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Tod in Havanna  (Jörg Berlin)

Am 7. Januar 2008 starb in Havanna Philipp Agee, ein Mann, der wie kein anderer vor und nach ihm die mörderische Tätigkeit der CIA enttarnt und dargestellt hat. Er hatte sich 1957 während des Kalten Krieges für die Agency anwerben lassen, damals noch fest davon überzeugt, hier einen Beitrag für den Schutz von »freedom and democracy« leisten zu können. Doch seine Erfahrungen in verschiedenen lateinamerikanischen Staaten belehrten ihn, daß das eigentliche Ziel der US-Politik darin bestand, traditionelle Machtstrukturen zu konservieren und der Mehrheit der Bevölkerung die Kontrolle der Wirtschaft und der politischen Entscheidungen vorzuenthalten, also Demokratie zu verhindern. Möglich war das nur durch Unterdrückungsmaßnahmen verschiedenster Art. Die Aufgabe der CIA bestand darin, Staatsstreiche zu organisieren, Diktaturen zu etablieren, Todesschwadronen aufzustellen und zu trainieren und Folterschulen einzurichten. Im Vergleich zur Gegenwart ist immerhin festzuhalten, daß die US-Agenten damals noch nicht selber folterten, sondern das »know how« lieferten und assistierten. Für Morde und Terrorakte stellten sie Geld, Waffen, Unterstützung aller Art zur Verfügung. Dafür brauchten sie nicht zuletzt Nachrichtenagenturen und Journalisten, die bei aller Kritik im Einzelnen die Verhältnisse so darstellten, als wären die »Hilfsprogramme« gerechtfertigt. Ob die Redakteure für die Veröffentlichung genehmer Nachrichten direkt Geld oder nur spannende, verwertbare Informationen bekamen, war für CIA-Zwecke bedeutungslos. Das Gleiche gilt für die Beeinflussung von Wahlen, die Infiltration von Parteien, Kirchen, Frauen- und Studentenorganisationen und Gewerkschaften.

Alles dies erlebte Philip Agee unmittelbar mit.

Vielleicht förderte die Liebe zu der schönen Brasilianerin Angela Camargo Seixas sein Nachdenken, die für Che Guevara schwärmte. Wegen ihrer politischen Einstellung wurde sie verhaftet und von den mit US-Agenten kooperierenden »Sicherheitskräften« gefoltert. Vielleicht hatte sein Umdenken bereits in ­Uruguay eingesetzt. Hier erlebte er im Nebenzimmer mit, wie ein von ihm denunzierter junger politischer Aktivist beim Verhör gequält wurde. Während der Olympischen Spiele in Mexiko 1968 organisierte Agee dort Geheimdienstaktivitäten. Als die von US-Kräften geschulte Armee protestierende Studenten massakrierte und anschließend die Überlebenden zu Tode quälte, war das Maß voll. Möglicherweise versuchte er schon damals – wenn auch vergeblich –, mit dem sowjetischen Geheimdienst Kontakt aufzunehmen.

Jedenfalls erkannte Agee, daß all das Gerede von Reformen auch in den Kennedy-Jahren nichts an den Verhältnissen änderte und die schreiende Ungerechtigkeit bei de Verteilung von Land und Reichtum unangetastet ließ. Seit der spanischen Eroberung und der Kolonialzeit war in Lateinamerika im wesentlichen alles beim alten geblieben. Und was die CIA tat, war im Kern nichts anderes als Unterstützung der Ausbeuter und Unterdrücker.

1969 verließ Agee die CIA und begann ein Buch über seine Erfahrungen zu schreiben. Die CIA bekam Wind von diesem Plan, und seine Schreibmaschine war bald so verdrahtet, daß die Agency jeden zu Papier gebrachten Buchstaben verfolgen konnte. Doch 1975 gelang es, das Buch »Inside the Company: CIA Diary« zu veröffentlichen. Es erschien weltweit in 27 Sprachen (deutsch 1979 unter dem Titel »CIA intern: Tagebuch 1956–1974«). Besonders übel nahm ihm sein ehemaliger Dienstherr, daß in dem Werk die Identität von über 250 aktiven Agenten aufgedeckt wurde. In folgenden Publikationen (1980 und 1981) über »schmutzige Aktionen« der CIA in West-Europa und Afrika half Agee, weitere 2000 Spione zu enttarnen. In »On the run« berichtete er über die gegen ihn gerichteten Verfolgungsmaßnahmen und die psychischen Spuren, die sie bei ihm hinterließen. Diese autobiographischen Aufzeichnungen erschienen 1987 in London und 1994 in Hamburg. Die zeitlichen Verzögerungen bei den deutschen Veröffentlichungen hätte es bei auch nur halb so spannenden Kriminalromanen ­sicherlich nicht gegeben.

An diesen mutigen Mann und sein Werk zu erinnern, ist mehr als Chronistenpflicht. Denn seine selbst gestellte politische Aufgabe, die Macht der CIA zu brechen, ist so aktuell wie eh und je. Gegenwärtig schützen deren Agenten nicht den Schah von Persien, sie organisieren auch nicht die Ermordung Lumumbas und Allendes, der politischen Führer des Kongo oder Chiles. Sie heuern wohl weder Mafiakiller gegen Ziele auf Kuba an noch unterstützen sie Italiens Neofaschisten bei Bombenattentaten.

Der aktivste und gefährlichste CIA-Zögling ist gegenwärtig Osama bin Laden. Sein Auftrag, die sowjetischen Truppen in Afghanistan auszubluten, ist mittlerweile beendet. Aber die Ausbildung, die tausende Mudjahedins ebenso wie bin Laden im Interesse und auf Kosten der USA erhielten, befähigte sie offenbar, ein weltweites Terror-Netzwerk aufzubauen. Wenn das Leuten möglich ist, die sich selbständig gemacht haben, ist leicht vorstellbar, zu welchen Schandtaten vom Geheimdienst angeleitete Agenten fähig sind.

Ich bleibe Philip Agee besonders dankbar für seine Mitwirkung an dem Buch »Unheimlich zu Diensten«, in dem wir uns mit den Beziehungen zwischen Medien und Geheimdiensten befaßt haben.

E. S.