Die Saarländer, davon war hier schon die Rede (Ossietzky 13/13), haben ihre Differenzen über den Umgang mit jenem Völklinger Viertel nicht ausgestanden, das nach Hermann Röchling benannt ist. Die Schwabenländer, genauer die Bürger der kleinen Stadt Ostfildern im Weichbild Stuttgarts und noch genauer die dortigen Gemeinderäte, können ähnliche vorweisen. Dort betreffen sie einen gewissen Ernst Heinkel. Nach ihm ist keine ganze Siedlung getauft worden, sondern nur ein Sträßle. Was die beiden »Fälle« dennoch verbindet: Den Gegenstand des Streites bildet da wie dort ein Großindustrieller, der in Nazizeiten ein geschätzter und verdienstvoller Mitkämpfer des »Führers« war. Soll das nicht aufgewogen sein und für erledigt erklärt werden aufgrund der unbestrittenen Tatsache, daß Heinkel ein technischer Pionier der Luftfahrt von hohem Grade war? Was sind angesichts dieser Verdienste die erwiesenen Macht- und Expansionsgelüste des Betriebs- und (seit 1937) Wehrwirtschaftsführers und Aufsichtsratsvorsitzenden? Was die Tatsache, daß in seinen Betrieben zehntausende herbeigezwungene Zwangsarbeiter schufteten, bis ihre Kräfte erschöpft waren? Was der »Kauf« des »arisierten« Betriebes in Tirol, dessen Vorbesitzer sich beim Sieg der Faschisten in Österreich umgebracht hatte oder umgebracht worden war, so genau ist das nie aufgeklärt worden? Das wären Fragen, die zur Biographie Heinkels sich aufdrängen und deren quellengestützte Beantwortung einer Entscheidung zugrunde liegen könnte, mit der sich die Ostfilderner von dem NSDAP-Mitglied und – dies nebenbei – Träger eines japanischen Ordens verabschieden könnten, den er für seinen Beitrag zur Aufrüstung der Aspiranten auf die Neuordnung Großostasiens verliehen bekam, im Jahre, in dem Japan in China einfiel.
Indessen fragen die in dieser Sache vereinigten christlichen und unchristlichen Parlamentarier von Ostfildern, die niemals etwas von der Persilscheinkonjunktur in den westlichen Besatzungszonen Deutschland gehört haben: Soll die Tatsache, daß Heinkel nach 1945 in die Kategorie der Mitläufer eingestuft worden war, gar nichts gelten, und er nun neu eingestuft werden? Er soll nicht nur, er ist. Das hat vor Jahren schon eine Archivarin, Renate Winkelbach, mit der Konzeption einer Ausstellung besorgt, die in Remshalden-Grunbach sonntags zu besichtigen ist, dem Ort, in dem der Mann geboren wurde. Deren Nachweise brachten jedoch die dortigen Räte nicht auf die Idee, den Heinkel ehrenden Namen ihrer Schule zu ändern oder ihn von der Liste der Ehrenbürger zu streichen. Winkelbachs Einstufung hat neuerdings Roman Fröhlich in einer Dissertation bestätigt und bestärkt. Die hat, nachdem der Autor auch in der Stuttgarter Zeitung zu Worte gekommen war, die Gemeinderäte beider Orte zwar nicht auf Trab, aber doch in eine gewisse Verlegenheit gebracht. Die Remshaldener suchen ihr vorerst mit einer Vortragsreihe zu entkommen.
Vor Jahren wären Historiker, ob Laien oder vom Fach, die sich solcher Ortsheiliger wie Röchling und Heinkel kritisch annahmen, noch öffentlich Nestbeschmutzer genannt worden. Jetzt werden sie auf pseudo-akademische Tour unsauberen oder einseitigen Umgangs mit Quellen bezichtigt, mitunter zusätzlich als Linke abgetan. Wer will, mag darin einen Fortschritt erblicken. Er liegt aber eher in der Tatsache, daß sich in den Generationen der Nachgeborenen Frauen und Männer finden, die im sicheren Wissen, daß schon ihre Themenwahl hierzulande nicht karrierefördernd ist, sich der Wahrheit verpflichtet fühlen, komme die gelegen oder ungelegen.