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Titel1917

Bemerkungen

Böses Erwachen

Ach, wie war es ehedem

doch im Bundestag so schön.

Heut’ jedoch auf manchem Platz

wieder brauner Bodensatz.

 

 

Ja, jetzt ist der Jammer groß.

Jeder geht auf jeden los.

Das ist schwerlich zu verstehn,

konnt’ man doch seit langem sehn,

 

 

was sich da zusammenbraut.

Viele hab’n nur zugeschaut

und sind schuld an diesem Mist,

worauf das gewachsen ist

 

 

Sicher nicht der kleine Mann,

der sich nur noch sagen kann:

Was mich heute so sehr quält,

hab’ ich immer selbst gewählt.

 

C. T.

 

 

 

Verunglimpft

Im Vorfeld der diesjährigen Bundestagswahl gab es wenig markante Überraschungen. Die Parteien betrieben ihren Wahlkampf mehr oder weniger intensiv. Dass man nach der amtierenden Kanzlerin mit Tomaten warf und an manchen Orten »Hau ab!« gebrüllt wurde, gehört vermutlich zum einkalkulierten Risiko. Die AfD bediente sich allerdings im Wahlkampf auch Mitteln, die an Geschmacklosigkeit kaum zu überbieten sind. So tauchte in Sachsen-Anhalt ein Wahlplakat der AfD mit dem Bildnis des ehemaligen Vorsitzenden der KPD Ernst Thälmann auf mit der ungeheuerlichen und dreisten Behauptung, »Ernst Thälmann würde AfD wählen«. Diese Verunglimpfung, Infamie, Beleidigung und Verletzung der Ehre des im August 1944 im KZ Buchenwald ermordeten Ernst Thälmann ist ungeheuerlich. Thälmann hat nahezu die gesamte Zeit der nazistischen Barbarei von März 1933 bis zum August 1944 in Haft zugebracht, bevor ihn die Nazis dann auf unmittelbaren Befehl Hitlers, erteilt anlässlich einer Besprechung mit Himmler in der Wolfsschanze, feige ermordeten. Mit der von der AfD aufgestellten Behauptung wird nicht nur die Person Thälmanns missbraucht, sondern auch das Andenken an alle durch die Faschisten Ermordeten. Die Perfidie, wird noch dadurch vervollkommnet, dass ein AfD-naher Verein Wahlplakate in Umlauf brachte, die Franz Josef Strauß zeigten, dem in Initiatoren auch in den Mund legten, er würde AfD wählen. Zu Recht waren die Strauß-Kinder hierüber empört. Und bereits im Januar dieses Jahres machte die AfD Nürnberg-Süd auf Facebook Werbung damit, dass die von den Faschisten hingerichtete Sophie Scholl auch AfD wählen würde. Wen wundert´s, dass man dort offensichtlich schon bei Goebbels angekommen ist, der auch darauf baute, dass die Lüge geglaubt werde, wenn sie nur dreist ist und oft genug wiederholt wird.

 

Ralph Dobrawa

 

 

 

Integration nicht gelungen

Die SPD muss sich neu erfinden, braucht also ein neues Godesberger Programm. Laut Statistik sind noch 17 Prozent der arbeitenden Bevölkerung klassische Arbeiter. Für die ist die SPD aber mal vor 155 Jahren angetreten. Und da hilft auch »die neue Mitte« nicht weiter, weil sich da alle möglichen Parteien tummeln.

 

Beim Wahlkampfduell Merkel –Schulz ging es gerade mal fünf Minuten um Soziales. Aber genau da lägen die Aufgaben der SPD. Ein Beispiel: 7,47 Millionen Menschen sind bundesweit »geringfügig beschäftigt«. Ein Drittel von ihnen bekommt kein Krankengeld, ein Drittel keinen bezahlten Urlaub. 40 Prozent keine Feiertagszulagen, 14 Prozent bekommen weniger als 8,50 Euro Stundenlohn (was eh viel zu niedrig ist).

 

Und die SPD wagt sich da nicht ran, weil sie (wie die Kanzlerin!) meint, die Agenda 2010 sei Ursprung des derzeitigen »Wirtschaftswunders«. Vier Wirtschaftsprofessor/innen (Christian Dustmann, Bernd Fitzenberger, Uta Schönberg und Alexandra Spitz-Oener) widersprechen dem. Sie sagen, die wirtschaftliche Prosperität liegt am Lohndumping der Arbeitgeber und Lohnzurückhaltung der Gewerkschaften und Betriebsräte seit 1995. (Die Agenda kam erst zehn Jahre später.) Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger sagte neulich, die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank, nicht die Agenda 2010, sei für die Wirtschaft förderlich.

 

Aber wenn sich die SPD nicht der Verlierer (beispielsweise der über zwei Millionen armen Kinder) annimmt, wird sie weiter Wähler verlieren. Und der Platz ist inzwischen von der Linken besetzt.

 

Der Armutsforscher Christoph Butterwegge weist auf Folgendes hin: In Köln-Chorweiler, Hochhaussiedlung, gingen 2013 42,5 Prozent der Wahlberechtigten wählen, in Köln-Hahnewald, Luxusquartier, 88,7 Prozent. Hamburg: 43,2 Prozent in Billbrook, Armengebiet, 86,9 Prozent in Nienstedten, Luxussiedlung. Eine Republik der »Besserverdienenden«.

 

Die Renten in den östlichen Landesteilen sind bisher nicht an die im Westen angeglichen. Im Osten verdienen die Leute 27 Jahre nach dem Ende der DDR immer noch im Durchschnitt 15 Prozent weniger als im Westen. So haben Lageristen in den alten Bundesländern mit einem mittleren Monatsbruttogehalt von 2604 Euro gut 600 Euro mehr auf ihrem Gehaltskonto als Lageristen im Osten. Bei Automechanikern beträgt die Differenz sogar rund 800 Euro, bei Krankenpflegerinnen und Verkäufern 300 bis 400 Euro. Sekretärin: mittleres Ost-Einkommen 2439 Euro brutto, mittleres West-Einkommen 3021 Euro. Berufskraftfahrer: mittleres Ost-Einkommen 1792 Euro, mittleres West-Einkommen 2404 Euro. Krankenpfleger: mittleres Ost-Einkommen 2802 Euro, mittleres West-Einkommen 3212 Euro.

 

Vier Prozent der Abteilungsleiter in den Bundesministerien sind aus dem Osten. Der Anteil der Ostdeutschen an der Bevölkerung beträgt aber 17 Prozent. Nur Angela Merkel und Johanna Wanka waren im alten Kabinett aus dem Osten.

 

Von 22 Uni-Rektoren Ost sind drei aus dem Osten. Vor zwölf Jahren waren es fünf. Von 63 Staatssekretären beim Bund sind drei aus dem Osten, vor zwölf Jahren waren es sechs. In den Ministerien der ostdeutschen Bundesländer sind 24 Prozent der Abteilungsleiter aus dem Osten. 1990 waren 94 Prozent der ostdeutschen Bundestagsabgeordneten aus dem Osten, heute sind es 77 Prozent.

 

Unter den Führungskräften bundesweit sind 1,7 Prozent aus dem Osten, also gar nicht vorhanden.

 

»Integriert doch uns erst mal!« schallt es der sächsischen Integrationsministerin Petra Köpping allerorten entgegen, wie sie sagt. Der Wahlerfolg der AfD hat Ursachen. Nun hat die SPD vier Jahre Zeit, sich zu besinnen. Hoffen wir mal.                 

      

Andreas Kuhnert

 

 

 

Arme Reiche

Nach Darstellung des jüngsten »Global Wealth Report« der Allianz-Versicherung, über den die Süddeutsche Zeitung am 28. September berichtete, ist die Welt im globalen Durchschnitt durch die Verschiebungen bei den Vermögen erneut gerechter geworden. Die reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung besitzen demnach nur noch knapp 80 Prozent des Netto-Vermögens, also der Ersparnisse abzüglich Schulden. Um die Jahrtausendwende habe der Wert noch jenseits der 90 Prozent gelegen.

 

Wenn das so weitergeht, ist der Zeitpunkt abzusehen, an dem die derzeit reichsten Leute in Armut versinken. Seit der Jahrtausendwende gelang rund 600 Millionen Menschen der Aufstieg in die Mittelklasse, heißt es in dem Zeitungsbericht. Vier von fünf Aufsteigern kamen nach dieser Darstellung aus China, wo bekanntlich eine kommunistische Partei an der Macht ist. Das schlägt dem Fass die Krone ins Gesicht.

 

Constanze Weinberg

 

 

 

Nachtrag zum G20-Wochenende

Die Fernsehbilder und Kommentare ließen vermuten, Anfang Juli hätten bei den Auseinandersetzungen um den G20-Gipfel in Hamburg Dutzende von Autos gebrannt und in ähnlicher Größenordnung wären Schäden an Gebäuden entstanden.

 

Einige Wochen später meldete die »Versicherungswirtschaft«, die unter der Überschrift »Trends und Fakten« auch regelmäßig sogenannte Schaden-Prismen veröffentlicht, die tatsächlichen Zahlen: Die führenden Gebäudeversicherer Hamburgs, die Hamburger Feuerkasse und die Provinzial Nord gingen gemeinsam von 50 bis 60 versicherten Schäden und einer Schadenhöhe zwischen 1,2 und 1,5 Millionen Euro aus – also einer durchschnittlichen Schadenhöhe von 25.000 Euro. Ein Drittel der Schäden, mithin rund 20, seien beschädigte Autos. Parallel dazu wird der Marktführer für Autoversicherungen in Hamburg, die Huk Coburg, zitiert, die »bis dato jedoch nur zwölf Totalschäden durch Feuer und 19 andere Beschädigungen wie eingeschlagene Scheiben oder eingedrückte Karosserieteile« meldete.

 

Keineswegs schön, aber vom beschworenen Bürgerkrieg sind solche Zahlen weit entfernt – und in die Schlagzeilen der die öffentliche Meinung beherrschenden Massenmedien werden sie es nicht mehr schaffen.       

 

Manfred Sohn

 

 

 

Kompromissliches

Koalitionsvereinbarungen ermöglichen es, die Schuld für die Nichterfüllung der im Wahlkampf gemachten Versprechen auf jemand anderen zu schieben.  

                      

Günter Krone

 

 

 

Unsere Zustände

Es ist eine Zeit, da der Mensch beginnt, keine Fragen mehr zu stellen und an nichts mehr zu glauben. Es ist aber die Frage zu stellen, wer ihm den Glauben nimmt.

*

Im Leben gibt es in letzter Konsequenz kein Wenn und Aber. In der Politik immer.

*

Der Tod ist ein einsamer Wanderer. Er bestimmt, wo er einkehrt.

 

Wolfgang Eckert

 

 

Soeben erschien im Omnino Verlag Berlin Wolfgang Eckerts neues Buch »Der Mensch hat zwei Augen. Damit er auf dem einen blinzeln kann«, Aphorismen, 118 Seiten, 12,99 €

 

 

 

Büsten-Protest

Die Organisation antifaschistischer Widerstandskämpfer (Fédération Internationale des Résistants – FIR) unterstützt die Initiative tschechischer und deutscher Antifaschisten, die aus dem Pantheon des Prager Nationalmuseums entfernte Büste des von den Nazis ermordeten Journalisten Julius Fučík wieder an ihren alten Platz zurückzubringen. Das teilte FIR-Generalsekretär Ulrich Schneider dem tschechischen Kulturminister Daniel Herman in einem Protestschreiben mit.

 

Julius Fučík wurde wegen Widerstandes gegen die deutsche Besatzungsherrschaft vom Volksgerichtshof unter Roland Freisler zum Tode verurteilt und 1943 in Berlin-Plötzensee durch den Strang hingerichtet. Seine Büste war 1991 nach dem Ende der kommunistischen Herrschaft in der Tschechischen Republik mit dem Hinweis entfernt worden, Fučík sei Kommunist gewesen. In einem Brief an den Minister bezeichnete der Generalsekretär der FIR den »Vorwurf« als absurd; er betreffe die Mehrheit der Männer und Frauen, die unter Einsatz ihres Lebens für die Befreiung ihrer Heimat von der faschistischen Okkupation gekämpft hätten. Ein gutes Datum für die Rückkehr der Büste, so Schneider, wäre der 23. Februar 2018, der 115. Geburtstag des Journalisten, oder der 8. September 2018, der 75. Jahrestag seiner Hinrichtung.                             

Conrad Taler

 

 

 

Links mit Goethe

Sie kann Talkshow wie Turnhalle. Sahra Wagenknecht füllt Marktplätze, zieht Junge wie Alte an, Arme, Arbeitslose, Akademiker. Zweieinhalbtausend applaudieren ihr während des Wahlkampfs im grün regierten Tübingen, 2000 auf dem Römer in der Bankenmetropole Frankfurt am Main. Und auch in Mannheim sorgte sie bei 2000 Zuhörern für »Jubel und Lacher«, wie die jeder Linke-Sympathie unverdächtige Ortspresse vermeldet.

 

Albrecht Müller, Herausgeber des reichweitenstarken Politblogs Nachdenkseiten, hadert ob des großen Fehlers der Linkspartei: »Sie hätte Sahra Wagenknecht zur Kanzlerkandidatin machen sollen«. So wäre der »Anspruch auf den politischen Wechsel« sichtbar geworden, urteilt der Politikprofi angesichts des demoskopischen Senkbleis Martin Schulz von der SPD. Müller war ab 1970 Leiter der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit der SPD und verantwortlich für den Bundestagswahlkampf 1972. Ab 1973 war er Leiter der Planungsabteilung im Bundeskanzleramt bei Willy Brandt und Helmut Schmidt. Mit Wagenknecht »wäre die fortschrittliche Alternative personalisiert – was angesichts der Neigung vieler Menschen, die Politik wie den Sport und die Unterhaltung an Personen festzumachen, nur eine Konzession an diese Gewohnheit gewesen wäre«.

 

In der den Grünen nahen taz appellierte Pascal Beucker: »Frau Wagenknecht, übernehmen Sie!«, nachdem Martin Schulz ein zweites TV-Duell eingefordert hatte. Der SPD-Kanzlerkandidat sei kein Herausforderer der Bundeskanzlerin, sondern nur noch ein »Herausforderer-Darsteller«. Egal wie man die Linkspartei und ihre Spitzenkandidatin beurteile, so Beucker, »sie repräsentiert eine wirkliche politische Alternative. Denn anders als Schulz hat Wagenknecht ausgeschlossen, Merkel erneut zur Kanzlerin zu wählen. Es ist ebenso davon auszugehen, dass es sowohl Merkel als auch Wagenknecht mit dem gegenseitigen Ausschluss einer Koalition ihrer beiden Parteien ernst meinen. Sie sind die Antipoden. Wagenknecht dürfte für Merkel die Herausforderung sein, die Schulz nicht ist. Auch intellektuell.«

 

Letzteres bezeugt das gerade im Westend-Verlag erschienene Buch »Couragiert gegen den Strom«, in dem sich Sahra Wagenknecht »über Goethe, die Macht und die Zukunft« äußert. Die Linke-Politikerin antwortet darin auf Fragen von Telepolis-Chefredakteur Florian Rötzer, auf persönliche wie politische. Das Gespräch ist in drei große Teile gegliedert: »Anders Politik machen«, »Biographie: Eine Philosophin in der Politik« und »Politik: Was ich erreichen möchte«. Abgerundet wird der Band mit ausgewählten Reden von Sahra Wagenknecht – die nicht zuletzt dem Leser einen Eindruck vermitteln, welcher Hass ihr gerade von Seiten der SPD entgegenschlägt. Der »Seeheimer« und Rüstungslobbyist Johannes Kahrs etwa bringt es in einer einzigen Rede der Oppositionsführerin auf 27 ätzende Zwischenrufe.

 

Florian Rötzer und Sahra Wagenknecht legen hier ein populäres linkes Manifest vor. Das Buch ist informativ, gut verständlich und nicht in den bei Linken häufig verqueren Textbausteinen verfasst. Fragen wie Antworten sind pointiert und sparen kein Konfliktthema aus. Wer das Buch liest, erfährt, was die Linke-Politikerin antreibt und auch durchhalten lässt.

 

Immer wieder rückt Wagenknecht die soziale Frage ins Zentrum, verdeutlicht sei dies hier am Beispiel Gleichberechtigung: »Wenn wir […] über den Niedriglohnsektor reden, dann sind davon in erster Linie Frauen betroffen. Auch unter fehlenden Kita-Plätzen leiden vor allem Frauen. Ich kann mit der Emanzipationsdebatte, soweit sie sich von solchen sozialen Fragen löst und isoliert darüber streitet, ob man Studenten oder Studierende sagt, wenig anfangen. Mir geht es um eine reale Gleichstellung von Mann und Frau, um gleiche Rechte und gleiche Chancen. Dafür brauchen wir eine soziale Infrastruktur. Die Agenda 2010 war ein riesiger Rückschlag für Millionen Frauen in diesem Land, die in Niedriglohnjobs, unfreiwillige Teilzeit oder Minijobs gedrängt wurden.«

 

Wagenknecht argumentiert präzise, sie weiß, wovon sie spricht, sei es bei ihrer Kritik am bedingungslosen Grundeinkommen oder an den westlichen Interventionskriegen als Geburtshelfer des IS. Nicht zuletzt veranschaulicht das Buch: Sahra Wagenknecht wäre auch eine begnadete Deutschlehrerin. So begeistert wie sie kann keiner Goethe als Kapitalismuskritiker vermitteln. »Wenn man den ›Faust‹, vor allen Dingen ›Faust II‹ liest, entdeckt man, dass das ein unglaublich prophetisches Werk ist. Goethe hat auf der einen Seite natürlich die Potenziale des Kapitalismus gesehen, Reichtum zu schaffen, Wohlstand zu schaffen, aber eben auch die ganzen Gefahren dahinter. Faust ist ja zum Schluss quasi der Gebieter über einen Weltkonzern, und dieser Weltkonzern expandiert weiter, und Faust hält es nicht aus, dass ein kleiner Hügel nicht zu seinem Besitz gehört. Weil er aber eben alles beherrschen will, wird er am Ende dadurch zum Verbrecher: Er schickt Mephistopheles und lässt die alten Leute, Philemon und Baucis, verbrennen. Und Goethes ›Faust‹ enthält auch die prophetische Beschreibung: ›Krieg, Handel und Piraterie, dreieinig sind sie, nicht zu trennen.‹ Also Welthandel und kriegerische Konflikte um Rohstoffe, das gehört schon für Goethe alles zum Kapitalismus dazu. Also, da steckt unheimlich viel drin, was man entdecken kann und entdecken sollte.« Würde derlei an den Schulen beherzigt, Die Linke hätte bei der U18-Wahl ohne Zweifel deutlich besser abgeschnitten.

 

Rüdiger Göbel

 

 

Sahra Wagenknecht: »Couragiert gegen den Strom. Über Goethe, die Macht und die Zukunft«, Nachgefragt und aufgezeichnet von Florian Rötzer. Westend-Verlag, 224 Seiten, 18 €

 

 

Aus dem Paradies vertrieben

Es ist das alte Lied der Unterdrückung, und wir kennen, frei nach Heinrich Heine, die Weise, den Text und die Herren Verfasser = Verursacher. Es sind ja immer mehr oder weniger dieselben: Anfang des 16. Jahrhunderts kamen die Portugiesen und Spanier, dann die Franzosen, bis 1810, dann die Briten, die bis heute blieben, und 1971 kamen die US-Amerikaner sozusagen als Untermieter dazu, die in solch einem Kreislauf der Unterdrücker nicht fehlen dürfen.

 

Es geht um den Chagos-Archipel (deutsch auch: Tschagos-Archipel), eine Inselgruppe im Indischen Ozean auf der geschwungenen Linie des Zentralindischen Rückens, 55 Inseln, die sich auf sieben Atolle verteilen. Seit Mitte der 1960er Jahre wurden sie nach und nach leergeräumt. Die Hauptinsel Diego Garcia wurde an die USA verpachtet.

 

Die Einheimischen mussten einem Marine- und Luftwaffenstützpunkt der USA weichen, verloren ihre Heimat, wurden zwangsumgesiedelt. Ihre Nachfahren leben heute auf Mauritius, den Seychellen und in Großbritannien. Die B-52-Bomber brauchen mit ihrer todbringenden Last von hier bis Afghanistan oder in den Irak oder nach Syrien nur wenige Minuten.

 

Ich muss gestehen, dass ich bis dato noch nie etwas von dem Archipel und den historischen Vorgängen gehört hatte, bis ich das hier anzuzeigende Buch in die Hand bekam. Die auf Mauritius geborene Roman- und Theaterautorin und Journalistin Shenaz Patel zeichnet voller Empathie das Schicksal der Volksgruppe der Chagossianer nach. Sie erzählt von dem in die Natur eingebetteten früheren Leben auf den kleinen sonnigen Inseln und dem damit kontrastierenden Alltag in der Fremde: ein schmaler Band, in eindringlicher, Partei nehmender Sprache, über ein himmelschreiendes Unrecht, dessen Ende nicht in Sicht ist. Am 1. Januar dieses Jahres wurde der ursprünglich auf fünfzig Jahre abgeschlossene Pachtvertrag zwischen Großbritannien und den USA um weitere 20 Jahre verlängert.   

Klaus Nilius

 

 

Shenaz Patel: »Die Stille von Chagos«, aus dem Französischen von Eva Scharenberg, Weidle Verlag, 160 Seiten, 18 €