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Titel1915

Viele Kardinalfehler und ein paar Klarsichtige  (Ingrid Zwerenz)

Zufall oder Absicht? frage ich mich, doch das ist gleichgültig, wenn man sich am Resultat erfreut. Am 3. September 2015 ist auf der ersten Seite des FAZ-Feuilletons links ein Artikel plaziert über Fürstin Gloria von Thurn und Taxis und ihre Weihefestspiele in Regensburg für den von ihr angebeteten katholischen Klerus vor »handverlesenem« Publikum – dazu wird eine Neuerscheinung mit dem Titel »Gott oder nichts« aufgeboten, Lobpreisungsredner ist der erzreaktionäre Kardinal Gerhard Ludwig Müller, Autor des Buches der aus Guinea stammende Robert Sarah, ein Schwarzer, offenbar tätig als Weißwäscher für alle seine Glaubensbrüder. In der Müller-Rede wimmelt es von Attacken auf deutsche Amtsträger, die nicht aus dem tiefsten Mittelalter beziehungsweise aus dem Mustopp stammen und agieren. Kardinal Müller jubiliert für den Verfasser Robert Sarah und die Ewiggestrigen im religiösen Gewande – das erinnert mich an die 68er und deren kernigen Spruch: »Unter den Talaren Muff von tausend Jahren«. Laut FAZ-Bericht war folgerichtig die »Luft im Saal bald verbraucht«.


Verdammt wird der »atheistische Naturalismus«, Gastgeberin Gloria bedankt sich bei Müller hellauf begeistert für die klerikale Hetzrede. Ehe mir von der Lektüre übel wird, nehme ich als Therapeutikum einen in der Seitenmitte gedruckten Filmfestspiele-Bericht aus Venedig zu mir, geschrieben von der stets lesenswerten Verena Lueken. Sie liefert mit einem spezifischen Begriff das Gegengewicht zum unerträglichen kritiklosen apologetischen Gewäsch der Gloria-Gäste – Frau Lueken nennt die Filmthemen am Lido: »Von Kindersoldaten über die erste Mann-zu-Frau-OP zu den Missbrauchsskandalen in der katholischen Kirche« (Unterstreichung von mir, I.Z.). Ein Hoch auf den Seiten-Layouter, dem diese phantastische Nachbarschaft der beiden FAZ-Berichte gelungen ist. Das ist ein Weg von den unverschämten Selbstbeweihräucherungen der Vertreter Gottes auf Erden zur Realität. Frau von Thurn und Taxis grub sich ja vor Jahren ins kollektive Gedächtnis ein mit ihrem Satz über Schwarze, die Aids-Infektionen wohl nie besiegen werden, weil »sie so gern schnackseln«. Sie zielte damit auf afrikanische und andere farbige Völker. Den Hinweis hätte sie mal lieber an die von ihr favorisierten weißhäutigen »Schwarzen« unter Kirchendächern richten sollen, die mit ihnen anvertrauten Kindern gegen deren Willen schnackselten, das heißt mit Gewalt sexuellen Handlungen unterwarfen. Daran erinnert zu haben, ist Frau Lueken hoch anzurechnen, während in derselben FAZ-Ausgabe Jubel-Arien über religiöse katholische Fanatiker offeriert wurden. Die Schlossherrin vom Emmeram hält gegenüber den falsches Leuten ihre Zunge im Zaum und attackiert Menschen, die nicht in ihr Weltbild von vorvorvorgestern passen – kurz gesagt eine Große-Klappe-Fürstin.


Wie bedauerlich, dass Gerhard Zwerenz die Korrektur der immer stärker um sich greifenden Verlogenheiten nicht mehr erlebt hat. Vor Jahrzehnten – wir wohnten damals noch in Köln – entdeckte er in der Welt am Sonntag einen Artikel des radikal auf rechts genähten Hans Georg von Studnitz (1907–1993). Der unschätzbare Otto Köhler ordnete diesen Journalisten und dessen Kumpane, die während des Dritten Reiches und noch in der folgenden BRD genauso reaktionär agierten, in einem 1989 publizierten Buch bei den »Schreibmaschinen-Tätern« ein. Während der Arbeit am Studnitz-Elaborat muss einem Setzer der Geduldsfaden gerissen sein, das las sich dann so: »Die Weißen ließen nicht mehr scheißen und verloren ihr Gesicht.« Die kleine Verschiebung von ie zu ei ersetzt lange Erläuterungen. Gerhard zitierte diese publizistische Perle immer mal wieder, Genaueres kann ich in diesen Wochen meiner tiefen Trauer nicht eruieren.


Doch soll das ja hier kein Nekrolog werden, daran haben es viele Freunde und – kaum zu glauben – auch manche bisher eher als zwerenz-feindlich zu definierende Autoren in Print- und Fernsehmedien nicht fehlen lassen. Vielleicht habe ich unbewusst etwas ausgewählt, an dem sich Gerhard damals sehr erheiterte. – Eine Alternative?