Gelegentlich haben wir es mit Außerirdischen zu tun, so etwa mit jenem freundlichen Wesen namens Alf, welches vor Jahren vom Mond oder Stern Melmac kommend im amerikanischen und demzufolge auch im deutschen Fernsehen landete. Dort kann man oft Geschöpfe von geradezu überirdischer Dirk-Bach-Schönheit bewundern. Microtinae aber heißen die unterirdischen Wühlmäuse in der Sprache der Zoologen. »Von den zur Unterfamilie der Wühler gehörenden Nagetieren gibt es über 200 kleinwüchsige, plumpe kurzschwänzige Arten mit kleinen Augen, kurzen Ohren und wurzellosen, zeitlebens nachwachsenden Backenzähnen.« Die Microtinae können wir, was die Forscher verschweigen, am besten bei Schlußverkäufen beobachten, wo sie sich an sogenannten Wühltischen zusammenballen.
Die Wühlmaus kommt nicht nur in der wissenschaftlichen Literatur vor, sondern auch in der Belletristik. Verwiesen sei auf den satirischen Schriftsteller und leidgeprüften Gartenfreund Ernst Röhl, dessen poetische und wahrheitsgetreue Studie »Pardon wird nicht gegeben« das heikle Thema mit philosophischer Überlegenheit abhandelt. Ernst Röhl kommt zu dem Schluß: »Der Mensch kann Wölfe besiegen. Auch Bären, Tiger und Löwen. Nicht aber die Wühlmaus! Die Wühlmaus, Freunde, ist für ihn einfach ein paar Nummern zu groß.«
Das trifft auch auf jene Science-Fiction-Utopisten zu, welche den Fundamenten der Metropole Berlin neuerdings den Krieg angesagt haben. Man kann Städte nämlich einfach dadurch zerstören, daß man sie untertunnelt, und zwar so total wie irgend möglich. Das neue Attentat wird von leitenden und natürlich motorisierten Persönlichkeiten eines großen Automobil-Vereins geplant. Listigerweise begründet man die unterirdischen Unternehmungen mit großzügiger Rücksichtnahme auf flanierende Fußgänger. Die Fußgänger haben nämlich wegen des kulminierenden Kraftverkehrs auf den Berliner Flaniermeilen, zu denen die Tauentzienstraße, der etwas morbide Kurfürstendamm und Unter den Linden gehören, nicht mehr genügend Raum zum Flanieren! In Klammern: und zum Einkaufen.
Wer die Erneuerung einer Stadt von unten her betreiben will, muß unten anfangen. Also in der Flaniermeile Unter den Linden, wo die nervösen Fußgänger pausenlos von der Russischen Botschaft zur Deutschen Staatsoper und zurück flanieren. Manchmal verweilen sie vor dem abgerissenen Linden-Hotel, um dort keinen Kaffee zu trinken. Zwischendurch ein Spaziergang über den Bebelplatz zur Hedwigs-Kathedrale, wobei man den Platz vor der Hedwigs-Kathedrale und den hinter ihr besichtigen kann, die beide so aussehen wie sie heißen.
Diese und andere attraktive Sehenswürdigkeiten sind für Flaneure künftig viel zugänglicher als heutzutage, nachdem die Zukunftsträumer ihr wichtigstes Vorhaben verwirklichen konnten: die Untertunnelung der Straße Unter den Linden.
Unten lauter Autos, oben lauter Flaneure!
Nun kann man schon mal was übersehen – daß nämlich unter Unter den Linden längst die dringend benötigte U-Bahn vom Alexanderplatz zum Brandenburger Tor (mit Verlängerung über Reichstag zum Hauptbahnhof) allen weiteren Plänen im Wege sein dürfte. Daran scheiterte bereits der große Innovator Mehdorn, als er die Grabungen für eine seiner diversen Süd-Nord-Keller-Bahnen auszuschachten befahl. Seine teuren Berater hatten übersehen, daß durch den S-Bahnhof »Unter den Linden« seit den 40er Jahren auch eine Bahnstrecke führt. Konnte doch keena ahnen, war ja ohm nich zu sehn.
Und unterirdische Trassen unter unterirdischen Trassen sind äußerst komplizierte Bauwerke. Hätte Mehdorn das geahnt! Sein Colosseum der Neuzeit, der Lehrter Hauptbahnhof, wäre in 150 Meter Tiefe entstanden ...
Schade dann um den Hauptbahnhof.
Also um den vielleicht nicht.
Aber um Berlins Grund- und Trinkwasser.