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Titel1915

Krieg führen – allein oder mit wem?  (Christiane Reymann)

Deutschland kann nicht mehr allein einen Krieg vom Zaun brechen und führen. Das ist die gute Nachricht. Ihren Grund hat sie weniger in Spitzenprodukten deutscher Militärtechnik wie dem verbogenen Sturmgewehr G 36 oder dem am Boden dümpelnden Transporthubschrauber NH 90, sondern in einer Veränderung der Kräfteverhältnisse in Europa und weltweit. Die schlechte Nachricht ist: Deutschland führt Krieg, unterstützt Kriege und militarisiert die eigene und die Außenpolitik der EU. Beginnend mit dem NATO-Krieg gegen Jugoslawien ist Deutschland an allen von der NATO oder den USA geführten Militäreinsätzen und Kriegen direkt beteiligt oder indirekt mit Aufklärung, logistischen Diensten oder Nachschub, wichtiges Drehkreuz dafür ist Ramstein. Seit der Vereinigung gehen alle Bundesregierungen von der Idee aus, dass die eigenen Möglichkeiten zum militärischen Eingreifen entscheidend sind für den Platz Deutschlands in der Welt. Folglich wird aufgerüstet, immer rascher und kostspieliger.


Lange vor der von Gauck beschworenen Verantwortungsübernahme war zuerst die rot-grüne Bundesregierung in »Kontinuität« zur »Normalität« und »größerer Verantwortung« übergegangen, so die Schlagworte von damals. In »Kontinuität« des atlantischen Bündnisses und der militärischen Präsenz der USA in Europa sollte die »Normalität« hergestellt werden, dass die militärische Karte zum außenpolitischen Instrumentarium eines souveränen Staates gehöre. Internationale »Verantwortung« ergebe sich aus der Größe und geografischen Lage. Das Neue war, dass Deutschland seine »internationale Verantwortung« nicht mehr allein wahrnehmen wollte, sondern gemeinsam mit anderen, indem es sein Gewicht in internationalen Organisationen, namentlich in der EU, zur Geltung brächte. Weitgehend unbekannt ist, dass die EU schon jetzt einen Generalstab, einen Militärstab und mit ihrem politischen und sicherheitspolitischen Komitee ein wöchentlich geheim tagendes Gremium hat, in dem die Mitgliedsstaaten und die NATO jeweils durch ihre EU-Botschafter vertreten sind. Das strategische Ziel der jetzigen Bundesregierung ist der Aufbau einer europäischen Armee, so steht es im Koalitionsvertrag. Und die EU soll, neben der NATO, ein internationales Dach für Militäreinsätze sein und mehr noch werden.


Und die USA? Kann die mit Abstand stärkste Wirtschafts- und Militärmacht der Welt allein Krieg führen? Alle großen Kriege der letzten Jahrzehnte sind von Washington und dem Pentagon initiiert oder mit ihrer Unterstützung geführt worden. Georg Schramm fasst sie zusammen als »den Krieg der Reichen gegen die Armen«. Dieser Krieg »wandert« vom ehemaligen Jugoslawien nach Afghanistan, Irak, in den Nahen und Mittleren Osten, vom Mahgreb hinunter nach Mali, über Zentralafrika und Sudan an das Horn von Afrika, nach Jemen, wieder gen Norden und Osten über Pakistan an die Südflanke der ehemaligen Sowjetunion, und jetzt kommt dieser Krieg zurück nach Europa, in die Ukraine. Er hat unterschiedliche Akteure, doch immer mit dabei sind die USA. Mit den Folgen ihrer Kriege kommen sie freilich immer schlechter zurecht, hinterlassen sie doch keinen Frieden, noch nicht einmal Befriedung, sondern Feinde. Das mag ein Grund sein, warum sich eine Veränderung der US-amerikanischen Strategie andeutet. Militärisch bleiben sie mit ihrem exorbitanten Rüstungshaushalt zur alleinigen Kriegsführung fähig, politisch sind Partner opportun, manchmal notwendig.


Innenpolitisch ist die Kriegsmüdigkeit der US-Bevölkerung zu einem Faktor geworden. Barack Obama nimmt sie sensibler wahr als republikanische Haudegen. Außenpolitisch können die USA bei alleinigen Aggressionen ihr Interesse an Macht, Einfluss, Zugriff auf Rohstoffe kaum mehr bemänteln; Einsätze von Koalitionen (der Willigen, besser noch mit Mandat der EU oder der UN) lassen sich eher als Engagement für Menschenrechte, Frieden oder Stabilität verkaufen. Allerdings verliert auch diese Legende an Glaubwürdigkeit. Schließlich zieht die US-Administration aus den fatalen Misserfolgen in Afghanistan und Irak die Konsequenz: Nicht mehr alles selber machen, vielmehr andere kämpfen lassen. Nicht mehr mit Krieg, Invasion und Besatzung wollen die USA überall dort, wo sie es wünschen, einen Regime-Change herbeiführen. Das sollen jetzt Kräfte von innen besorgen, notfalls wird ihnen, wie in Libyen, der Weg frei gebombt. Statt eigene Kasernen, Lazarette, kriegswichtige Infrastruktur in fremden Ländern aufzubauen, statt Panzer und Raketen über den großen Ozean zu transportieren, setzten die USA auf Militärausbildung in anderen Ländern, ebenso auf Ausbildung und Bezahlung zukünftiger politischer und propagandistischer Führungskräfte und auf Lieferung von Rüstungsgütern gegen Kredit. Die Zügel behält Washington in der Hand dank seines wirtschaftlichen und politischen Gewichts sowie der militärischen Dominanz. Diese Taktik kann unterschiedlichen Bedingungen angepasst werden. Beispiel: Kampf gegen den Islamischen Staat (IS). Air-Force-Flieger bombardieren, unten kämpfen und sterben Kurden und Syrer. Daneben bleibt die vorhandene Maschinerie bestehen. Aus Afghanistan etwa ziehen die USA beileibe nicht ab, vielmehr werden über Jahre hinweg 10.000 ihrer Soldaten am Hindukusch bleiben als Ausbilder, zur Sicherung der Ausbilder und zugleich als Speerspitze in Richtung Zentralasien.


Der Übergang vom Einzelkämpfer zum Kriegs-Koalitionär ist bislang nur eine Tendenz, sie schließt alleinige Aggressionen nicht aus. Wenn etwa Jeff Bush die nächste Präsidentschaftswahl gewinnen sollte, wird wohl McCain oder eine Person seines Typs Außenminister, also jemand, der Konflikte anheizt und militärisch zuspitzt. Macht Hillary Clinton das Rennen, wird sich auch nicht viel ändern.


Die Tendenz zum Kriegs-Koalitionär ist auf veränderte politische Kräfteverhältnisse zurückzuführen, die sich besonders deutlich im Nahen und Mittleren Osten zeigen. Hier können die USA nicht mehr als Hegemon nach ihrem Gutdünken schalten und walten, sie müssen sich in (wechselnde) Allianzen mit anderen Mächten begeben, die ihrerseits hegemoniale Interessen in der Region verfolgen. Alle Partner dieser Allianzen auf Zeit brauchen sich in bestimmten Momenten gegenseitig, sie hören dabei aber nicht auf, Konkurrenten zu sein. Regionale Hegemonialmacht im Nahen und Mittleren Osten wollen Saudi-Arabien, die Türkei und Ägypten sein, Iran verfolgt zurzeit diesen Anspruch nicht (mehr). Alle drei beteiligten sich an dem von Saudi-Arabien angeführten, von den USA unterstützten Luft- und Seekrieg gegen die Ansarullah-Kämpfer (Huthis) im Jemen. Der Jemen ist zwar bitterarm, aber für die USA global von strategischer Bedeutung, Großbritannien hat den Jemen zum Schwerpunkt seiner Außenpolitik erklärt, Saudi-Arabien will mit dem Krieg zugleich seinen politischen und religiösen Feind Iran treffen, während die USA und der Iran sich gerade mit den abgeschlossenen Verhandlungen über Teherans Atomprogramm einander annähern, dessen Ablehnung wiederum Saudi-Arabien und Israel zu einer bizarren Allianz zusammengeführt hat: Beide wollen eine Einigung im Atomstreit torpedieren. Der türkische Ministerpräsident Erdoğan hingegen hat bei einem Besuch im Iran in einer gemeinsamen Erklärung mit dessen Außenminister Sarif das Ende des Krieges im Jemen und eine politische Lösung gefordert; Iran ist der Haupthandelspartner der Türkei. Saudi-Arabien, treuester Verbündeter der USA in der Region, hatte die Machtübernahme al-Sisis und des Militärs in Ägypten unterstützt als Schlag gegen die Muslimbrüder, mit denen aber Erdoğan verbandelt ist und denen sich die Obama-Administration wieder zuwendet als Instrument im Kampf gegen den IS und als Brücke zu den Volksmassen im Nahen und Mittleren Osten. Und ausgerechnet Ägypten macht zum ersten Mal in der Geschichte ein Seemanöver mit der russischen Marine im Mittelmeer nahe der syrischen Küste. Soweit ein Schlaglicht auf die Verquickung je eigener Interessen unterschiedlicher Akteure im Nahen und Mittleren Osten, die Washington berücksichtigen und in Kriegs-Koalitionen austarieren muss. Würden die USA allein vorpreschen, könnten sich die Anwärter auf regionale Vorherrschaft gegen die imperialistische Macht von außen verbünden.


Auch in Europa sind Allianzen dienlich. Die USA jonglieren mit wechselnden Partnerschaften und spielen die einen gegen die anderen aus. Aktuell wünschen sie, dass die Ukraine, Georgien und Moldawien Mitglieder der NATO werden. In dieser Beziehung hält sich die Bundesregierung zurück. In Georgien und der Ukraine haben US-Thinktanks und Kaderschmieden zunächst die Farbenrevolutionen unterstützt, früher und umfangreicher als ihre Verbündeten aus dem »alten Europa« waren sie in der Ukraine präsent, wo das US-Militär mit einer umfänglichen Ausbildung von Militärs für das Kiewer Regime begonnen hat; aktuell ist die Lieferung von schwerem militärischem Gerät im Gespräch. Diese Zuspitzung verstößt gegen die NATO-Russland-Akte. Weil einige NATO-Mitglieder, unter ihnen Deutschland, eine Eskalation vermeiden wollen, benutzen die USA dafür nicht die NATO (obwohl sie dort eine satte Mehrheit haben), sondern das »neue Europa«: Polen und Litauen verlangen ebenfalls nach schwerem Militärgerät aus den USA und fordern lautstark militärischen Schutz gegen eine russische Bedrohung.


Die NATO als Ganzes folgt den USA nach Asien in den pazifischen Raum, dem neuen Dreh- und Angelpunkt US-amerikanischer Militär-, Handels- und Außenpolitik. Die NATO hat bereits Kooperationsabkommen mit Südkorea, Japan, Singapur, den Philippinen, Neuseeland und Australien geschlossen und verhandelt mit weiteren Ländern, darunter, besonders pikant, mit Vietnam. Einst als Atlantikpakt gegründet mit dem klar definierten Wirkungsbereich bis zum nördlichen Wendekreis des Krebses, ist die NATO heute ein weltweit agierendes imperiales Militärbündnis. Verteidigung war, wenn überhaupt, gestern. Heute bedroht die NATO alle Staaten, die eine eigenständige Entwicklung und von den Großmächten unabhängige Wege suchen. In Europa richtet sich die NATO gegen die Noch-Macht Russland, im pazifischen Raum gegen die aufstrebende Macht China. Wo die NATO schon ist, ist die Europäische Union nicht weit. In ihren zuletzt 2012 aktualisierten Richtlinien zur Ost- und Südostasienpolitik hat die EU ausdrücklich festgehalten, sie suche die »Zusammenarbeit mit den USA bei außen- und sicherheitspolitischen Herausforderungen in Bezug auf Ostasien«. Ob dann die von Deutschland gewünschte und forcierte Europa-Armee im Konfliktfall nach Vietnam oder Japan ausrückt?