Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Michael Hartmann, kommentierte die »Ausstattungshilfe« für die belorussische Polizei mit dem Satz: »Was gar nicht geht, ist, daß die deutsche Polizei, die eine Bürgerrechtspolizei ist, die Prügeltruppe eines Diktators unterstützt.« Was »Ausstattungshilfe« bedeutet, erklärt das Bundeskriminalamt auf seiner Website mit schlichten Worten: »Die ausbildungsbegleitende Ausstattungshilfe dient im besonderen Maße der Förderung strategisch oder operativ bedeutsamer Empfängerstaaten, um dortige Standards zu erhöhen und eine eigenständige, effiziente Aufgabenwahrnehmung im jeweiligen Land zu erreichen.« Aber was bitte ist eine Bürgerrechtspolizei?
Ich muß zugeben: Es ist nicht ganz korrekt, dieses Wort als einen Neologismus zu bezeichnen. Aber – Hand aufs Herz – wann geschieht es schon, daß beim Googeln eines Wortes gerade einmal vier Ergebnisse aus der Zeit vor dem Tag der Suche herauskommen – dem Tag, als Hartmann dieses große Wort gelassen aussprach?
Ein Blogger, dem das auch aufgefallen ist, beginnt seinen Eintrag mit den Worten: »Bevor die Trefferliste Googles bei der Suche nach einer Bürgerrechtspolizei die magische Grenze von 100 Treffern überschreitet, verfertige ich schnell noch einen post, um im illustren Kreis derjenigen zu sein, die diese wortgeschöpfte Fiktion literarisch aufarbeiten.« (die-anmerkung.blogspot.de)
Aber, wie bereits angedeutet: Ganz korrekt ist der schöne Ausdruck »wortgeschöpfte Fiktion« nicht, mag auch die Geschichte dieses Wortes sehr kurz sein, wenn sein erstes Erscheinen im Internet zehn Jahre zurückreicht. Aber einige Wandlungen hat das arme Wort in diesen Jahren doch über sich ergehen lassen müssen. Eine grüne Jungpolitikerin prägte es in einem Beitrag für die FAZ am 21. September 2002. Mit Bezug auf die innenpolitische Debatte nach dem 11. September 2001 beklagte sie sich: »Wir hatten es damals fast stündlich mit neuen Forderungen zu tun, die sich in ihrer Radikalität übertrafen. Wir Grünen hatten manchmal den Eindruck, als eine Art Bürgerrechtspolizei gegen den drohenden Polizeistaat unterwegs zu sein.« Der Sinn von Neologismen wird an diesem Beispiel deutlich: Eine neue Situation braucht neue Wörter – es bedurfte einer neuen Polizei (eben einer »Bürgerrechtspolizei«, nämlich der Grünen, aber nicht der Grünen), um dem Aufbau eines Polizeistaats entgegenzuwirken. Sieht man von der Selbstbeweihräucherung der Grünen ab, ist das ein durchaus originelles und passendes Bild.
Sieben Jahre später – inzwischen ist außer zwei läppischen Blog-Einträgen dem Wort nichts Bemerkenswertes geschehen – kommt dann aber die große Wende: Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) bedient sich des Wortes (wahrscheinlich ohne dessen Geschichte zu kennen), um sich gegen die SPD zu profilieren. Was für ein Gedränge auf der rechten Fahrspur! Am 20. November 2009 gibt der FDP-Politiker Horst Engel aus Nordrhein-Westfalen bekannt, daß die DPolG das Polizeigesetz der SPD-Landtagsfraktion mit folgender Begründung ablehne: »›Wir sind keine Abhör-, Beobachtungs- und Überwachungspolizei, sondern Bürgerrechtspolizei‹ begründete der DPolG-Landesvorsitzende Rainer Wendt die Position seiner Gewerkschaft.«
Nun also übernimmt die Bundes-SPD das Wort (wahrscheinlich ebenfalls, ohne dessen Geschichte zu kennen). Damit sind FDP und SPD, vermutlich ohne es zu ahnen, auf einer Linie – umgeben vom Selbstbeweihräucherungsdunst der Grünen. Was wollen sie und die DPolG und besonders Michael Hartmann den Bürgerinnen und Bürgern sagen? Doch wohl dies: Vergeßt Philipp Müller, der schon in den 1950er Jahren von der Polizei erschossen wurde, vergeßt den Hamburger Kessel, als Brokdorf-Demonstranten stundenlang auf dem Heiligengeistfeld festgehalten wurden, vergeßt die Einsätze für die NPD auf ihrer Sommertour, vergeßt die chemische Keule, den Pfefferspray ... – das alles kann gar nicht wahr sein, denn unsere Polizei verteidigt eure Rechte. »Prügeltruppen« gibt es nur in Weißrußland und in anderen Schurkenstaaten!