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Titel1918

Ein trauriges Kapitel der Justizgeschichte  (Ralph Dobrawa)

Nach dem Verbot der KPD durch das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1956 verschärfte sich in der BRD die Verfolgung von Kommunisten und aller Personen, die der Sympathie mit ihnen verdächtig waren. Adenauer hatte bereits seit Beginn der 50er Jahre zum Generalangriff aufgerufen, sah er doch in ihnen Störer und Gefährder der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Die Justiz durfte da nicht nachstehen. Kriminalisiert wurden dabei vor allem auch Kontakte in die DDR, die damals – ungeachtet ihrer staatlichen Existenz – in der Bundesrepublik stets nur SBZ genannt wurde, getreu dem Motto, was ignoriert wird, ist zumindest staatsrechtlich nicht existent.

 

Das Landgericht Lüneburg hob sich in besonderer Weise bei der Verfolgung von Personen ab, die solche Kontakte unterhielten. Es bildete gewissermaßen die »Spitze der justizförmigen Kommunistenverfolgung«. Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten Lüneburg veröffentlichte 2016 eine Broschüre, in welcher über die Karriere von Richtern und Staatsanwälten in Partei und Justiz des Nazistaates und deren spätere Übernahme durch den bundesdeutschen Rechtsapparat berichtet wird. Ein Jahr später folgte eine Untersuchung, wie jene belasteten Juristen den »Kampf gegen den Bolschewismus« in der politischen Strafkammer des Lüneburger Landgerichts weiter betrieben. Am Beispiel des Vorgehens gegen Unterstützer und Aktivisten der »Volksbefragung gegen Militarisierung und für einen Friedensvertrag« wurde verdeutlicht, dass zu dem betroffenen Personenkreis nicht nur Kommunisten, sondern auch Gewerkschafter und Angehörige anderer linker Bündnisorganisationen gehörten, die sich gegen die Wiederbewaffnung und den NATO-Beitritt einsetzten. Sie alle waren von Aburteilung und Ausgrenzung betroffen.

 

Jetzt hat die VVN-BdA Lüneburg ein weiteres Heft vorgelegt, in dessen Mittelpunkt die bereits erwähnten »Kontakttaten« stehen. Hier handelte es sich überwiegend um Verbindungen in die DDR im Bereich der Arbeitswelt oder der Jugendorganisationen. Solche waren nicht erwünscht. Galten doch schon der Besuch in einem volkseigenen Betrieb, Zusammenkünfte auf Gewerkschaftsebene oder Beziehungen zu Friedensorganisationen im anderen deutschen Staat als verdächtig und kriminell.

 

Selbst Treffen auf sportlicher Ebene wurden vom Lüneburger Landgericht sanktioniert. Kinder-Ferienreisen in die DDR waren beliebt, galten aber auch als strafwürdig. Wer mit jenen »da drüben« sich abgab, stand immer auch im Verdacht, die gesellschaftliche Ordnung in der BRD bekämpfen zu wollen. Jede noch so kleine Organisation im deutschen Nachbarstaat war nach Auffassung der Lüneburger Richter von der SED gesteuert und beeinflusst. Ziel der SED sei nach dem Vorbild Moskaus die Errichtung der »Diktatur des Proletariats« und damit die Beseitigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung in der BRD. Dabei stellte sich schon die Frage, ob die »Taten« – begangen auf dem Territorium der DDR und dort keineswegs strafbar – denn überhaupt der westdeutschen Strafverfolgung zugänglich waren. Das störte die Richter in Lüneburg nicht. Schließlich kamen die Betreffenden ja wieder in die BRD zurück, brachten das Gedankengut mit und bildeten damit eine potentielle Gefahr für den Bestand dieses Staates. Außerdem galt die DDR auch staatsrechtlich als Inland, was Adenauer im Bonner Grundgesetz bereits hatte festschreiben lassen. Auf der Grundlage des sogenannten Blitzgesetzes – einem Strafrechtsänderungsgesetz zur Verschärfung des politischen Strafrechts aus dem Jahr 1951 – wurden oft empfindliche Gefängnisstrafen ausgesprochen. In Lüneburg war man bei dessen Auslegung wesentlich extensiver als andere Gerichte in Westdeutschland. Alte Nazis richteten dabei über junge Demokraten – als ob das Nürnberger Kriegsverbrechertribunal nie gewesen wäre.

 

Die Broschüre ist in jeder Hinsicht als Lektüre zu empfehlen, gewährt sie doch einen Einblick in den Kalten Krieg auf justitieller Ebene. Vor allem junge Menschen werden kaum glauben können, von welchen Erwägungen sich damals in Lüneburg tätige Juristen haben leiten lassen, um die Kriminalisierung ihrer Opfer zu begründen.

 

VVN-BdA Lüneburg (Hg.): »Das Landgericht Lüneburg als ›Spitze der justizförmigen Kommunistenverfolgung‹ der 1959er/60er Jahre Teil II b: Verfahren – Prozesse – Angeklagte«, Lüneburg 2018, 72 Seiten, 5 € (inkl. Porto), bestellbar unter vvn-bda-lg@web.de