Schon wenige Wochen nach Rio werden die 2016er Spiele zur olympischen Geschichte gehören, denn nach den Spielen ist vor den Spielen, und dazwischen rappelt sich die neue Olympiade.
Vor, in und nach Rio war allerdings weder zu übersehen noch zu überhören, dass das kreuzgefährliche politische Klima, kaum noch auf die vereinfachte Formel West gegen Ost oder umgekehrt zu reduzieren, auch vor dem weltgrößten Sportevent nicht haltmachte. Nur gut, dass die Verbundenheit der Sportler, die Ausgewogenheit des IOC-Präsidenten und der internationale Sportleim das Ganze im Wesentlichen noch zusammenhielten.
In einer Zeit, in der alle Potenzen friedlichen Kräftemessens und vernünftiger Zusammenarbeit gehütet werden sollten wie ein reifer Apfel im Herbstwind oder in Tucholskys fünfter Jahreszeit, wirkten die von der Bundesregierung ausgehenden Empfehlungen an die Bevölkerung, haltbare Lebensmittel, genießbares Wasser und warme Decken einzubunkern, geradezu kontraproduktiv zur olympischen Berichterstattung, und die kam schon recht zaghaft und unsicher daher. Und gehässige Feststellungen über die nicht immer idealen Bedingungen für die Athleten und die nicht immer fünfsternigen Leistungen für das umfangreiche Begleitpersonal haben sich inzwischen die bequemen Fußsohlen abgelaufen. Die zeitgleichen Informationen über die Verscherbelung weiteren deutschen Kriegsmaterials nach Werweißwohin, selbst wenn die Gewehre um die Ecke schießen oder es in den einen oder anderen Tank hineinregnet, konnten das internationale Karma auch nicht gerade beflügeln und den Brüdern, Schwestern und Cousinen Sicherheit vorgaukeln.
Bleiben wir aber bei den olympischen Bilanzen, und da ist festzustellen, dass der bundesdeutsche Leistungssport weiter an internationaler Substanz eingebüßt hat. Wie der Sportfachmann Klaus Weise am 23. August in der jungen Welt auflistete, erreichten die deutschen Olympioniken 1992 noch 82 Edelmedaillen, davon 33 güldene. 2016 gewannen die gesamtdeutschen Olympier nur noch Platz 5 in der Länderwertung, und das mit einem Medaillensegen von 42.
1992 wirkte wohl das DDR-Sportssystem mit all seinen Für und Wider noch nach, aber inzwischen ist das Hochzeitsgut in Metern und Sekunden weitgehend aufgebraucht. Die Chance, gute Erfahrungen und Praktiken aus Ost und West zusammenzuführen, ist trotz verschiedener Bemühungen verschlafen worden. Voreingenommenheit auf beiden Seiten, unterschiedliche Schwerpunktsetzungen und die vordergründige Gleichsetzung des DDR-Sports mit Doping und Stasi verhinderten oder erschwerten eine sachdienliche Vereinigung. Eine Arbeitsgruppe Sporttalenteschulen in Deutschland mit Vertretern aus beiden deutschen Ex-Territorien und eine Arbeitsgruppe zur Erneuerung der Kinder- und Jugendsportschulen (KJS) kamen zwar zustande, scheiterten aber an der Programmatik und am institutionellen Hintergrund. Die Deutsche Hochschule für Körperkultur und Sport Leipzig (DHfK) verlor ihre Eigenständigkeit und ging in die Universität Leipzig ein. Einige erfahrene Trainer und renommierte Sportwissenschaftler wurden ohne gründliche Prüfung ihrer Arbeitsumstände »abgewickelt«; einige von ihnen wurden »mit Kusshand« für einige Jahre vom Ausland übernommen und trainierten erfolgreich die Konkurrenz.
Streifen wir nochmals kurz die bundesdeutschen Bilanzen der Spiele von Rio, wird das Dilemma offensichtlich. Wenn der deutsche Kanuverband nicht noch am letzten Wettkampftag zwei Gold-, zwei Silber- und eine Bronzemedaille vorgelegt hätte, sähe das Ergebnis noch wesentlich trauriger aus.
Wo beispielsweise bleiben die traditionellen und medaillenträchtigen Sportarten Schwimmen und Leichtathletik in der deutschen Wertungstabelle?
Eine auch nur annähernd gründliche Analyse der bundesdeutschen Sportentwicklung übersteigt meine Möglichkeiten, nicht zuletzt wegen des inzwischen eingetretenen zeitlichen und persönlichen Abstandes. Meines Wissens liegen darüber beim Bundesinstitut für Sportwissenschaft in Köln auch umfangreiche Materialien und Veröffentlichungen vor.
Die Spiele von Rio – ihre Umstände und Resultate – haben jedoch einige meiner Erinnerungen und einige meiner Arbeitserfahrungen als langjähriger Direktor einer Kinder- und Jugendsportschule der DDR und Sportwissenschaftler angestachelt und zu einer Wortmeldung veranlasst, die ich gern in Folgebeiträgen vorlegen will.