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Titel1911

Die zwei Seelen der IG Metall  (Arno Klönne)

»Deutschland ist der drittgrößte Waffenexporteur der Welt. Wir fordern die Bundesregierung einmal mehr auf, Rüstungsexporte in Krisenregionen zu verbieten und Rüstungsausgaben nachhaltig zu senken.« So war es zu lesen im Aufruf des Deutschen Gewerkschaftsbundes zum diesjährigen Antikriegstag am 1. September.

Im DGB läuft nichts ohne die Industriegewerkschaft Metall, also gehen wir davon aus, daß deren Hauptvorstand den Entwurf der zitierten Erklärung zustimmend zur Kenntnis genommen hat. Auch auf den Delegiertenkonferenzen der IGM wurden stets Beschlüsse gefaßt, deren Kernaussage ist: »Die IG Metall lehnt Krieg als Mittel der Politik ab.«

Wenige Tage nach dem 1. September dieses Jahres ging – ziemlich unauffällig – durch die Medien ein Bericht über eine Studie zum »militärischen Schiffbau«, herausgegeben vom Hauptvorstand der IGM. In diesem »Branchenreport« wird das »sicherheitspolitische Umfeld des 21. Jahrhunderts« beschrieben, das »Konzept weltweit mobiler Streitkräfte, die flexibel an wechselnden Schauplätzen für militärische Einsätze zur Verfügung stehen« sollen. Dafür braucht man, das ist kein Geheimnis, Soldaten, Waffen, Flugzeuge und Schiffe, also auch eine Rüstungsindustrie.

Die wiederum floriert am besten, wenn zu den Aufträgen der eigenen Regierung solche aus anderen Ländern hinzukommen, und wer will schon eindeutig feststellen, ob die externen Auftraggeber in einer »Krisenregion« angesiedelt sind; es kriselt überall in der Welt. Hinzu kommt, daß in vielen europäischen Staaten die öffentlichen Haushalte unter »Spar«-Druck stehen, auch die Rüstungsetats. Da liegen, wenn die einheimische Rüstungsindustrie nicht darben soll, zwei unternehmerische Bemühungen nahe: erstens die Waffenproduktion in Europa länderübergreifend zu organisieren; zweitens (wie es in der IGM-Studie heißt) »Wachstumsmärkte außerhalb Europas« für deutsche und europäische Rüstungsfirmen zu erschließen, »neue Produkte für neue Märkte« anzubieten. Und dafür sind auch Aufträge der eigenen Regierung notwendig, »zum Erhalt wehrtechnischer Fähigkeiten«.

Der »Kuchen«, so wird im Vorwort zur IGM-Studie das internationale Rüstungsgeschäft genannt, ist heiß umstritten, also muß dafür gesorgt werden, daß die Bundesrepublik nicht mit einem zu kleinen Stück abgespeist wird. Deshalb sind »rüstungsindustrielle und rüstungstechnologische Kompetenzen« nach Meinung der Verfasser der IGM-Studie zu sichern und zu fördern.

Marktlogisch leuchtet das ein; man muß nur darüber hinwegsehen, daß Produkte der Militärindustrie zum Gebrauch bestimmt sind. Technisch modernisierte Waffensysteme müssen sich schon zum Zwecke des Marketing im Einsatz »bewähren«, und die Rüstungsbranche ist – wie jede andere auch – darauf aus, die Nachfrage für ihre Angebote zu steigern. Wo käme sie hin, wenn es keine »Krisen« mehr gäbe?

Eine Gewerkschaft muß sich dafür einsetzen, daß Arbeitsplätze erhalten oder neu geschaffen werden. Rüstungsbetriebe gehören überwiegend zum Organisationsbereich der IG Metall, und ihre Betriebsräte dringen darauf, daß die Gewerkschaft sich auch in dieser Branche produktionsfördernd betätigt.

Seit Jahrzehnten schon ist »Konversion« ein gewerkschaftliches Thema: Wie können Betriebe und Arbeitsplätze von militärischer auf zivile Produktion umgestellt werden? Um hier mehr zu erreichen, müßte die Metallgewerkschaft eine Kampagne in Gang setzen, also Druck auf den Staat machen, der in der Rüstungswirtschaft eine Schlüsselrolle innehat. Diese Energie will der Gewerkschaftsvorstand offenbar nicht aufbringen. Und so bleibt es bei den zwei Seelen in der Brust der IGM: Die eine äußert sich am Antikriegstag oder bei ähnlichen Gelegenheiten. Die andere wendet ihre Gefühle dem Fortbestand und Wohlergehen der Rüstungsindustrie zu. Fraglich ist, wie gut es sich auf die Dauer mit gespaltener Seele lebt.