Die Katastrophen in Aleppo und anderen Wohnorten in Syrien sollten uns in größte Unruhe versetzen. Vor allem all jene, die politische Verantwortung tragen. Die Ereignisse in Syrien laufen auf einer ähnlichen Handlungslinie ab, wie wir sie in Afghanistan, Libyen, dem Irak beobachten konnten. Das Management zur Schaffung von Chaos und zur Anzettelung von Konflikten ist nicht neu. Im Ergebnis verlieren Menschen ihr Leben oder ihre Heimat. Städte und die wirtschaftliche Infrastruktur liegen in Trümmern.
In Syrien und angrenzenden Territorien kämpfen um die 20 Länder direkt, oder sie sind mit Waffenlieferungen und Logistik beteiligt. Es geht um Interessen, die nicht die der Bevölkerung sind. Es stellt sich die Frage, ob zurzeit eine Lage heranwächst, aus der Weltkriege entstehen? Präsident François Hollande warnte Ende August seine in Paris versammelten Botschafter: »Die vielfachen widersprüchlichen Interventionen bergen das Risiko eines großen Flächenbrandes« (NZZ, 2.9.16).
Die Katastrophe ist Menschenwerk! Die Tragödien zweier Weltkriege, den Holocaust und Hiroshima haben die Verantwortlichen anscheinend vergessen.
Voltaire beklagte 1775 in einem noch heute lesenswerten Essay, dass sich die Vernunft und ihre Tochter, die Wahrheit, verstecken mussten (Sammlung Dietrich, Voltaires Werke Bd. II). Die damalige, keinesfalls gute Lage bestimmten in Rom »die Schwestern Habsucht und Schurkerei. In ihrem Auftrage sah man durch ganz Europa Unwissenheit, Fanatismus und Tollheit eilen.« Bis dahin herrschte, schrieb Voltaire weiter, »das Recht des Stärkeren. Es gab Völker, die die Vernunft in ihrer langen Entwicklung noch nie wahrgenommen hätten.«
Der Grund für Voltaires Sorge um die Vernunft und ihre Tochter, die Wahrheit, dauert wohl noch an.
Beharrlich wirkende Humanisten aus Wissenschaft, Politik, Kunst, Rechtswesen, Medien et cetera haben in der Epoche der Aufklärung die Zeit- und Machtumstände in Europa langsam verändert. Die Vernunft und ihre Tochter konnten sich wieder hie und da in der Öffentlichkeit blicken lassen. Leider waren und sind die Rückschläge immer wieder gewaltig, wurden und werden die Anhänger der beiden in vielen Ländern weiterhin erschlagen.
Die Vernunft und die Wahrheit sind auch in Deutschland rare Wesen. Machtpolitiker pflegen zu wenig Umgang mit beiden.
Die Zivilcourage gegen die Mächtigen und die Aufklärung über die Zusammenhänge sind in keiner guten Verfassung, auch nicht das deutsche Grundgesetz. Unsere Verfassung und ihre vielen Durchführungsgesetze verhindern nicht wirksam Waffenlieferungen, logistische Hilfen oder den Einsatz deutscher Frauen und Männer in Konfliktzonen. Es mangelt an friedensstärkenden Gesetzesregelungen. Bürgerliche Politiker und Medien beeilen sich zu erwähnen, dass sich die Teilnahme an den Konflikten im Rahmen des Rechts bewege. Keine der mehrheitstragenden bürgerlichen Parteien fordert hingegen, Gesetze zu ändern oder konsequent anzuwenden, um der Vernunft Geltung zu verschaffen.
Kriege sind Menschenwerk, und sie können von Menschen verhindert werden, vorausgesetzt, sie stellen im Parlament über Wahlen die Mehrheiten.