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Titel1918

Josef und José – eine denkwürdige Begegnung  (Renate Hennecke)

Dass sich die Lebenswege des Geschichtsprofessors Josef Foschepoth, geboren 1947 in der westfälischen Kleinstadt Werl, und des Sportlehrers Ramos Benitez José Concepción, geboren 1967 in der mittelamerikanischen Hauptstadt San Salvador, einmal kreuzen würden, war nicht vorherzusehen. Sie begegneten sich trotzdem: am 10. September 2018 im Münchner Amtsgericht. Und das geschah so:

Hundert Jahre nachdem der Erste Weltkrieg durch die Oktoberrevolution in Russland (1917) und die Novemberrevolution in Deutschland (1918) beendet worden war, erinnerte in verschiedenen deutschen Städten ein mobiles Straßentheater an den Zusammenhang. In München reihte sich der Theaterzug »Revolution statt Krieg« am 1. Mai 2017 in die traditionelle Demonstration des DGB ein. In historischen Kostümen traten auf: Soldaten, Matrosen, Arbeiter/innen, Parteiführer, Letztere gekennzeichnet durch jeweils eine historische Fahne von SPD, USPD und KPD. Dutzende Male waren die Darsteller bereits auf diese Weise aufgetreten, ohne Probleme. In München aber, an besagtem 1. Mai, meinte ein eifriger Polizist in Zivil einschreiten zu müssen. Unter Hinweis auf das KPD-Verbot von 1956 konfiszierte er die mit Hammer und Sichel geschmückte KPD-Fahne und nahm die Personalien des Fahnenträgers auf. An diesem Tag hatte José, Einwanderer aus El Salvador, die Fahne getragen. Er erhielt einen Strafbefehl über 1500 Euro wegen strafbarem Verwenden von Symbolen einer verfassungswidrigen Organisation.

 

José hatte die Militärdiktatur in El Salvador erlebt und war deshalb nach Deutschland geflohen. Er glaubte, nun in einem Land zu leben, in dem Meinungsfreiheit und Kunstfreiheit geachtet werden. Den Strafbefehl konnte er nicht akzeptieren.

 

Die mündliche Verhandlung fand am 10. September 2018 statt. Hier nun kommt Josef Foschepoth ins Spiel, der – nicht zufällig – von der Zuschauerbank aus dem Prozessverlauf folgte. KPD-Verbot, das ist sein Thema.

 

Foschepoth ist kein Kommunist. Die Politik der KPD in der Zeit nach 1945 sieht er sehr kritisch. Aber als die Partei 1956 vom Bundesverfassungsgericht verboten wurde, ließen die Richter wichtige Verfassungsgrundsätze außer Acht. Darüber hat er geforscht. Das Gericht, so Foschepoths Fazit, wurde von der Bundesregierung als ihr ausführendes Organ behandelt. Mehrfach regten die Richter an, das Verbotsverfahren einzustellen, aber die Bundesregierung wollte es unbedingt durchziehen. Die Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Judikative blieb auf der Strecke. Das ging so weit, dass zum Beispiel die Voruntersuchungen vom 1. Senat des Verfassungsgerichts selbst durchgeführt wurden, obwohl das laut Prozessordnung nicht erlaubt war. Auch erfolgten unzulässige Absprachen zwischen dem Gericht und der Regierung, das heißt einer der Prozessparteien. Eine wichtige Zeugenvernehmung fand ohne Wissen der KPD als Prozessbeteiligte statt, das Vernehmungsprotokoll wurde sogar gefälscht. Professor Foschepoth hat all dies und noch viel mehr anhand mehrerer Millionen Seiten dokumentarischen Materials nachgewiesen, das erst in den letzten Jahren freigegeben worden ist.

 

Aus seinen Forschungsergebnissen folgt zwangsläufig die Frage, ob ein Verbotsurteil, das auf diese Weise – durch Rechtsbeugung – herbeigeführt wurde, als Rechtsgrundlage für eine Verurteilung heute dienen kann.

 

Verteidigerin Gabriele Heinecke würde diese Frage gern zum Kernpunkt des Prozesses machen. Damit würde eine Debatte in Gang gesetzt, die das unselige KPD-Verbot tatsächlich irgendwann zu Fall bringen könnte. Nach einigem Vorgeplänkel zum Thema Kunstfreiheit beantragt sie, den anwesenden Historiker Foschepoth als Sachverständigen zu hören. Ausführlich erläutert sie, was durch seine Anhörung bewiesen werden soll, zitiert wichtige Passagen aus Foschepoths 2017 erschienenem Buch »Verfassungswidrig! Das KPD-Verbot im Kalten Bürgerkrieg«. Abschließend weist sie noch auf die veränderte Rechtsprechung durch das Bundesverfassungsgericht hin: Im Januar 2017 wies das Gericht den Antrag auf Verbot der NPD mit der Begründung ab, ein Verbot sei nach heutiger Auffassung nicht zu rechtfertigen, wenn die betroffene Partei ohnehin keine Aussicht auf Verwirklichung ihrer verfassungsfeindlichen Ziele habe. Das Gericht distanzierte sich damit ausdrücklich von einem entscheidenden Argument im KPD-Verbotsurteil.

 

Zusätzlich beantragt Heinecke, sie ihrem Mandanten als Pflichtverteidigerin beizuordnen, da es ihm angesichts der Komplexität der Materie nicht möglich sei, sich selbst erfolgreich zu verteidigen.

 

Während die Zuhörer gebannt lauschen, wird der Staatsanwalt immer unruhiger. Dann platzt er heraus: Die Anträge seien beide abzulehnen; die Sachlage sei doch sehr einfach. Verbot sei Verbot. Kühl kontert die Verteidigung: Die Stellungnahme zeige, dass der Staatsanwalt den Anforderungen des Verfahrens nicht gewachsen sei.

 

Richter Enzler reagiert souveräner. Den Antrag auf Anhörung des Sachverständigen stellt er »vorerst« zurück. Das Beweisthema sei für die anliegende Entscheidung »nicht von Bedeutung«. Die Beiordnung der Rechtsanwältin als Pflichtverteidigerin lehnt er ab, man könne aber gegebenenfalls später noch mal darauf zurückkommen. Die Frage, wie das KPD-Verbot zustande gekommen ist, möchte er nicht anpacken – wozu sich so viel Arbeit und Ärger einbrocken? Die Sache lässt sich einfacher als »Kunstfrage« abhandeln – »ein Standardproblem«. Intensiv wird nun der Kunstcharakter der Aktion »Revolution statt Krieg« herausgearbeitet.

 

Der Staatsanwalt bleibt in seinem Plädoyer dabei, in der Verhandlung habe sich der im Strafbefehl dargestellte Sachverhalt bestätigt, eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen à 50 Euro sei angemessen.

 

Die Verteidigerin führt dem Richter vor Augen, dass er mit der Nicht-Anhörung des Sachverständigen eine große Chance verpasst habe. Sie plädiert auf Freispruch und Herausgabe der beschlagnahmten Fahne.

 

Das letzte Wort vor dem Urteil hat der Angeklagte. Sein Thema heißt Freiheit. »Wenn alle dasselbe denken«, stellt er fest, »heißt das: wenig denken.«

 

Der Angeklagte wird freigesprochen. Die Kosten muss die Staatskasse tragen. Der Richter findet, dass der Kunstcharakter der Aktion offensichtlich war. Was die Verteidigung über die verpasste große Chance gesagt habe, sei dagegen »juristischer Unsinn« gewesen.

 

Josef Foschepoth gratuliert José Concepción und seiner Verteidigerin herzlich zu dem Freispruch. Am Abend wird er im Gewerkschaftshaus seine Erkenntnisse über die Umstände vortragen, unter denen das KPD-Urteil von 1956 zustande kam, Das Publikum im vollen Saal wird gespannt zuhören und nicht den Eindruck haben, dass es sich um »juristischen Unsinn« handelt.

 

 

Josef Foschepoths Buch »Verfassungswidrig! Das KPD-Verbot im Kalten Bürgerkrieg« ist 2017 im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht erschienen (Preis: 40 €). Der 366-seitige Textteil wird ergänzt durch 100 Seiten Dokumente sowie ein Quellen- und Literaturverzeichnis und ein Personenregister.

Ossietzky-Heft 16/2016 enthält Beiträge von Georg Fülberth, Heinrich Hannover, Conrad Taler, Ulrich Sander, Eckart Spoo, Wolfgang Beutin und Ulla Jelpke zum Thema »KPD-Verbot. Ein Stück deutsche Geschichte«, Bezug für 2,80 € zzgl. 1,50 € Versandkosten über: ossietzky@interdruck.net.