Dublin ist auf Tourismus eingestellt. Vor allem Temple Bar. Ein ganzes Stadtviertel für die Durchreisenden. Hotels und Kneipen öffnen sich Europa und der Welt. Kirchen und Museen zeigen die irische Kultur – wobei die Gotteshäuser im Gegensatz zu den Museen Eintritt verlangen. Aus allen Exponaten der Vergangenheit jammert dieselbe jahrhundertealte Unterdrückung und der melancholische Widerstand.
In Temple Bar sind kaum Dubliner zu finden, dafür aber in den Bars entlang des Leffeys, der sich grau durch die Hauptstadt wälzt. Da grölen sie im Chor den »Ring of fire« und »We are the champions«. Auf die Touristen geben sie hier nicht viel, verkaufen ihnen aber ihre Kleeblätter aus Stoff, ihre Guinnessflaschen, grünen Grillschürzen und Toffees. »Ist hier jemand aus Kanada?«, ruft der Sänger von den Bühne herab in den Saal. Einige erheben johlend ihr Glas. »Euer Bus wartet draußen!«, fertigt der Sänger sie ab, worauf die Iren ausgelassen lachen. Witze auf Kosten der Touristen fallen gern und oft in den Bars der Einheimischen.
Dublin zeigt sich säuberlich: Trinkende oder Betrunkene sind nirgendwo öffentlich zu sehen, dafür fallen die Bettler um so mehr auf. Sie verkaufen Zeitungen, stehen als James Joyce verkleidet an Straßenecken oder sitzen mit Kleinkindern im Nieselregen. Meist gehören sie den Pavees an, einer nomadischen Minderheit Irlands, die gern als Zigeuner abgetan wird, auch wenn sie mit den Roma und Sinti nicht verwandt ist. Bei den Pavees oder Travellers (Reisende, Wanderer) handelt es sich um Iren, deren Armut sie von der Mehrheitsgesellschaft abgespalten hat. Sie sprechen ihre eigene Sprache, ziehen als Wanderhandwerker, Pferdezüchter und Hausierer durch das Land und werden oft nur dann zum öffentlichen Thema, wenn ihre unstete Lebensweise sie in Konflikt mit den Behörden bringt.
Südlich von Dublin erstrecken sich die Wicklow Mountains, ein bergiges Naturschutzgebiet, in dessen Mitte sich die Ortschaft Glendalough befindet. Hier, im Tal der zwei Seen, die dem Ort seinen Namen gaben (irisch: Gleann Dá Locha), soll der Heilige Kevin als Eremit gelebt haben. Im Laufe der Jahrhunderte entwickelte sich Glendalough zu einem geistlichen Zentrum, das heute von einer steinernen Kapelle und einem 33 Meter hohen Turm dominiert wird, der zum Schutz vor den Wikingern errichtet wurde. Das Tal ist mit Grabsteinen übersät, auf denen an ganze Familien erinnert wird. Immer wieder finden sich so Verweise auf die große Hungernot zwischen 1845 und 1849. Der Wortlaut der Inschriften ist immer gleich: Jemand erinnert an die nachfolgend aufgezählten Verstorbenen und wird zuletzt selbst der Liste hinzugefügt.
Der Weg führt aus Glendalough hinaus, an den Seen vorbei, steigt an und verliert sich zwischen den grünen Bergen. Hier ist Irland so grün und hügelig, wie es in aller Welt gerühmt wird. Doch abseits des Weges, hinter einigen Hügeln, finden sich die Lager der Pavees, die so gar nicht zur Zigeunerromantik taugen. Auch das ist Irland, das weniger bekannte.