Meine Spaziergänge führten ins Tiyatrom, das ist türkisch und bezeichnet das Berliner türkische Theater, gelegen in Kreuzberg, Alte Jakobstraße 12. Dort gastierte im Mai und Juni das Ensemble Gad Berlin mit einer Bühnenfassung von Eugen Ruges »Und GAD ging zu David« nach der Autobiografie von Gad Beck, eine Uraufführung mit Musik von Jens-Uwe Günther in der Regie von Horst Ruprecht. Die Planungen für eine Wiederaufnahme im Oktober/November 2016 laufen.
Der Ursprung des Stoffes beziehungsweise der Geschichte ist biblisch: Es gibt mehrere Bezugnahmen im Tanach, zu nennen wäre der Prophet, der David das Gericht zur Volkszählung anzukündigen hatte (2. Buch Samuel 22, 5), eine eher geringfügige Story. Beck erzählt vom Ungeheurig-Schauerlichen in Deutschland allgemein und Berlin im Besonderen hinter dem Weimarer Glamour seit dem Hitler-Ludendorff-Putsch am 8./9. November 1923 bis Mai 1945. Es ist die Geschichte eines Überlebens durch allerlei Geschicklichkeit und Solidarität, genauer gesagt, die Geschichte des Überlebens von Juden, die Geschichte von Gad Beck, der noch andere retten konnte, durch Intelligenz und Mut. Nun gut! Ich habe über Strecken des ermüdenden Abends mein Leben wiedererkannt, das war so leicht wie schmerzlich. Aber Neues kam nicht, so hätte auch ein Abend vor 50 Jahren aussehen, sich anhören können. Indes – Verfolgungen sind weitergegangen, Verfolgungen sind ein universelles Problem. Dazu brachte der Abend nichts.
Nun besagt ein wichtiges jüdisches Gesetz: »Drum bewahret Gedächtnis!« Das Nichtvergessen ist Pflicht! Insofern ist auch ständige Wiederholung angemessen. Doch es gibt ein Darüberhinaus, ein universelles. Davon brachte die eher mittelmäßige Textfassung kaum etwas. Dafür wurde nun die Homosexualität Becks eingesetzt. Den Nazis waren sie beide Feind: Juden und Homosexuelle. Beide litten und starben in den KZ, nur mit anderem Winkel. Doch die bescheidene Spielfassung erträgt das nicht. Die große Vielheit von NS-Verbrechen, dar- und offengelegt, gerichtet und verurteilt, kann nur in einem großen epischen Gesamtkunstwerk gestaltet werden. Die Falten des Stücks konnte auch die beste Regie nicht ausbügeln. Ruprecht hat jede Menge von Theatermitteln eingesetzt, spielen lassen, sein wahrhaft politisches Antilangeweile-Theater ausgebreitet, dass es Lust hätte sein können. Leider am falschen Ort. Der Fassung konnte er nicht aufhelfen, das große antifaschistische Thema blieb beinahe auf der Strecke, anderes verstellte den Blick.
Um noch eine gute Absicht deutlich zu machen: Der Regisseur hat zahlreiche Spieler gesammelt, gut ausgebildete, die kein oder nur begrenzte Engagements haben – gut so! Nur merkte man die verschiedenen Schulen, so dass der Ensemble-Wert nicht so ganz herauszuformen war. Schade, aber der Griff als Ganzer bleibt positiv. Schauspieler müssen eben spielen, sonst wachsen und reifen sie nicht. Irgendjemand schrieb auf einem Werbeblatt über die Theaterfassung: »jüdische Chuzpe« und »Berliner Schnauze«. Böser konnte man kaum fehlgreifen: »Chuzpe« kommt aus dem aramäischen »Chuzba«, bedeutet »Anmaßung«, »Frechheit« oder »Unverschämtheit«. Und das über diesen Stoff, dieses Spiel? Wer tut nur so etwas? Und just die sogenannte Berliner Schnauze war so ziemlich das falscheste, was man diesem ohnedies belanglosen Spiel antun konnte. Ruprecht selbst spricht sie nicht, wie konnte er sie zulassen?