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Titel1914

Wie stelle ich einen Feind her?  (Harald Kretzschmar)

Nichts ist so lohnend, nichts gewährleistet eine derartige Wachstumsrate, wie die Herstellung eines Feindes. Ein Feind ist ganz schnell mit ganz einfachen Mitteln zu schaffen. Und das Tolle daran ist – der Feind vermehrt sich auf der Stelle in rasendem Tempo. Wenn er einmal da ist, wird man ihn nicht mehr los. Man kann völlig sicher sein – man wird jede Menge Überraschungen mit Feinden erleben, wenn man sie sich einmal geschaffen hat.

Nehmen wir ein Beispiel: Du hast ganz normale freundliche Menschen als Nachbarn. Zugegeben, du kennst sie kaum. Du hast dir nie die Mühe gemacht, ihre Eigenarten kennenzulernen. Es ist kein Kunststück – wenn du dir ein wenig Mühe gäbest, könntest du sie dir zu Freunden machen. Oder aber zu Feinden. Das mit den Feinden geht aber viel schneller. Es ist viel leichter. Du mußt nur mit ganz unschuldigem Gesicht sagen: Hallo, Freunde, ihr habt da etwas Land. Das brauche ich leider. Ihr wißt doch, ich habe diese mir so lieben, aber leicht verrückten Verwandten. Die sind ganz scharf darauf, genau dort auf eurem Land zu wohnen. Ich muß da auf der Stelle eine Menge Häuser für sie bauen. Morgen kommen die Baumaschinen.

Na, du wirst staunen, was passiert.

Die Mienen der Nachbarn verfinstern sich. Diese bisher freundlichen Leute wenden sich brüsk ab. Sie dulden es, daß ihre Kinder Steine aufheben und nach dir werfen. Du bist selbstverständlich zutiefst verletzt. Wie böse und ungerecht sie doch allesamt sind, denkst du. Was habe ich nur getan, daß sie plötzlich Feinde werden? Du sagst dir: Ich werde sie einfach nicht beachten. Ich tue das, was ich für richtig halte. Ich stehe zu meinem Wort. Ich handle. Sie dagegen werden dich verachten. Sie werden immer böser. Sie werden gewalttätig. Das ist der Moment. Nun bist du in der Feindschaft rettungslos gefangen. Es bleibt dir nur, sie zu miesen Verbrechern zu erklären und entsprechend zu behandeln und dich maßlos zu wundern, daß deine Freunde sich wundern, wie viele Feinde du hast.

Welches Unverständnis, rufst du aus.

Ein zweites Beispiel: Anderswo in der Welt. Du willst dich verändern. Irgendwie verbessern. Dein Haus soll viel hübscher und moderner werden. Du hast reiche Freunde dazu eingeladen, nach ihrem Muster alles von Grund auf umzugestalten. Deine Freunde sind so freundlich, dir unermeßliche Versprechungen zu machen. Du sollst ihnen dein ganzes Grundstück zum Hübsch-und-modern-Machen anvertrauen. Du bist begeistert. Einige andere auch. Andere Mitbewohner aber ticken ein wenig anders. Sie äußern Bedenken. Du bist beleidigt. Verblendet schiltst du sie. Viel zu dumm, ihren Vorteil zu erkennen. Du faßt es nicht: Auf einmal seid ihr erbarmungslos Feinde. Deine eigene Frau schlägt sich auf ihre Seite. Du siehst nur, sie schlägt. Du schlägst sie. Und schon kocht die Feindschaft hoch. Ihr seid nicht mehr zu retten.

Du beziehst selbst eine Tracht Prügel.

Das bringt das Faß zum Überlaufen. Im Nu wird die ganze Nachbarschaft rebellisch. Keiner vertraut mehr dem andern. Es wimmelt vor Feinden. Du fängst an, schrecklich zu heulen. Alle andern sollen Mitleid mit dir haben. Du wirst enttäuscht. Da stellst du fest: Du mußt dich bewaffnen. Plötzlich siehst du – die anderen greifen ebenfalls zu den Waffen. Es wird geschossen. Deine Wut steigert sich ins Unermeßliche. Wann kommt der lichte Moment, in dem du erkennst, wie sinnlos dieser Kampf ist? Alle haben den Grund ihrer Feindschaft längst verdrängt. Sie sind nur noch dazu verdammt, zu hassen. Zu hassen. Zu hassen. Der Haß zerfrißt sie. Der Haß macht sie kaputt. Der Haß tötet sie am Ende. Alle.

Mit Freunden dagegen läßt sich schön leben.