Der Parlamentarische Fraktionsgeschäftsführer der Linken im Bundestag, Jan Korte, hat sich vor einiger Zeit erdreistet, die Bundesregierung schriftlich zu befragen, wie diese rückblickend »die Aufgabe und Arbeit der Treuhandanstalt und ihrer langfristigen Resultate aus sozialer, ökonomischer und juristischer Sicht generell und in Bezug auf die Entwicklung Ostdeutschlands« bewertet und ob sie »eine Aufarbeitung und eventuelle Neubewertung der Geschichte der Treuhand und ihrer Folgen« für geboten hält. Ende August erhielt er eine in einem sachlich-freundlichen Ton formulierte Antwort der Parlamentarischen Staatssekretärin Bettina Hagedorn (SPD). Darin stellt sie fest, dass die Treuhandanstalt »von der Regierung Modrow gegründet« wurde und ihre Aufgaben »von der frei gewählten Volkskammer der DDR« im Treuhandgesetz festgelegt wurden. Obwohl sie von zwei wissenschaftlichen Studien über die Treuhand berichtet, ist in ihrer Antwort von einer Neubewertung der Privatisierungsanstalt so gut wie nichts zu erkennen. Allerdings ist der Kern ihrer Bewertung wenig euphorisch formuliert: »Unterstützt durch umfangreiche Fördermaßnahmen hat sich bis heute in Ostdeutschland insgesamt eine wettbewerbsfähige Wirtschaft entwickelt, die wieder zahlreiche regionale und industrielle Schwerpunkte aufweist.«
Wie begeistert hatte sich dagegen der für die Kontrolle der Privatisierungsanstalt verantwortliche Finanzminister Theo Waigel (CSU) in der Bundestagsdebatte vom 21. September 1994 zum Bericht über den Treuhand-Untersuchungsausschuss geäußert: »Die Treuhandanstalt hatte im Auftrag der Bundesregierung den größten und wahrscheinlich schwierigsten Teil der Aufgabe zu übernehmen, nämlich die gescheiterte Planwirtschaft der DDR in die Soziale Marktwirtschaft zu transformieren. Es galt vor allem, das staatliche Eigentum an Produktionsmitteln in privates, unternehmerisches Eigentum zu überführen ... Wir danken allen, die innerhalb und außerhalb der Treuhandanstalt ihre Pflicht und noch viel mehr getan haben. Das war und ist Einsatz für Deutschland und Hingabe an unser Vaterland, das wir wiedergewonnen haben.«
Eindrucksvoll hat Waigel das gesagt. Da wir Teil des dankbaren Vaterlandes sind, dürfen wir uns erinnern:
Es ist zutreffend, dass die Treuhandanstalt, wie die Staatssekretärin in ihrer Antwort formulierte, »von der Regierung Modrow gegründet« wurde. Aufgabe der Anstalt sollten der Schutz und die Bewahrung des Volkseigentums sein. Doch nach den »ersten freien Wahlen« und der Bildung der von der CDU geführten Übergabe-Regierung unter Lothar de Maizière wurde die Treuhandanstalt in ihr Gegenteil verkehrt. Und das ging völlig demokratisch vonstatten. Kurz nach seiner Wahl zum DDR-Regierungschef traf sich de Maizière mit Vertretern westdeutscher Banken. Diese redeten mit ihm Tacheles. Eine Kreditgewährung machten sie von der eindeutigen Ausrichtung der Treuhandanstalt auf eine Privatisierung der Staatsbetriebe, einschließlich Grund und Boden, abhängig. Eine Woche später forderten die Großbanken auf einem weiteren Treffen mit dem DDR-Regierungschef ein entsprechendes Volkskammergesetz. Nach intensiven Beratungen in Bonn und Berlin wurde es am 17. Juni 1990 vom letzten Parlament der DDR verabschiedet und später mit dem Einigungsvertrag Teil des Bundesrechtes. Sein Auftrag lautete: »Das volkseigene Vermögen ist zu privatisieren.«
Der Treuhandanstalt, was für ein schöner, beruhigender Name, also den »treuen Händen« wurden unter anderem anvertraut: 8500 Kombinate und Betriebe, 20.000 große und kleine Einzelhandelsgeschäfte, 7500 Betriebe der Gastronomie, 900 Buchläden, 1854 Apotheken, 3,68 Millionen Hektar land- und forstwirtschaftliche Flächen und 25 Milliarden Quadratmeter Immobilien.
Kaum dass der Anschluss der DDR an die BRD vollzogen war, begann die Privatisierung des Volkseigentums, überstürzt, nahezu fiebrig, so, als befürchtete man, dass die Russen oder die Kommunisten vor Abschluss der Restauration des Kapitalismus wiederkommen könnten.
Eine Entschädigung der bisherigen Eigentümer – der Bürgerinnen und Bürger der DDR – erfolgte nicht. Ihre entschädigungslose Enteignung war nichts anderes als ein millionenfacher Diebstahl, einmalig in der deutschen Geschichte. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Artikel 125, Abs. 6 des Einigungsvertrages bestimmt: »Nach Maßgabe des Artikels 10, Abs. 6 des Vertrages vom 18. Mai 1990 [über die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion; R. H.] sind Möglichkeiten vorzusehen, dass den Sparern zu einem späteren Zeitpunkt für den bei der Umstellung 2 : 1 reduzierten Betrag ein verbrieftes Anteilsrecht am volkseigenen Vermögen eingeräumt werden kann.«
Dieser Artikel wurde von den Regierenden der größer gewordenen Bundesrepublik alsbald der Vergessenheit anheimgestellt, es war schließlich nur eine Kann-Bestimmung. Die entschädigungslose Enteignung erfolgte in einem Raubzug ohnegleichen, sie war, und das sei wiederholt, nichts anderes als ein gigantischer Diebstahl, begangen an jeder Bürgerin, an jedem Bürger des untergegangen ostdeutschen Staates. Bereits vor der Währungsunion hatte die Frankfurter Allgemeine Zeitung berechnet, dass der Pro-Kopfanteil am volkseigenen Vermögen bei etwa 40.000 Mark lag.
Zudem war die entschädigungslose Enteignung ein doppelter Verfassungsbruch. Gebrochen wurde die Verfassung der im Juni 1990 noch bestehenden DDR, nach deren Artikel 10 das »gesamtgesellschaftliche Volkseigentum« zu schützen ist und deren Artikel 16 festlegte: »Enteignungen sind nur für gemeinnützige Zwecke auf gesetzlicher Grundlage und gegen angemessene Entschädigung zulässig.« Grob verstoßen wurde gegen das Grundgesetz der Bundesrepublik, und das auch noch in seinem sakrosankten Kernbereich, der den Schutz des Eigentums bestimmt. Dieser allerheiligste Artikel, er trägt die Ziffer 14, lautet: »(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt. (2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. (3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.«
Wer aber ist vor Gericht gezogen? Ich kenne niemand, weder eine Partei noch eine namhafte Persönlichkeit. Noch wäre es nicht zu spät, das nachzuholen, denn nach § 197 BGB gibt es in Sonderfällen auch eine dreißigjährige Verjährungsfrist. Diese gilt, im schönsten juristischen Deutsch formuliert, vor allem für »Herausgabeansprüche aus Eigentum«. Noch sind die 30 Jahre seit dem großen Diebstahl nicht verstrichen. Noch kann gehandelt werden.