Hatte die Bundeswehr noch vor wenigen Jahren in ihrer Propaganda die Gründe für weltweite Militäreinsätze in den Mittelpunkt gestellt – etwa »Der Handel über die Weltmeere erfordert sichere Seewege« –, so ist sie heute schon weiter. 2018 meint sie, die Akzeptanz von Kriegen voraussetzen zu können. Jetzt müssen junge Leute dafür gewonnen werden, sich zum Töten und Sterben im Hightech-Krieg zur Verfügung zu stellen.
Eine höchst umstrittene Propagandastrategie hat die Bundeswehr bei der Gamescom verfolgt, der weltweit größten Messe für Computer und Videospiele. Den 370.000 meist jüngeren BesucherInnen bot das Militär »eine Verharmlosung des Tötens« (faz.net, 23.8.2018). Auf den Plakaten prangte »Multiplayer at its best!« und »Mehr Open World geht nicht!« Mit den Parolen sollte Aufmerksamkeit erregt werden für die »Werte der Bundeswehr«, nämlich »Einsatz für eine freie Welt«. Nicht alle Besucher erklärten sich einverstanden mit den PR-Strategen: »Videospiele mit Krieg auf eine Stufe stellen. Wahnsinn«, lautete einer der Kommentare.
Dennoch: Zahlreiche Bundeswehr-Agitprop-Videos auf YouTube werden von Hunderttausenden aufgerufen, egal ob es um Fallschirmjäger oder Kampfschwimmer, um KSK oder GSG9, um Marine oder den Bundeswehr-Einsatz in Mali geht. Zu sehen sind mit großem technischen Aufwand gedrehte, teilweise psychologisch geschickt inszenierte Filme. So etwa »Unsichtbare Helden – Die Kampfschwimmer der Bundeswehr« von 2017 (https://www.youtube.com/watch?v=Nwzizopiaww): Die mit neuester Waffentechnik ausgerüsteten Soldaten haben eine »Mission«, nämlich die Rückführung von drei jungen Deutschen aus einer Krisenregion. Die Feinde mit den Pali-Tüchern, erledigt von unseren Scharfschützen, sieht man nicht sterben. Aber für Dramatik – Unterwasserszenen, Schusswechsel, rasante Fahrten in Motorbooten – ist reichlich gesorgt; eine düstere Atmosphäre mit aufwühlender Musik und Großaufnahmen von modernsten Waffen verfehlen nicht ihre Wirkung, wie die Kommentare der Nutzer zeigen. Prädikat: exzellente Werbung fürs Töten.
Beim Betrachter sollen nicht Reflexion, sondern Emotionalisierung und Identifikation bewirkt werden. Auftraggeber und Macher des Films werden sich hüten, Sinn oder Unmenschlichkeit militärischer Einsätze und Kriege zu thematisieren. Auch die für die Einsätze verantwortlichen Politiker liefern zunehmend Beispiele dafür, dass inzwischen Aufrüstung, Interventionen und Kriege wieder zum selbstverständlichen Repertoire der deutschen Politik gehören. Das Militär hat sich mit Rückendeckung der Politik von seinem grundgesetzlichen Auftrag der Verteidigung verabschiedet und strebt nach Ausweitung sowohl der Waffensysteme als auch der Ausgaben dafür und nach Expansion der Einsatzorte und -ziele. Geradezu im Wochentakt erfährt die Öffentlichkeit von neuen Manövern (vgl. »Militär – Macht – Kriege«, Ossietzky 18/2018): »NATO startet Großübung«, titeln etwa die Badischen Neuesten Nachrichten und zitieren den Bundeswehr-Kommandeur Neumann: »Die Bundeswehr wird wieder sichtbar.«
Der Rüstungsetat wird erhöht, und Bundesministerin von der Leyen plant einen neuen Kriegseinsatz in dem ohnehin von Kriegsterror zerstörten Syrien. Verstößt ein solcher Einsatz der Bundeswehr nicht gegen das Grundgesetz und das Völkerrecht? Doch, stellt das Rechtsgutachten des Parlaments fest. Das stört die Bundesregierung nicht: Das Gutachten wird in der Bundespressekonferenz abqualifiziert, die Bundeskanzlerin schließt ein Eingreifen nicht kategorisch aus, und die Planungen gehen weiter. Die Bundesregierung nimmt Gefahren billigend in Kauf: Der Einsatz käme den Terroristen zugute und würde sich gegen Russland richten, das diese zusammen mit der syrischen Armee bekämpft.
Dafür muss ein Feindbild durch ständige Wiederholung in den Köpfen verankert werden. Der Feind ist Russland, am besten in der personalisierten Form: Putin. Ohne jede historische Differenzierung präsentieren Politik und willige Medien als Begründung nur noch: Krim. Ukraine. Jede weitere Rechtfertigung erübrigt sich anscheinend damit. Und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier pervertiert die Begriffe, wenn er vorgibt, mit den Rüstungsexporten nach Saudi Arabien für den Krieg im Jemen »Frieden, Stabilität und Menschenrechte« schaffen zu wollen (vgl. Bundespressekonferenz, 26.8.18; https://www.facebook.com/jungundnaiv/videos/921264918056765/). Oder: Die bereits erwähnte größte ABC-Übung der NATO zusammen mit der EU (!) wird zwei Wochen lang in Deutschland, Tschechien und Italien durchgeführt. Der Kommandeur weist als Begründung auf die große reelle Bedrohung hin; das zeige sich aktuell »etwa in Libyen, Syrien oder beim Krim-Konflikt« (BNN, 11.9.18). In aller Unbefangenheit vertauscht er dabei Täter und Opfer, Ursache und Wirkung. Es geht nicht um eine Analyse und sachliche Begründung, sondern um das Evozieren von Gefühlen und unüberlegter Zustimmung.
NATO und EU tauchen wie in diesem Beispiel gemeinsam bei militärischen »Missionen« auf. Denn die EU will sich militärisch »emanzipieren«. Bereits im Lissabon-Vertrag hat man einen Aufrüstungsautomatismus festgeschrieben: »Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern« (Art. 42). Im Rahmen von »Permanent Structured Cooperation« (PESCO) soll die Rüstungsindustrie ausgebaut und der Militärapparat gestärkt werden. Sabine Lösing und Jürgen Wagner weisen darauf hin (»PESCO: EU-Aufrüstung mit Zwang und Sanktion«, in Blätter 8/2018), dass keineswegs nur Verteidigung angestrebt werde; vielmehr enthalte die EU-Globalstrategie als Vorgabe »Zugang zu Ressourcen« und den »Schutz« von Handelswegen: »Als potentielle Einsatzgebiete werden östlich die Länder ›Zentralasiens‹ und südlich alle Staaten bis ›Zentralafrika‹ benannt, während es gleichzeitig gelte, die Seewege im ›Indischen Ozean‹ ebenso zu sichern, wie ›am Golf von Guinea bis hin zum Südchinesischen Meer und der Straße von Malakka‹«.
EU-Kommissionschef Juncker hat in seiner Rede zur Lage der Union die Notwendigkeit betont, dass Europa im Konzert von starken Spielern hörbarer wird – eine bemerkenswerte Wortwahl. Es müsse seine »Weltpolitikfähigkeit« beweisen, sagte Juncker wörtlich. Europa müsse angesichts der geopolitischen Situation sein Schicksal in die Hand nehmen. Sein Vorschlag: Die EU-Grenzschutztruppe Frontex soll in den nächsten zwei Jahren personell aufgestockt werden – auf das über Sechsfache. Der CDU-Europaparlamentarier Daniel Caspari sekundiert: Europa solle nicht »Zaungast der Weltgeschichte« bleiben. Dafür sei eine gemeinsame Außenpolitik notwendig, »notfalls auch mit gemeinsamer militärischer Unterstützung« (BNN, 13.9.18).
Immer deutlicher kristallisiert sich eine imperialistische Politik der EU unter deutscher Führung heraus. Das TINA-Prinzip (There Is No Alternative) des neoliberalen Kapitalismus, das der Menschheit mit fatalen Konsequenzen aufgezwungen wurde, soll nicht mehr nur in der Wirtschaft gelten, in Form von Privatisierung, Deregulierung und Liberalisierung der Finanzmärkte, sondern auch in der Außenpolitik – durch Aufrüstung und Kriegsbereitschaft. Aus der Sicht der Propagandisten ist das, was der Bevölkerung als Wahnsinn erscheinen mag, durchaus sinnvoll: Einige der größten Konzerne in Deutschland wie Krauss-Maffei Wegmann, ThyssenKrupp, Rheinmetall und MAN machen die größten Profite mit Rüstungsgütern. Je mehr Konflikte in der Welt, umso besser laufen die Geschäfte. Und Deutschland will unbedingt in vorderster Front bei den Global Playern mitspielen um billige Rohstoffe, Absatzmärkte und strategische Vorteile. Vertrauensbildende Maßnahmen initiieren? Sich fürs Verbot der Atomwaffen einsetzen? Aus der bedrohlichen Rüstungseskalation aussteigen? Das sind längst überholte Strategien der Friedenssicherung.
Die deutsche Politik schafft kontinuierlich die angeblichen Sachzwänge, hinter denen sie sich dann versteckt, nach dem Motto: Wir müssen auf die schwierige geopolitische Lage reagieren. Es gibt keine Alternative zu Aufrüstung und Kriegseinsätzen, so wollen uns Politiker glauben machen. Die Staats- und Regierungschefs der NATO-Länder haben bei ihrem Gipfeltreffen im Juli das Ziel einer massiven Aufrüstung bekräftigt. Die Bundeswehr soll Drohnen bekommen, die auch bewaffnet werden können. Und ohne jede öffentliche Diskussion werden für die Marine fünf neue Korvetten bestellt; geplante Kosten zwei Milliarden Euro. Sie sollen nach fünf deutschen Städten getauft werden. Da gibt es Protest: Das Friedensbündnis Karlsruhe etwa – die Stadt soll eine Patenschaft für eines der Kriegsschiffe übernehmen – fühlt sich an die Kanonenbootpolitik des Kaiserreichs erinnert, wenn der Marineinspekteur vor fremden Küsten die »Nutzbarkeit der See für militärische Einsätze verbessern« will (Neue Rheinische Zeitung, 17.9.18). Immerhin gehört die Stadt Karlsruhe dem internationalen Städtenetzwerk »Mayors for Peace« an, das die Abschaffung der Atomwaffen fordert.