Stilleben in Kriegszeiten? Wenn der Maler Max Beckmann heißt, ist das zulässig. Die Hamburger Kunsthalle hat sich entschlossen, die wenig bekannten Stilleben von Beckmann zu zeigen (noch bis zum 18. Januar). Rund 70 Gemälde, darunter auch für dieses Sujet erstaunlich großformatige, und einige Aquarelle, von 1905 bis 1950, dem Todesjahr Beckmanns. Aus dem Besitz des Malers Objekte – oft aus der außereuropäischen Kunst –, die er in seine Bilder aufnahm: eine chinesische Kröte aus Keramik, ein Räuchergefäß, eine Lampe mit Elefantensockel und eine Riesenmuschel. Im Amsterdamer Exil, von 1937 bis 1947, wendet er sich auch Stilleben zu. Reisen war nicht mehr möglich. 1937 wurden 28 seiner Gemälde und über 500 Grafiken aus deutschen Museen entfernt. Beckmann selbst war schon 1933 aus der Frankfurter Städelschule, wo er lehrte, entfernt worden. 1937 in Amsterdam (die »Entartete-Kunst«-Schau hatte ihn endgültig vertrieben) malte Beckmann als erstes das Stilleben »Türkenbundlilien« – ein düsteres Bild. Es seien »angespannte, nervöse« Lilien, sagte dazu Karin Schick, die Kuratorin der Ausstellung in der Pressekonferenz. Auf dem Tisch im Bild liegt ein aufgeschlagenes Buch – vielleicht der Theosophie –, er habe sich auch damit befaßt. Durchs Fenster scheint ein leuchtender Sichelmond. Die Lilien sind aufsässig, streben nach allen Seiten weg. Ein altes Arzneibuch spricht von der »edlen Wurz martagon« (die Türkenbundlilie), die alle Schlösser und Banden sprengt. Wer sie nachts bei sich trägt, wird sich nicht fürchten. Albertus Magnus: Die »melancolici« sollen die Zwiebel in einem Tüchlein bei sich tragen. Ob das Bannen dieser Pflanze auf Leinwand half? Der Name »martagon« soll in alchemistischer Sicht auf den Planeten Mars bezogen sein – der Krieg wurde schon vorbereitet.
Ein anderes Gemälde von 1937: »Stilleben mit Strelitzien und gelben Orchideen«. Die Strelitzien, wie Schnäbel von Raubvögeln, Waffen. Und noch einmal Blumen. Max Beckmann und seine Frau Mathilde von Kaulbach (Quappi) machten in Holland lange Radtouren, mancher Strauß wurde gepflückt. Ein »Stilleben mit Fingerhut« von 1943. Vor der Vase steht die blaue chinesische Kröte, zum Sprung bereit. Die Blüten (giftig) sitzen wie kleine Vögel nebeneinander. Wieder ein offenes Buch auf dem Tisch. In Amsterdam begann Beckmanns Herzkrankheit. Ob er von der Heilwirkung des Fingerhuts wußte? Andere Stilleben aus dieser Zeit sind Erinnerungsbilder. Die Landschaft der französischen Riviera, durchs Fenster in Amsterdam scheint sie ihm – das Meer bei Bandol, aufgewühlt vom Wind. Ins Tagebuch schrieb er am 26. November 1944: »Unangenehmer Tag, mit Luftgefechten, Bombenabwurf … ›Café Bandol‹ – müde.« Auf dem Bild, durchs Fenster: Segelboote, die untergehende Sonne, Menschen am Strand, Palmen. Eine Landschaft der Sehnsucht. Es entstehen auch zärtliche Bilder mit Quappi im blauen Kleid – immer Blumen, in Vasen. Nur Innenräume. Oft ist die Muschel dabei – vielleicht ein erotisches Symbol. Oder bedrohlich die Öffnung. Die Dinge im Raum gewinnen ein Eigenleben. Weingläser scheinen selbst betrunken zu sein, die Flasche ist schon am Fallen. Schuld ist wohl die Katze – kaum zu sehen, weil schwarz – auf der Tischdecke. Ein Stilleben von 1929, da lebten die Beckmanns in Paris.
Vom gleichen Jahr die umgestürzten, erloschenen Kerzen. Weintrauben daneben. Vanitas-Symbol oder Zeugen wilden Lebens? Spiegel finden immer einen Platz im Stilleben. Spiegel, die Dinge sichtbar machen, die im Raum verborgen sind – oder die gar nicht existieren. Wie bei dem »Stilleben mit Toilettentisch« von 1940. Auf dem Spiegel eine schwarzhaarige Frau, aufs helle Meer mit Segelbooten schauend. Im Zimmer ein Fenster, durch das die Nacht scheint, schwarz, die Realität. So verunsichert der Maler den Betrachter. Auch mit seinen Fischen, die bedrohlich wirken mit aufgerissenem Maul und Haifischzähnen. Still-Leben? Das Werkzeug des Malers, die Paletten, er stellt sie auf einem Bild von 1944 so auf, als sei es ein Zaun, der abgrenzt oder einengt. Eine Kerze muß reichen als Lichtquelle – es gab das Verdunkelungsgebot. Im Januar 1945 beginnt Beckmann ein Bild, bezeichnend für seinen Zustand der Resignation: ein »Totenkopfstilleben«. Drei Monate arbeitet er daran. Auf einem blutroten Tisch liegen drei Schädel, die zu grinsen scheinen, sie leuchten wie Gold. Spielkarten, eine erloschene Kerze, eine Weinflasche. Dahinter drei leere Stühle. Am 10. April schreibt er in sein Tagebuch: »Totenköpfe wirklich fertig. Ganz lustiges Bild – wie überhaupt alles ziemlich lustig und immer gespensterhafter wird.« Am 7. Mai kommen die Alliieren nach Amsterdam.
1947 wandern die Beckmanns in die USA aus. Ihm war eine Professur in Saint Louis angeboten worden. Später ziehen sie nach New York. Dort arbeitet er an seinen letzten Stilleben. Das Bild »mit Spiegel und Türkenbund« zeigt ein Gemälde an einer weißen Wand – im Spiegel. Darauf eine Gestalt im langen schwarzen Gewand. Warum kam er auf diese Blumen zurück? Das große »Stilleben mit Cello und Baßgeige« – beide Bilder entstanden1950. Auch hier ein Türkenbundstrauß, auffallend in der Mitte. Das Cello liegt, Notenblätter darauf – runde, weibliche Formen. Die Baßgeige, groß, kantig und aufrecht stehend. Eine brennende Kerze auf dem Tisch. Fastnachtsutensilien, zwei Champagnerflaschen. Auf dem Notenständer turnt ein kleiner Affe. Alles wirkt wie eine Theaterdekoration, Bühnenbild mit zwei Ausgängen. Welcher ist der richtige? Ist es eine Erinnerung daran, wie er 1924 der Musikstudentin Mathilde in Wien – auf einem Faschingsfest – begegnet ist?
1950, am 27. Dezember, bricht Beckmann bei einem Spaziergang in der Nähe des Central Parks mit einem Herzinfarkt zusammen. Da ist er 64.
Katalog: Max Beckmann: »Die Stillleben«, Prestel Verlag, 200 Seiten, 29 €