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Titel1916

Die Geldgeber der Nazis  (Gerd Bedszent)

Adolf Hitlers Rolle als Steigbügelhalter der deutschen Konzerne war jahrzehntelang ein maßgeblicher Streitpunkt von Historikern aus Ost und West. Seit 1990 scheint der Streit entschieden. Die Dimitroffsche Definition vom Faschismus als »terroristische Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals« gilt seitdem als widerlegt.

 

Entsprechend den Abhandlungen verschiedener bundesdeutscher und US-amerikanischer Historiker erscheint nun eine kleine Gruppe führender Nazis als Alleinschuldige an Weltkrieg und Völkermord. Und wenn einzelne Unternehmen die Nazipartei finanziell unterstützt haben, so waren dies selbstverständlich Ausnahmen. Nein, mit dem Aufstieg der Nazis zur Regierungspartei und der Errichtung einer brutalen Diktatur hatte die Masse der deutschen Großindustriellen überhaupt nichts zu tun.

 

Es musste nun ausgerechnet ein ehemaliger ostdeutscher Stahlwerker sein, der sich kürzlich getraute, den Streit noch einmal aufzugraben. Der 1972 in Eisenhüttenstadt geborene Karsten Heinz Schönbach promovierte 2012 bei dem bekannten Faschismusforscher Wolfgang Wippermann an der Freien Universität Berlin. Und in seiner nun in Buchform vorliegenden Arbeit tritt er den Beweis an, dass die marxistische Geschichtsschreibung in Bezug auf Förderung der Nazis durch maßgebliche Teile der deutschen Industrie Recht hatte. Und dass die die deutschen Konzerne entlastenden Arbeiten bürgerlicher Historiker nicht weniger ideologisch motiviert waren, als die ihrer marxistischen Kontrahenten.

 

Die NSDAP wurde von zahlreichen führenden deutschen Großindustriellen und Finanzgiganten finanziell hochgepäppelt und gezielt als demokratiefeindliche Massenpartei aufgebaut. Hitlers auf einen neuen Krieg zielende Politik entsprach hundertprozentig den Interessen großer Teile der deutschen Wirtschaft; auch sein Kurs auf Errichtung einer offenen Diktatur. Die Distanzierung der Wirtschaftsgrößen von dem Naziregime erfolgte zumeist erst, als die militärische Niederlage im Zweiten Weltkrieg offensichtlich war.

 

Schönbach hat, um den Beweis für diese Thesen anzutreten, eine ungeheure Fleißarbeit geleistet: nicht nur bisher vorliegende Sekundärliteratur durchgearbeitet, sondern vor allem bisher noch nicht erschlossene Firmenarchive gesichtet. Allerdings stieß er nach eigenen Angaben überall auf Lücken – zahlreiche Unterlagen, die die Zusammenarbeit der damaligen Firmenleitungen mit der Naziführung belegten, seinen offensichtlich in den letzten Jahrzenten gezielt vernichtet worden. Zu verschiedenen Aktenvorgängen wurde ihm keine Einsichtnahme gewährt – offenbar besteht bis heute kein Interesse an einer objektiven Aufarbeitung der Kumpanei deutscher Industrieller mit dem Naziregime.

 

Dennoch wurde Schönbach an genügend Stellen fündig, um die Unterstützung der NSDAP durch maßgebliche Kräfte des deutschen Kapitals belegen zu können. Auch unterzog sich der Autor einer ganz simplen Rechenaufgabe: Er ermittelte den jährlichen Finanzbedarf der NSDAP in den verschiedenen Phasen ihrer Entwicklung und rechnete die Einkünfte der Partei in Form von Mitgliedsbeiträgen und Literaturverkauf dagegen. Das Ergebnis war ebenfalls eindeutig: In keiner Phase ihrer Entwicklung war die Nazipartei auch nur ansatzweise in der Lage, sich ohne größere Spenden selbst zu tragen. Und solche Geldspenden konnten nur aus den Reihen der Industriellen und der großen Agrarunternehmen kommen.

 

Wie im Buch zitiert, schrieb bereits 1930 Joseph Goebbels triumphierend in sein Tagebuch: »Große Teile der Wirtschaft stehen heute schon bedingungslos bei uns.« Schönbach beschreibt, dass ab dem Jahr 1932 die NSDAP den größten Teil aller Wahlkampfspenden der Finanzelite abfasste.

 

Der Autor zitiert zahlreiche Briefe, Aktennotizen und Reden führender Industriebarone, in denen ganz offen rassistisches und antisemitisches Gedankengut geäußert wurde. Hitlers Redemanuskripte zirkulierten in Kreisen von Direktoren und Aktionären und stießen mehr und mehr auf begeisterte Zustimmung. Im Februar 1933 kam es zu einem Treffen von Spitzen der deutschen Wirtschaft, bei dem sie ihre auf Errichtung einer offenen Diktatur hinauslaufenden Wünsche mit der Führung der Nazipartei abstimmten. Die überlieferten Teilnehmer – leider liegt eine vollständige Liste nicht vor – stammen allesamt aus den führenden Kreisen von Bergbau und Schwerindustrie.

 

Leider hat Schönbach die Zusammenhänge zwischen der in den 1930er Jahren eskalierenden Weltwirtschaftskrise und der in dieser Zeit mit Brachialgewalt vorangetriebenen Machtergreifung der Nazis nur unzureichend beleuchtet. Immerhin geht aus seinen Recherchen über die Zeit nach 1933 eindeutig hervor, dass die Hochrüstung der Nazis von allen großen deutschen Banken kreditiert wurde. Und es war diese kreditfinanzierte Rüstung, die der deutschen Industrie aus der krisenbedingten Talsohle verhalf.

 

Schönbachs Arbeit bricht leider mit dem Jahr 1943 ab. Letzter Schwerpunkt des Werkes ist der Nachweis einer zunehmenden Entfremdung zwischen der Deutschen Reichsregierung und ihren ehemaligen Förderern. Erstere hatte – anders als bei der Eroberung anderer europäischer Staaten – nach der Besetzung großer Teile der Sowjetunion die in den eroberten Gebieten befindlichen Industriestandorte den deutschen Konzernen nicht für einen Pappenstiel überlassen wollen, sondern sie zunächst in eigener Regie weiterbetrieben.

 

Die Schilderung, wie gegen Ende des Krieges ehemalige Förderer der Nazipartei die Fronten wechselten und so große Teile ihrer Vermögen retteten, sucht man im Buch vergeblich. Auch finden wichtige Werke der modernen Faschismusforschung, besonders zu den ideologischen Wurzeln von Rassismus und Antisemitismus, im Buch kaum Beachtung.

 

Dennoch: Eine außerordentlich wichtige Arbeit. Der Autor ist vor allem für seinen Mut zu beglückwünschen, sich dieses immer noch brisanten Themas angenommen und seine Recherchen trotz aller Widrigkeiten beendet zu haben.

 

Werden jetzt in der bundesdeutschen historischen Wissenschaftslandschaft alle diesbezüglichen Lehrpläne wieder revidiert? Diese Gefahr besteht wohl eher nicht. Geschichtsschreibung berücksichtigt vor allem die Sicht der Sieger. Und wissenschaftliche Meinungen, wenn sie einmal als durchgesetzt gelten, bleiben selbstverständlich in den Lehrplänen stehen. Auch dann, wenn sie erwiesenermaßen falsch sind.

 

Karsten Heinz Schönbach: »Die deutschen Konzerne und der Nationalsozialismus 1926–1943«, trafo Verlag, 658 Seiten, 59,80 €