Ständig besorgt ist sie, die bundesdeutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, von Freunden auch »Röschen« genannt. Eine kleine Auswahl:
Auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Januar 2014 zeigte sie sich gemeinsam mit Bundespräsident Joachim Gauck und Außenminister Frank-Walter Steinmeier besorgt, dass sich die Deutschen nicht genug für die Welt interessieren. Die Bürgerinnen und Bürger sollten ein größeres Interesse an internationaler Politik und diversen Krisen auf dem Globus zeigen und diskutieren, wie und wo sich die Bundesrepublik verstärkt einbringen könnte und sollte, um Konflikte zu bearbeiten.
Im Dezember des gleichen Jahres besucht sie die deutschen Soldaten am Hindukusch. Kaum war sie im deutschen Feldlager bei Masar-i-Scharif eingetroffen, brachte sie ihre Besorgnis über die Sicherheitslage zum Ausdruck. Sie verwies darauf, dass die Anschläge der Taliban zunehmen würden. Zugleich lobte sie die Fortschritte, die Afghanistan in den vergangenen Jahren gemacht habe. Es sei »zutiefst beeindruckend, wie wacker sich dieses Land schlägt«. Dessen ungeachtet warnte sie vor einem zu schnellen Abzug der internationalen Truppen.
Im Januar 2016 äußerte sich die Ministerin besorgt über eine in Libyen angebahnte mögliche Allianz der Terrormiliz IS mit der Islamistenorganisation Boko Haram. Daraus könne eine »Achse des Terrors« mit Folgen für ganz Afrika entstehen. Diese brandgefährliche Entwicklung könne zu neuen Flüchtlingsströmen führen, was die Bundesrepublik nicht zulassen könne. Deshalb sei es wichtig, Libyen zu stabilisieren, das auch vom islamistischen Terror bedroht sei. Einen Einsatz der Bundeswehr in diesem Zusammenhang schloss sie nicht aus.
Im Mai 2016 zeigte sie sich in einem Interview mit Focus außerordentlich besorgt um die deutschen Soldaten in Auslandseinsätzen. Auf die Bemerkung des Blattes, »Sie als siebenfache Mutter müssen die Kinder anderer Mütter in Einsätze schicken, von denen sie vielleicht nicht zurückkommen«, erwiderte sie: »Es ist mehr Nachdenklichkeit in mein Leben gekommen. Mich begleitet ständig die Sorge darum, dass alles gut geht, dass die Soldatinnen und Soldaten sicher sind.«
Die größten Sorgen bereiten ihr Russland und Wladimir Putin. Anfang September erklärte sie gegenüber der Osnabrücker Zeitung: »Natürlich besorgt uns das gesamte sicherheitspolitische Verhalten des Kremls ... Leider verhält sich der Kreml in nahezu allen Fragen der Rüstungskontrolle nicht konstruktiv. Das muss sich als erstes ändern, wenn Russland Vertrauen zurückgewinnen will.« Doch statt ihr »sicherheitspolitisches Verhalten« zu verändern, starteten Russland und Weißrussland im September ein siebentägiges Großmanöver mit dem Namen »Sapad 2017« (»Westen 2017«). Frau von der Leyen konnte es kaum fassen, und so teilte sie über Bild mit, dass sie die Sorgen osteuropäischer Länder wegen des Manövers teile. Für Deutschland scheine die gigantische Militärübung weit weg, doch die Verbündeten hätten »ihre Erfahrungen mit Russland gemacht« und müssten »nun solch massive Truppenkonzentrationen an ihren Grenzen erleben«. Nach ihren Erkenntnissen würden an dem siebentägigen Großmanöver nicht, wie Moskau behauptet, 12.700, sondern etwa 100.000 Soldaten teilnehmen. Den baltischen Verbündeten und Polen sei es wichtig, die Solidarität des Bündnisses zu spüren. Dazu leiste die Bundeswehr mit ihrem Bataillon in Litauen ihren Beitrag. Die Ministerin ließ sich ihre große Sorge auch nicht nehmen, als das russische Außenministerium daran erinnerte, dass der russische Vize-Verteidigungsminister Alexander Fomin dem deutschen Militärattaché in Moskau im Rahmen eines Briefings am 29. August die erforderlichen Informationen übergeben hatte und der russische Generalstabschef Gerassimow den Chef des NATO-Militärausschusses ausführlich informiert und erklärt hatte, dass sich das Manöver nicht gegen ein anderes Land richte.
Frau von der Leyen können solche diplomatischen Erklärungen nicht beruhigen. Die Sorgen verfolgen sie bis in den Schlaf. Und so träumte sie: Die Russen sind an der Elbe wieder aufmarschiert, denn der Kreml hat die DDR und den Warschauer Vertrag reanimiert. Vor dunkelgrauem Hintergrund sah sie die Umrisse von Heerscharen bewaffneter Männer, die wie Rotarmisten aussahen, und eine Unmenge an Militärgerät, das sie nicht identifizieren konnte. Da half ihr die knarrende Stimme eines unsichtbaren Adlatus, der ihr zur Seite sprang und sie aufklärte, dass Zehntausende gut ausgerüsteter Soldaten Stellung bezogen hätten. T-90-Panzer sowie Panzer vom Typ Armata, Tausende gepanzerte Fahrzeuge, ungezählte S-400-Luftverteidigungssysteme; eine ganze Flotte von Kampfhubschraubern, Abfangjägern, neuen Jagdbombern und modernisierten Erdkampfflugzeugen seien offenkundig einsatzbereit. Auf russischem Territorium schließlich, so die geheimnisvolle Stimme, seien ballistische Interkontinentalraketen in ständiger Alarmbereitschaft, darunter die Topol-M, die Gefechtsköpfe mit 1800 Kilotonnen TNT Sprengkraft – das 90-fache der Hiroshima-Bombe – ins Ziel bringen könne. Die Verteidigungsministerin hörte besorgt zu, bis sie endlich aufwachte, schweißgebadet, aber glücklich, denn, Gott sei Dank, stehen nicht die Russen an der Elbe, sondern die NATO an den Grenzen Russlands. Erwacht aus dem schrecklichen Albtraum, freute sie sich umso stärker über das tatsächliche Geschehen.
Es war doch ein genialer Schachzug, die Zustimmung der Sowjetunion zum Verbleib der durch den Anschluss der DDR erweiterten Bundesrepublik in der NATO mit der Zusage zu erkaufen, den Militärpakt nicht nach Osten auszudehnen. Doch nicht schriftlich vereinbarte Versprechen sind Schall und Rauch. Inzwischen steht der Pakt drohend vor den Grenzen Russlands. Und die bundesdeutsche Verteidigungsministerin kann sich wie eine Schneekönigin freuen, wie zügig der Ost-Aufmarsch vorankommt. Ein wichtiges Etappenziel wurde erreicht, als die NATO im September 2014 den »Readiness Action Plan« verabschiedete. Dieser sah unter anderem die Erhöhung der Schnellen Eingreiftruppe von 13.000 auf zunächst 30.000, dann auf 40.000 Soldaten sowie den Aufbau einer »Ultraschnellen Eingreiftruppe« mit 20.000 Soldaten vor. Ihr Einsatzgebiet liegt ausschließlich an der Ostgrenze des Paktes. Damit die NATO-Truppen nicht faul herumliegen, proben sie immer wieder in Manövern den Ernstfall, 240 Mal allein 2016. Eines der schönsten Manöver fand im Juni 2016 unter Bezeichnung »Anaconda« statt, bei ihm übten 31.000 polnische und andere NATO-Soldaten die Abwehr eines Angriffs Russlands. Obwohl die NATO-Russland-Akte von 1997 es verbietet, »substantielle Kampftruppen« in Osteuropa zu stationieren, wurden 2017 vier NATO-Bataillone (je 1.000 Soldaten) nach Litauen, Estland, Lettland und nach Polen verlegt, die pro forma »rotieren« sollen. Zeitgleich verlegten die USA zusätzlich etwa 4000 Soldaten nach Osteuropa, wobei rund 900 Waggons mit militärischem Material per Eisenbahn von Bremerhaven nach Polen gebracht wurden, was, wie Die Welt lobend feststellte, einer Gesamtzuglänge von circa zehn Kilometern entsprach. Laut New York Times handelte es sich um »den größten militärische Aufbau der NATO an den Grenzen Russlands seit dem Kalten Krieg«.
Über den Ost-Aufmarsch der NATO empfindet Frau von der Leyen keinerlei Besorgnis, im Gegenteil, sie hilft nach Kräften, ihn voranzutreiben. Die möglichen Folgen kümmern sie nicht. Warnungen schlägt sie in den Wind, gleich ob sie in Berlin, in Moskau oder in Peking ausgesprochen werden. Dabei wäre sie doch gut beraten, wenigstens die vor Jahrtausenden ausgesprochene Mahnung des chinesischen Philosophen Konfuzius (551–479 v. Chr.) zu beachten: »Wer nicht an die Zukunft denkt, der wird bald große Sorgen haben.«