Ich muß, wenn ich zur Zentralbibliothek in Hamburg will, an ihnen vorbei. Unübersehbar: das fünf Meter hohe, wie auf Stelzen stehende Paar aus farbig bemalter Bronze. Und wenn ich von Süden her mit der S-Bahn zum Hauptbahnhof fahre, steht ein Mann auf dem Wasser der Süderelbe, auf einer Boje, unentwegt in die schmutzigen Fluten starrend. Die Skulpturen von Stephan Balkenhol gehören zum Programm »Kunst im öffentlichen Raum«. Drei weitere Bojen-Skulpturen und eine Riesen-Giraffe mit Mann am Hals (vor Hagenbecks Tierpark) sind Blickfang und Wegmarke.
Über hundert Werke des Künstlers, fast alle aus Holz, zeigt die bisher größte Einzelausstellung in den Deichtorhallen Hamburg. Balkenhol, der 1976–1982 in Hamburg Kunst studierte, fühlt sich bis heute mit der Stadt verbunden. Die Ausstellung empfindet er als ein »Familientreffen« seiner Geschöpfe. Die stehen da, bewegungslos, starr, und auch die Gesichter drücken nichts aus, gleichgültig der Umwelt gegenüber. Teilnahmslos oder erschöpft? Sie arbeiten nicht, sie vergnügen sich nicht, sie schlafen nicht – stehen nur so herum. Vielleicht wartend – oder lauernd? Die Männer meist mit schwarzer Hose und weißem offenen Hemd: Büroangestellte in der Pause, nichts mehr erwartend, doch immer bemüht, lässig zu erscheinen, cool. Bei den Frauen, wenn sie nackt sind, wird das Rauhe, Ungeglättete, Spröde der Nadelhölzer sichtbar. Risse zerschneiden ein Gesicht, Astlöcher werden zu Wunden, zu Narben, Baumharz zu Tränen. Holzspäne hängen am Körper herunter wie Hautfetzen. Balkenhol will nicht das Glatte, Schöne, sondern das Unfertige darstellen, das Entwicklungsfähige.
Die Menschen scheinen gesichtslos wie die Häuserreihen von Prora auf Rügen mit vernagelten Fenstern – eines der Holzreliefs, das wie ein Gemälde wirkt. Der Künstler erschafft auch moderne Mythen. Ein Mann in silberner Schuppenhaut steht in einem Raum, der von Bürogebäuden (Holzreliefs) an den Wänden begrenzt wird. Eine Frau, nur mit weißem Servierschürzchen bekleidet, posiert vor dem Reliefbild der Sächsischen Schweiz wie für eine Tourismuswerbung.
Die Meerjungfrau (aus Eiche) liegt auf dem Boden, ein großer Riß geht durch ihren Körper. Sie wurde 1997 für den Aussichtsraum auf der Zugspitze geschaffen, nicht fürs Wasser. Ein großer Kopf aus Pappelholz ist wie mit Blut beschmiert, braun geronnenem Blut. In der Nähe an der Wand fletschen zwei Hunde die Zähne. Haben sie ihn angefallen? Ein Raum voller Pinguine auf Sockeln, 57 Tiere. Jeder in einer anderen Haltung, jeder ein Individuum. Nicht gleichförmig wie die Bürogesellschaft in schwarz-weiß. Denn der Pinguin ist kein Mensch.
Balkenhols Engel aus gefärbtem Zement – Holz bleibt dem Menschen vorbehalten – ist männlich. Ob seine schweren Schuhe ein Wegfliegen erlauben? Einer der Standardmänner hat sich einen großen Elefantenkopf übergestülpt, die Hände lässig in den Hosentaschen.
Mit dem Relief »der Gekränzte« beweist Balkenhol, wie raffiniert er die Holzstruktur für Haut verwenden kann. Und der goldene Lorbeer scheint den Geehrten gewaltsam ins Holz hinein zu drücken. Poetisch und ganz zart: die »Frau vor Buchstaben«. In gelber Bluse und mit kurzem Haar steht sie vor einem schwarzen Himmel, der mit Buchstaben wie Sternen bedeckt ist. Weint ihr linkes Auge? Vielleicht ist es nur Harz.
Etwas zum Mitnehmen? Das gibt es im Museumsshop. Fünfzig Masken aus Bronze, je nach Geschmack in weiß oder in schwarz, 24 Zentimeter hoch. Die limitierte Künstler-Edition mit Zertifikat kostet 4250 Euro zuzüglich sieben Prozent Mehrwertsteuer.