmänner
Wenn ausgediente Politprominenz einen lukrativen neuen Job sucht, scheinen Pipelines besonders verlockend zu wirken. Exkanzler Gerhard Schröder arbeitet schon seit langem für das Projekt »Nordstream«, mit dem der russische Gasprom-Konzern Erdgas durch die Ostsee nach Westen schaffen will; nun hat sich sein Exaußenminister Joseph Fischer der Presse als Berater des Konzerns RWE für das Projekt »Nabucco« präsentiert. Damit soll Gasprom das Geschäft verdorben werden, die Pipeline soll Erdgas an Rußland vorbei über Südosteuropa an westeuropäische Abnehmer leiten.
Welche Qualifikationen bringen Männer wie Schröder und Fischer für solche Tätigkeiten mit? Von Pipeline-Technik verstehen sie nichts, von Wirtschaftlichkeitsrechnungen auch nicht. Joseph Fischer sagt, »mehr oder weniger« habe er jetzt das zu tun, was er »vorher auch gemacht« habe, als Politiker. Er müsse für die Interessen seines Energieunternehmens kommunikativ tätig werden. Übersetzt: Er wickelt Leute ein, auch wenn sie sich erst mal sträuben. Darin hat auch Gerhard Schröder langjährige Erfahrung. Da sage noch einer, in der Profipolitik sei nichts zu lernen.
Peter Söhren
Sozialisierung, wohin wir blicken
»In Arbeiterhand«, so überschreibt die
Welt am Sonntag ihren Bericht über die Entwicklung bei Opel. Eine von der IG Metall unter ihre Fittiche genommene »Mitarbeiterkapitalgesellschaft« wolle in den kommenden fünf Jahren bis zu 1,6 Milliarden Euro beisteuern, um dem maroden Autokonzern auf die Räder zu helfen. Das Geld werde über Lohneinbußen und Stellenabbau zusammengebracht, dafür bekomme dann der Arbeitnehmerfonds zehn Prozent der Anteile an der neuen Firma. Im Zuge dieses Projektes, so erfahren wir weiter, fordern die Opel-Betriebsräte Mitspracherechte bei Werkschließungen und Entlassungen. In der Branche wird damit gerechnet, daß bei Opel an die 20.000 Arbeitsplätze abgebaut und drei Produktionsstätten in Europa geschlossen werden.
Ein Masterplan! Im Wege der Staatshilfe übernimmt das Steuervolk die Unternehmensverluste, und die Opel-ArbeiterInnen dürfen in Zukunft auch den Geschäftsbetrieb mitfinanzieren. Soweit sie beschäftigt bleiben. Und für Arbeitsplatzverlust steht dann der Betriebsrat als Verantwortungsträger zur Verfügung. Alles Maßnahmen der Sozialisierung. Einer solchen, die dem Kapital guttut.
A. K.
Freiheit
Heute konnte ich etwas über Freiheit lernen. Früher hörte und las man dieses Wort sehr oft; in Wahlkampfzeiten stand es auf vielen Plakaten. Seit einigen Jahren nicht mehr.
Aber das Wort ist noch vorhanden und hat Bedeutungen, die ich noch nicht kannte. Zum Beispiel in öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Da gibt es, wie ich heute lernen konnte, die Unfreien. Das sind Leute, die fünf Tage in der Woche zu festen Zeiten arbeiten müssen. Sie werden durch Tarifverträge, Krankengeld, Urlaubsanspruch und durch die Aussicht auf Rente in Unfreiheit und Abhängigkeit gehalten.
Bei mir ist das ganz anders! Durch Beziehungen vermittelt, hatte ich heute ein Vorstellungsgespräch. Ohne Beziehungen bekommt man nach meiner Erfahrung gar nichts mehr. Selbst für einen Mini-Job, einen Tag Arbeit in der Woche, braucht man schon einen Fürsprecher. Der drohenden Zwangsarbeit für einen Euro pro Stunde versuche ich mit allen Mittel zu entgehen. Und wenn dann auch noch die Freiheit lacht?!
Bei den Öffentlich-Rechtlichen gibt es nicht nur die Unfreien, sondern auch Halb- und Ganz-Freie, je nachdem wie weit die goldene Leine reicht, die ihnen die Luft zum Atmen und klaren Denken nimmt.
Die Freiheit, die ich dort angeboten bekam, ist grenzenlos. Ich muß keinen Arbeitsvertrag unterschreiben, unterliege also keinerlei arbeitsrechtlichen Zwängen, etwa Kündigungsfristen. Meine Arbeit, sagt man mir, wird so lange bezahlt, wie Geld da ist. Wer kann gegen eine solche Regelung etwas einwenden? Von Kranken- oder Urlaubsgeld keine Rede, ich bin frei davon! Ich darf gelegentlich kommen, wenn ich will; wenn sie mich nicht wollen, muß ich auch nicht.
Nun gibt es zwei Möglichkeiten: Sie haben Mitleid mit mir, dann nehmen sie mich nicht. Sie haben kein Mitleid mit mir, dann nehmen sie mich.
Hans Buchhalter
Geschichtschirurgen
Seit Jahrhunderten zieht keine militärische Truppe auf ein Schlachtfeld, ohne daß sie wenigstens einen Feldscher, einen Sanitäter, in neuerer Zeit ein ganzes Feldlazarett in ihrem Troß hätte. Ähnlich wird, auch nicht erst seit gestern, auf die Streit- und Schlachtfelder der Geschichte gezogen. Mit dem Unterschied, daß die Geschichtschirurgen sich nicht hinter der Front, sondern in vorderster Linie aufhalten. So kürzlich wieder, als des Beginns des Zweiten Weltkrieges zu gedenken war. Es wurde einer ihrer Großkampftage. Die schärfsten ihrer Instrumente kamen zum Einsatz. Da schlugen die Stunden für die Doktoren mit den sicheren Händen und den sauberen Schnitten.
Das Urteil »Amputieren« traf zuerst die Vorgeschichte des Krieges, sie wurde auf acht Tage verkürzt und beginnt nun am 23. August 1939. Da sei in Moskau der Weg in den Krieg freigegeben worden. (Mögen die Pathologen suchen, wer ihn bis dahin verbarrikadiert hatte und womit.) Schärfer noch der Schnitt, als die Kriegsursachen behandelt wurden. Nach der Operation stand da noch ein kümmerlicher Stumpf, der unansehnliche »Wahn des nationalsozialistischen Deutschland«. Dann kamen die Kriegsziele auf den Operationstisch. Die hatte seinerzeit der Oberste Feldherr schon behandelt. Also Danzig und Liquidierung Polens. Das genügte. Da mußte nur weg, was nachgewachsen war.
Das Resultat ist als Krieg kaum noch auszumachen, an dem sich sonst doch Kriegsinteressen, deren Verfechter auch Kriegstreiber genannt werden, erkennen lassen. An diesem nicht mehr. Die Operateure verstehen Auftrag und Handwerk.
Kurt Pätzold
Das neue Südamerika
»Venedig verneigt sich vor Chavez«, titelte mit Großphoto der Mailänder
Corriere della Sera, dessen Leitartikler dann jedoch meinte, vor dem »Diktator« warnen zu müssen. Venezuela (Klein-Venedig) benannte vor über 500 Jahren Amerigo Vespucci die nördliche Küste Südamerikas mit ihren Lagunen und Pfahlbauten. Und als erstes Staatsoberhaupt schritt in diesem Jahr ein Venezolaner über den legendären roten Teppich vorm Filmpalast am Lido an der Seite Oliver Stones, der sein bewegendes Doku-Pamphlet »South of the border« bei den 66. Filmfestspielen vorführte. Der Regisseur erhielt vorher und nachher standing ovations und immer wieder Zwischenapplaus – einen Tag nach Michael Moores großem Auftritt mit »Capitalism. A love story«, einer ironischen Rumdumattacke gegen den US-Kapitalismus, der immer und überall Ansätze für eine soziale Demokratie zu unterdrücken versucht.
Für einen globalen New Deal plädiert auch Oliver Stone, den Blick auf die hispano-amerikanische Bevölkerung in den USA gerichtet. Auf seiner Interviewreise durch Lateinamerika spürt er der Entwicklung nach, die dort ganz andere Perspektiven öffnet als neoliberalen Abbau des Sozialstaats und der Demokratie wie in Europa. Die allmähliche Loslösung aus den Fesseln des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank ist Gegenstand der Gespräche Stones mit den neuen, demokratisch gewählten Präsidenten, die keine Manövrierpuppen fremder Interessen mehr sind: neben Hugo Chavez auch Evo Morales in Bolivien, Nestor und Christina Kirchner in Argentinien, Raul Castro in Cuba, der Ex-Gewerkschafter Lula da Silva in Brasilien sowie der Befreiungstheologe Fernando Lugo in Paraguay und der Intellektuelle Raul Correa in Equador, der den USA Militärbasen höchstens noch auf Gegenseitigkeit gestatten will, zum Beispiel für einen Stützpunkt Equadors in Miami …
Die Hinterhof-Stellung gegenüber den USA ist überwunden, von Selbstbewußtsein und gleicher Augenhöhe ist nun die Rede. Stone benennt Fort- und auch Rückschritte auf dem Weg der »Bolivarisierung« des Subkontinents, erzählt ausführlich vom Putsch gegen Chavez und von dessen Wiedereinsetzung durch Unterstützung der breiten Volksmassen. Bei allen nationalen und historischen Unterschieden in Lateinamerika werden die ideellen Kontinuitäten mit dem Befreiungskampf der 1960er Jahre unterstrichen, mit Camilo Torres, Che Guevara und Douglas Bravo, bei dem der junge Chavez Revolution lernte. Auf politische Ausgewogenheit verzichtet Stone bewußt, sein Dokumentarfilm bietet scharf konturierte Gegeninformation zu der mächtigen, von den Interessen der Oligarchien bestimmten Propaganda, die in südamerikanischen wie auch in europäischen Medien vorherrscht: Es geht um die nationale Kontrolle der Ressourcen (immerhin verfügt allein Venezuela über die drittgrößten Erdölvorkommen der Welt), um ökonomische Umverteilung und die Realisierung konkreter Menschenrechte (auf Essen, Wohnen, Bildung, Gesundheit, Arbeit).
Politischer Leitfaden des Films ist das Buch »Piraten der Karibik. Die Achse der Hoffnung: Castro, Chavez, Morales« von Tariq Ali, der auch das Drehbuch geschrieben hat. Der Film ist Teil eines umfassenderen Projektes, von dem Ali auf der Pressekonferenz am Lido berichtete: Stone und er arbeiten an einer breit angelegten filmischen »Gegen-Geschichte des amerikanischen Imperiums«, die die US-amerikanische Jugend über die Machenschaften ihres Landes (die mehr als hundert von den USA unterstützten Putschversuche in den vergangenen Jahrzehnten und die über tausend Attentate der CIA allein in Südamerika, für die sich Bill Clinton immerhin entschuldigt hat) aufklären soll.
Einen italienischen Verleih hat Oliver Stones Film bisher noch nicht gefunden, man wird ihn hoffentlich in Deutschland sehen können.
Susanne Böhme-Kuby
Bücher in Scheiben
Monica Bleibtreu gibt in der Hörbuch-Reihe »Starke Stimmen« der autobiografischen Liebesgeschichte der Irin Nuala O`Faolain ihre Stimme. Titel: »Nur nicht unsichtbar werden«. Es ist die gnadenlose Beschreibung des Alltags ihrer Mutter im Dublin der 1940er Jahre, »der Hölle der Frauen«. Man kriegt Kinder am Fließband (im vorliegenden Fall dreizehn Schwangerschaften, neun Überlebende), ersäuft im Suff, stirbt an Tuberkulose und hätte doch etwas ganz anderes werden können als die Sklavin der Lebensumstände, in die man geboren worden war. So die Situation der Mutter. Der Vater ist voller Energie. Er geht fremd. – Der Erzählstil der Autorin ist ein Geflecht aus Hoffnungslosigkeit, Melancholie, Einsamkeit und Kraft. Ihre Beschreibungen sind prallvoll von Poesie, der Quelle irischer Erzählkunst. Monica Bleibtreus ungespreizte Art zu lesen gibt dem Text Intensität und Leuchtkraft.
A. D.
Starke Stimmen 8, Brigitte Hörbuch Edition, 2 CD, 7.99 €
Matthias Brandt liest »Niederland« von Joseph O`Neill. Klug, sehr verhalten. Aus tiefer Ruhe heraus entwickelt er den Bogen der Geschichte, und der Ich-Erzähler hält den Leser in Spannung. Ein Ehepaar (Millionäre, Holländer) reist für ein paar Jahre nach New York. Kurz nach dem Twintower-Attentat tauchen sie ein in den Schmelztiegel New York. Der Autor nennt die Zeit lakonisch »post-America«. Die multikulturelle Stadt wird verlockend in Szene gesetzt. Man wohnt im Chelsea Hotel, alles ist vom Feinsten, aber beide spüren: »Unsere (Ehe-)Geschichte stimmt nicht mehr.« Witzig, hinterfotzig, melancholisch werden ihre Emotionen geschildert, O`Neills dichte, reiche Sprache macht das Erinnern, die Assoziationen des Paares, des Autors zu einem fesselnden, psychologisch tief lotenden Hörvergnügen. Eine Fremdenführung durch die aufregende Stadt New York gibt es gratis. Der Roman ist ausschweifend, bleibt aber am Thema: Das Land wird uns in seiner momentanen Befindlichkeit eindringlich nahegebracht.
Anne Dessau
argon hörbuch, 6 CD, 29,95 €
Gegen den Informationsmüll
Manches gute Buch, das man am liebsten selbst geschrieben hätte, erscheint auf keiner Bestsellerliste, liegt also auch nicht auf dem vordersten Ladentisch oder gleich neben der Kasse. Womit wir schon beim Thema wären, nämlich bei der Rundum-Manipulation des homo sapiens teutonicus, soweit dieser als Wahlvieh, Soldat oder Verbraucher noch von Interesse ist. Denn gerade darum geht es in Volker Bräutigams »Die Falschmünzer-Republik. Von Politblendern und Medienstrichern«. Ich empfehle es vor allem denen, die sich fragen, warum sie sich mehr und mehr vom Fernsehen, von den Illners, Kerners und Wills abwenden und deshalb wieder zu einem Buch greifen. Und sich dabei auch unterhalten wollen, diesmal sogar unter Tränen: des Zorns und der Komik.
Man hätte sie gern selbst verfaßt, diese Abrechnung, wenn ... ja, wenn man den Mumm und vor allem die Erfahrungen hätte, die der alte Laubenpieper mitbringt, wenn er durch die Latten seines Zaunes späht und sinniert: »Wie stinkt man gegen den überwältigenden Informationsmüll der staatsfrommen Öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und der (käuflichen) Konzernmedien an? Wie rüttelt man die Mitwelt wach?«
In der Rolle eines schrebergärtnernden Pensionärs plaudert da nämlich einer aus der Schule: aus 45 Jahren Medienerfahrung als Macher bei Druckmedien, bei der
Tagesschau oder als Dozent in Ostasien. Er hat erlebt, wie sehr sich China von den Zerrbildern unterscheidet, die uns täglich von Leuten aufgetischt werden, die schon vom krummen Weg Europas nichts verstehen noch verstehen wollen und uns beispielsweise – Freud freut sich – die Ideale der Französischen Revolution als Egalité, Légalité (sic) und Fraternité verkaufen wollen (Caren Miosga,
Tagesthemen).
Bräutigam läßt seinen Laubenpieper saftiges Deutsch sprechen. Er greift am Buffet mit der Hand zu, wo es mit Messer und Gabel zwar vornehmer, aber umständlicher und weniger effektiv wäre: 33 scharf gewürzte Kapitel, darunter »Tierlieb – werde Metzger«, »Fuck the Poor«, »Giftspinnen im Äther«, »Paradiesvögel und Pappnasen« oder »Bilderle gucken, Bilderle fälschen«.
Bitterer wird es, wenn der ehemalige Redakteur und Personalrat des
Norddeutschen Rundfunks in seinen Erinnerungen kramt und schildert, wie verantwortungsvolle journalistische Arbeit und der Informationsauftrag öffentlich-rechtlicher Medien zu methodischer Desinformation verkommen. Erst recht, wenn er bewußt zurückgehaltene Informationen nachreicht, zum Beispiel wie staatliche Forschungseinrichtungen mit der Rüstungsindustrie bei der Entwicklung grausamster »nicht-tödlicher Waffen« (Non Lethal Weapons) zusammenarbeiten – Waffen zur »Kontrolle« der Zivilbevölkerung, an deren Langmut die Regierungsbänkler rechtens zweifeln.
Gegenpart des pointiert argumentierenden Kompostspezialisten ist seine Zwillingsschwester, die pfiffig Contra gibt, ihren hochweisen Dalai Lama verteidigt und erst stoppt, wenn der Bruder sie sanft sokratisch zu wichtigeren Fragen hinbugsiert: Was suchen deutsche Soldaten in Afghanistan? Warum kommt der Dalai Lama so häufig nach Deutschland? Warum verfälschen öffentlich-rechtliche Medien Fakten über China? Warum mußten ehemalige DDR-Grenzer wegen der »Mauertoten« vor Gericht, BRD-Grenzer wegen dutzender erschossener Kaffeeschmuggler aber nicht? Und – nach BSE, SARS, Vogel- und nunmehr Schweinegrippe – wen wird die deutsche Journaille wohl als nächsten durchs Dorf jagen? In wessen Auftrag und Interesse?
Bräutigam liefert Antworten, kritische Analyse und den Nachweis, daß die Massenmedien unisono mit Falschinformation bestehende gesellschaftliche Mißverhältnisse fördern. Falschmünzer im Sold jener Eliten, die unbegrenzt Reichtümer aufhäufen und ohne jede demokratische Legitimation unbeschränkte Macht ausüben.
Wolf Gauer
Volker Bräutigam: »Die Falschmünzer-Republik«, Scheunen-Verlag 300 Seiten mit Karikaturen von Klaus Stuttmann, 12 € (info@scheunen-verlag.de)
Press-Kohl
Dirk Pilz beschrieb in der
Berliner Zeitung in einem historischen Rückblick wichtige Ereignisse aus dem Jahre 1989, die er so zusammenfaßte: »Die Leipziger Nikolaikirche und der Pfarrer Christian Führer sind zum Symbol der friedlichen Revolution von 1989 geworden. Warum eigentlich?«
Diese Frage beantwortete Pfarrer Führer in der groß gedruckten Überschrift des Artikels schlicht und in einer Bescheidenheit, wie man sie auch dem ganz und gar in sich gekehrten Hans Dietrich Genscher nachrühmen könnte: »Gott hat GROSSES an mir getan.«
*
Die magische Silbe des Brahmanismus, »Om«, wird auch vom reisefreudigen Dalai Lama gesprochen, wenn Seine Heiligkeit, nach Abnahme Ihrer neuesten kleidsamen Hornbrille vorm festlichen Abendessen in der Meditation vor Einnahme eines schmackhaften »Om«-Omeletts Surprise sich zu befreien gedenkt. Die Tafelmusik improvisiert indes »statt unaufhörlich wirkender Gebete« das fast endlose »Om mani padme hum«, die buddhistische Formel, die, auf Zetteln durch Gebetsmühlen gedreht, zum Gebet ohne Ende wird.
Einen vergleichsweise geheimnisvollen und einschläfernden Text las man in einer Berliner Tageszeitung nicht in Sanskrit, sondern in zauberisch verschlüsseltem Deutsch. Die Zeitung druckte folgende Miniatur über »Florida-Rolf«, jenen Renten-Trickbetrüger, der sich jenseits des Atlantiks auf die faule Haut gelegt hatte:
»Florida-Rolf. – Die Welt war so eingerichtet, daß die einen viel arbeiteten und die anderen nicht; man grübelte darüber nicht. Es mußte einer der Unnützen schon sehr auffällig werden, um ins Gerede zu kommen. Rolf zum Beispiel, dem es in Deutschland zu dunkel war, denn seine Seele brauchte Sonne. Die Kasse bezahlte ihm jahrelang den Aufenthalt im Freien, wie einer Dunkelziffer das Viagra, bis er sich zu weit hinauslehnte in Florida und sein angenehmes Dasein reklamierte. Man hätte vermuten können, daß die Überarbeiteten, um so mehr gestreßt, das ihre in frage stellten: aber nein, gegen den einen regte sich der Zorn, den man für einen ganz Ausgekochten hielt. (Fortsetzung folgt)«
Möge Gott oder dergleichen uns davor bewahren, daß dieser ominösen Beschreibung eines der Unnützen, der schon sehr auffällig wurde, um ins Gerede zu kommen, noch Fortsetzungen folgen. Denn die Seele des Helden braucht Sonne, welche ihm die Kasse (welche Kasse?) durch jahrelange Finanzierung des Aufenthalts im Freien ermöglichte wie einer Dunkelziffer das Viagra, bis er sich in Florida zu weit hinauslehnte und alles in eine klein geschriebene frage stellte, aber nein, aber nein! Om, om!
Dieses Wörter-Rätsel erschien in der Zeitung
Neues Deutschland – als Vorabdruck aus einem Denk- und Dicht-Buch, genannt »Flickwerk«, »Suhrkamp Verlag Frankfurt (Main), Oktober 2009.
Der Flickschuster ist oder war Diplom-Philosoph, Vorstandsmitglied der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz, der Akademie der Künste der DDR, der Akademie der Künste Berlin, der Akademie der Künste Berlin-Brandenburg, der Sächsischen Akademie der Künste und der Deutschen Akademie für Sprache (!) und Dichtung.
Er heißt Volker Braun.
Ansonsten ein ganz sympathischer Mensch, findet
Felix Mantel