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Titel1916

Gendern  (Daniela Dahn)

Liebes Frauenplenum, wer sich mit Kritik an Profis wendet und dabei selbst nicht restlos professionell ist, erntet natürlich Spott. Erst recht, wenn Frauen kritisieren und Satiriker (männliche) antworten – das tut mir nun Leid. Noch dazu, wo auch ich zu euerm Ärger beitragen werde.

 

Ich weiß spätestens seit der Wende, dass von den Ostfrauen, zumal von Schreibenden, mehr Sensibilität im Umgang mit dem generischen Maskulinum erwartet wird. Ich weiß aber auch: Wegen ungünstiger Witterung ist die westdeutsche Frauen-Emanzipation in die Grammatik verlegt worden. Der Gleichstellungsgedanke ist in Westdeutschland seit Ende der 70er Jahre zu einer weitgehend linguistischen Angelegenheit geworden. Wer mit der Sprache gendert, hat Problembewusstsein gezeigt und scheint damit der Pflicht enthoben, sich auch noch für praktische Verbesserungen einzusetzen. In einer Gesellschaft, die immer noch sexistisch ist. Ein Zusammenhang von Jahrzehnten der sprachverschandelnden Lippenbekenntnisse und echtem Bewusstseinswandel ist nicht nachweisbar. Mir geht es eher um die soziale Realität. Deshalb war es mir lieber, eine DDR-Frau sagte: »Ich bin Traktorist«, als dass sie, klüger geworden, gleich nach der Wende bedauerte: »Ich war Traktoristin.«

 

Wenn Herrschende sprechen, dann merkt man das am Inhalt, weniger an der Grammatik. Bei uns herrscht nun schon seit elf Jahren eine Frau, aber das scheint euern Furor nicht zu bremsen. Zweifellos hat der Mensch die Sprache erfunden. Frauen und Männer. Wie das genau funktioniert hat, weiß man nicht, weil im damaligen Alltag nicht sofort protokolliert wurde. Sicher, vom Althochdeutschen bis zur neuhochdeutschen Literatursprache war es ein weiter Weg. Die Schriftsprache ist, soviel wir wissen, von Männern festgehalten worden. Luther prägte die deutsche Sprache. Hatte er nicht wenigstens eine Köchin bei sich? Die Christen – das meint ihn und sie. Das Kirchenglied auch. Oder seid ihr erst zufrieden, wenn es Kirchengliedin heißt?

 

Beschweren wir uns bei von Grimmelshausen, bei Gottsched, den Brüdern Grimm und Konrad Duden, wenn es für nicht wenige Begriffe einfach keine weibliche Form gibt: Mensch, Sonderling, Flüchtling, Mannschaft, jemand. Oder keine männliche: die Geisel. Der Geiserich? Da landen wir eher beim Ziegenbock. Deutsch ist eine sehr präzise Sprache. Auch angeblich neutrale Umschreibungen funktionieren nicht immer. Nicht jeder Student ist ein Studierender und nicht jeder Studierende ein Student.

 

StudentInnen ist laut Duden zum Glück rechtschreibwidrig. Also bleibt nur, verdoppelnd von Studenten und Studentinnen zu schreiben und zu reden. Zeitverschwendend, umständlich, unschön. Aber wenn es denn im politischen Alltag, auf Ämtern, an Universitäten, in Gesetzestexten sexusgerecht sein soll – meinetwegen. Aber verschont bitte mit solchen Forderungen die Bereiche, in denen, wenn es gut geht, an der Sprache noch gearbeitet wird. Im Journalismus und erst recht in der Literatur. Da darf man ein gewisses Abstraktionsvermögen von Geschlechtszuschreibungen voraussetzen.

 

Ein Mensch, wie stolz das klingt! Kommt ihr in dem Satz wirklich nicht vor? Dann ist euch nicht zu helfen.

 

Wenn ich die Wahl habe zwischen politisch korrekt und sprachlich schön, entscheide ich mich zugegebenermaßen für das Schöne. Das ist auch weiblich. Im Namen von Frauen muss man die Sprache nicht verhunzen und verunklaren. Angenommen, der letzte Satz im Kommunistischen Manifest hätte gelautet: Proletarier und Proletarierinnen aller Länder, vereinigt euch! Das hätte womöglich ganz andere als revolutionäre Aktionen ausgelöst.

 

Redaktionelle Anmerkung: Ossietzky steht für Klartext, verständliche und präzise Sprache. Die Redaktion belässt die von den Schreibenden gewählte Form, soweit sie korrekt verwendet wird. Entsprechend gibt es in manchen Texten das Gendersternchen * oder die Schreibweise mit Gendergap _, manchmal auch nur maskuline oder ausschließlich feminine Formen et cetera. Diese Vielfalt regt an – zum Nachdenken über Gesellschaft. Und über Sprache.