Der Steffenssche Reflex
Der russische Biologe Pawlow ließ, während er Hunde fütterte, ein Glöckchen klingeln und registrierte dabei den Speichelfluß der Tiere. Dann setzte er die Fütterung ab und ließ nur noch das Klingeln ertönen – trotzdem sonderten die Hunde vermehrt Speichel ab. Als »Pawlowscher Reflex« ging diese Entdeckung in die Wissenschaft ein.
Bekomme ich Post vom Jobcenter, kann ich in letzter Zeit auch bei mir die stets gleichen körperlichen Reaktionen beobachten: Der Puls steigt kräftig, ich nehme die Angst-Wut-Reaktion schon vorweg und weiß auch ohne Spiegel, daß mein Gesicht sich verzieht, ja verzerrt. Ich habe so oft ungerechtfertigte schriftliche Anschuldigungen erhalten, daß ich den übelwollenden, übelgelaunten und schlechtinformierten Sachbearbeiter, der mir gegenüber sitzt, gar nicht brauche. Es genügt die Absenderangabe des Jobcenters, um solche Reaktionen in mir auszulösen.
Beim Versuch, meine Machtlosigkeit mental zu kompensieren, versetze ich in Gedanken Michael Kohlhaas als meinen Anwalt in die Gegenwart. Adressat seiner Gewalt ist aber nicht die Burg eines selbstherrlichen Junkers, sondern das Gebäude des Jobcenters. Ihm setzt er den roten Hahn aufs Dach.
Ich beantrage hiermit die Aufnahme des »Steffensschen Reflexes« in die Lehrbücher für Biologie.
Hugo Steffens
Automatisierte Bewerbungen
In der
Stuttgarter Zeitung lese ich, daß ein paar Hartz 4-Empfänger einen Anbieter beauftragt haben, für sie Massenbewerbungen zu verschicken, Kosten: 5 Euro pro Bewerbung. Das ist genau der Betrag, den die Job-Center maximal ersetzen. Aber das Leipziger Center lehnte die Kostenübernahme für diese Massenbewerbungen ab (bis zu 40 Stück!), und das Gericht gab ihm recht, weil die Erwerbslosen damit »kein eigenverantwortliches und eigeninitiatives Bemühen um einen Arbeitsplatz« an den Tag gelegt hätten.
Die Begründung ist Unsinn, zeigt sie doch, daß die Leute eine gute Idee hatten und wirklich in weitem Umkreis nach Arbeit suchten, besser als sie es einzeln selber konnten. Selbstverständlich wäre dafür auch Geld da – ich sehe doch, wofür das Arbeitsamt Geld herauswirft (beispielsweise für Bewerbungstraining, worüber ich früher schon berichtet habe). Ganz zu schweigen von den unsinnigen Konjunkturprogrammen, die eigentlich unternehmerische Profitsicherungsprogramme sind.
In Wahrheit ist auch das Bewerben eine Strafe, eine Art unbezahltes Beschäftigungs- und Bevormundungsprogramm. Mein Job-Center hat sicher noch nichts von einer Wirtschaftskrise gehört. Die sogenannten Eingliederungsvereinbarungen, in denen auch die Anzahl der zu schreibenden Bewerbungen festgelegt wird, bedrohen unsereins mit der Vernichtung der Existenzgrundlagen. Darüber, wie Menschen in Verzweiflung und Tod getrieben werden, liest man freilich weniger als über den Selbstmord eines hiesigen Milliardärs, der damit ein Beispiel gab, wie sich Herrschaften aus der Verantwortung stehlen können.
Kürzlich erzählte mir ein Freund, der einen Blumenladen betreibt, dort sei ein junger Mann aufgetaucht, der sich ungefragt bewarb. Da es keinen freien Arbeitsplatz gab, bat er nur um eine Unterschrift zur Bestätigung seiner Bewerbung. Das ist nämlich eine neue Idee der Arbeitsagentur, die sie wohl aus dem Musterland USA übernommen hat: Man schicke einfach die Arbeitslosen jeden Tag acht Stunden auf einen Rundgang, damit sie sich bei allen in der Umgebung liegenden Geschäften periodisch melden und sich ihre Vorsprache beglaubigen lassen. Dann sind sie beschäftigt und kommen nicht auf dumme Gedanken.
Wolfgang Haible
Lagergefühle
Koch hat Stimmen verloren, aber die Wahl gewonnen; wer Hahn gewählt hat, weil er Koch nicht wollte, hat Koch bekommen. Und aufgefrischt ist durch die hessische Landtagswahl die Imagination eines schwarz-gelben »bürgerlichen Lagers«, zu dessen Führung sich Merkel und Westerwelle zusammentun sollen.
Die SPD-Oberen wiederum wissen nicht so recht, ob sie einen »Lagerwahlkampf« zu fürchten haben oder ob er ihnen nützen könnte, weil er ihrer Partei den Anschein eines Profils geben würde, das sie nicht hat. Die Grünen ziehen ihren Vorteil nicht nur aus dem Absacken der SPD, sondern auch aus den Schwächeanfällen des »Volksparteien«-Modells. Sie sind für alles zu haben: für Koalitionen mit der SPD, der FDP, der CDU/CSU; dem »bürgerlichen Lager« werden sie nicht zugerechnet, aber im Ernst wird ihnen niemand nachsagen können, sie seien nicht bürgerlich, wenn darunter verstanden wird, daß eine Partei vor jeder antikapitalistischen Versuchung gefeit ist. Auf wunderbare Weise hat sich in Zeiten der vielzitierten »Krise des Neoliberalismus« das neoliberale Potential im Wahlvolk noch verstärkt – eben durch Zugewinne der FDP und der Grünen. Allerdings ist zu präzisieren: Dies gilt für den wählenden Teil des Volkes, der weiter abnimmt. Die Politik der »Rettungsschirme« für die Konzerne wird im Allparteienkonsens betrieben, und die Mehrheit der Bevölkerung hat die Kosten dafür zu tragen, bleibt aber im Regen stehen. Da kann es nicht verwundern, daß bei der parteipolitischen »Lager«-Show die Teilnehmer-Quote sinkt.
Arno Klönne
Die Ypsilon-Geschichte
Irgendwann, so nehme ich an, wird die Geschichte geschrieben werden, wie in früheren Zeiten die Medienkonzerne Politik machten und locker in der Lage waren, eine Politikerin fertigzumachen. Andrea Ypsilanti kann dann als Musterfall behandelt werden.
Nach dem Rücktritt des Haßobjektes trat die
Frankfurter Rundschau noch mal nach und verabschiedete sich von »der verbissenen Kandidatin einer linken Minderheit«: Nicht nur »Wortbruch«, sondern auch »Arroganz und Ignoranz, der Versuch, die Macht um jeden Preis zu erreichen« seien die bösen Merkmale der Y-Politik gewesen. Und hochzufrieden wußte diese Zeitung von der SPD-Wahlparty im Berliner Willy-Brandt-Haus zu berichten, Applaus habe es dort nur einmal gegeben: als Ypsilanti in Wiesbaden vor der Presse bekanntgab, sie werde auch als Landes- und Fraktionsvorsitzende nicht mehr weitermachen. Sozialdemokraten wissen eben, was zu tun ist, wenn die Meinungsmacher den Daumen nach unten drücken.
Das Beste wird sein, die SPD richtet eine Bad Bank ein: für massenmedial in Mißkredit gebrachte Genossinnen und Genossen.
Marja Winken
Millionaire Fair
Von Moskau aus kann ich mir kein Urteil über die deutschen Gewerkschaften erlauben: Kämpfen sie tapfer dafür, die Arbeits- und Lebensbedingungen der Beschäftigten zu verbessern, die Macht des Kapitals zurückzudrängen und zu überwinden? Das ist ja überall ihr Auftrag. In Rußland scheinen sie aber andere Aufgaben übernommen zu haben: das Volk ruhig zu stellen und es mit den Parolen unserer leitenden Herren aus Wirtschaft und Politik zu füttern.
Die Weltfinanzkrise habe Rußland verschont, so die Lesart führender russischer Gewerkschafter. Gleichzeitig halten sie aber die Angaben über die grassierende Arbeitslosigkeit unter Verschluß. Intern argumentieren sie, diese Zahlen könnten die Aktienkurse in den Keller rutschen lassen. Journalisten werden mit der Behauptung gefüttert, die Arbeitslosigkeit gehe leicht zurück. Außerdem gebe es landesweit Tausende und Abertausende unbesetzter Jobs. Man müsse lediglich weniger schmarotzen und mehr schuften, dann werde alles herrlich vorangehen.
Es kommt freilich darauf an, von welcher Seite man die Sache sieht. Ich kann einige Geschichten erzählen, die belegen und bestätigen, daß es in Rußland wirklich keinen Grund zur Panik gibt. Zum Beispiel Elton Johns Gastspiel in Moskau. Die Eintrittskarten kosteten zwischen 600.000 und einer Million Rubel und waren trotzdem bald vergriffen. Zeigt das nicht, wie stabil Rußlands Finanzlage ist? Oder die Messe »Millionaire Fair«, die für Tycoons in Moskau arrangiert wurde. Eingeladen waren 12.000 Oligarchen aus allen Ländern der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS). Das Angebot reichte von Prachtyachten, Hubschraubern, mit Diamanten bestückten Laptops bis zu Hotels in Manhattan oder ganzen Inseln in den Tropen. »Unverschämtheit und maßloser Zynismus«, schimpfte der Vorsitzende des Föderationsrats (Bundesrats), Sergej Mironow. »An das Gewissen der Veranstalter zu appellieren wäre sinnlos«, sagte er. Das Ganze sei eine Herausforderung der russischen Gesellschaft und dürfe nicht unbeantwortet bleiben.
Mironow und seine Partei »Gerechtes Rußland« wollten den Gegner mit dessen eigenen Waffen bekämpfen und präsentierten in Moskau eine alternative Exposition unter dem Titel »Jahrmarkt der Rentner«. Die Monatsration der Betagten, auf 30 Teller verteilt, wurde zur Schau gestellt: Ein mageres Stück Fleisch schmückte ein paar Teller, irgendwo war eine halbe Banane zu sehen. Mit zwei Scheiben Brot kann ein Rentner täglich fest rechnen. Einmal pro Monat können sich die Alten eine Packung Spaghetti, Reis, Buchweizengrütze, Zucker sowie einen halben Liter Pflanzenöl leisten. Zur Unterstützung der Rentner riefen die Akteure die Regierung auf, endlich eine Luxussteuer einzuführen und die Einkommensteuer zu staffeln.
Zum Ausmaß der Arbeitslosigkeit gibt es derzeit weder gewerkschaftliche noch amtliche Angaben. Unabhängige Forscher gehen von mindestens fünf Millionen Arbeitslosen in Rußland aus. Die Kommunistische Partei schlägt Alarm; sie fürchtet, daß ihre Mitglieder als erste gefeuert werden – welcher Unternehmer wünscht sich schon Kommunisten im Betrieb. Auch die Gastarbeiter müssen mit Entlassung rechnen, ihre Zahl beläuft sich laut Ministerpräsident Wladimir Putin auf etwa zehn Millionen. Fast täglich hört man in den Nachrichten von betrieblichen Rationalisierungsmaßnahmen. Besonders schlimm ergeht es Familien, die eine Hypothek für den Kauf ihrer Wohnung aufgenommen haben, wenn ihr Ernährer unerwartet seinen Job verliert. Putin hat zwar versprochen, der Staat werde solchen Schiffbrüchigen seine Rettungshand reichen – aber wie und wann?
Inzwischen hört man von Ereignissen, die für Optimismus kaum Spielraum lassen. Die Steuerbehörden beginnen, massiv gegen Zahlungsunfähige vorzugehen, nicht nur gegen solche, die mit riesigen Summen in Kreide stehen. Nach dem Prinzip »Kleinvieh macht auch Mist« sind die Beamten jetzt auf Jagd nach kleinen Fischen. Wegen einiger Hundert Rubel werden die Schuldner auf der Straße gestoppt und ihre Autos konfisziert, wenn sie ihre Verbindlichkeiten nicht auf der Stelle tilgen. Wegzufahren ist den Delinquenten verwehrt: Listen der Sünder liegen in allen Flughafen und Bahnhöfen. Das Parlament befaßt sich derzeit mit einer Novelle zum Strafgesetzbuch. Schuldner sollen zu zwei Jahren Zwangsarbeit verurteilt werden können. Ansonsten aber ist alles in bester Ordnung, versichern führende Gewerkschafter und warnen ihre Mitglieder vor Streiks wegen der Lohnrückstände. Die Finanzlage im Lande dürfe nicht durch »destruktive Kräfte« destabilisiert, die Stimmungslage der Obrigkeit nicht versaut werden.
Sergej Guk
Daniil Granin
wurde 90. Ein Augenzwinkern begleitete den Festakt für den Schriftsteller und Ehrenbürger von St. Petersburg: Am 1. Januar 1919 geboren, nahm er die Ehrungen am altrussischen Neujahrstag entgegen: am 14. Januar. Und jeder Teilnehmer erhielt das soeben erschienene jüngste Buch des Neunzigjährigen: »Wunderlichkeiten meines Gedächtnisses«.
Mich hatte schon vor der Reise die Frage irritiert: Bei allem, was von Granin deutsch erschienen ist – was ist sein Hauptwerk? Schnell könnte man antworten »Peter der Große«; lebenslang hatte ihn dieser Zar und Zimmermann beschäftigt, und alle Erfahrung des Meisters ist in den Roman eingegangen. Aber ist nicht das »Blockadebuch« über das von der deutschen Wehrmacht belagerte Leningrad Hauptwerk auf andere Weise? Oder »Sie nannten ihn Ur«? Oder »Angst«? Oder sogar »Zwei Gesichter« – ein Essay, der ein gewaltiges, von Größe, Tragik und Leidenschaften erfülltes Gemälde entwirft, das den Lesern Peter und Petersburg und vielleicht das Leben überhaupt auf neue Weise sehen läßt? Viele »Hauptwerke« hat unser Jubilar geschaffen.
Als ich Granin – zu Beginn meiner Verlegertätigkeit – vor rund fünfzig Jahren kennenlernte, erlebten in der DDR seine »Bahnbrecher« (im Original sinngemäß »Entdecker«) mehrere Auflagen. Der Roman schildert den Kampf, den seine Zentralfigur führen muß, um eine bahnbrechende Entdeckung durchzusetzen, und zugleich erwies sich Granin selbst mit diesem Buch als Entdecker wichtiger Themen, ungewöhnlicher Menschen und neuer Wege zur Überwindung unannehmbarer Widersprüche. Dabei suchte er nach einer Prosa »des Grübelns und der Phantasie, Tat und Erinnerung, Beschreibung und Bekenntnis ...« Seine Reisebilder (»Garten der Steine«) provozierten für mein erstes Nachwort über den Autor den Titel: »Granin auf Reisen – wohin?«
Früh war Granin auch in der Bundesrepublik bekannt geworden. Mit Blick auf sein Jubiläum möchte ich drei Episoden aus der Geschichte der Granin-Edition in der DDR erzählen: Die Novelle »Unser Bataillonskommandeur«, in der UdSSR wegen kritischen Rückblicks auf unnötige Verluste im Krieg zunächst fern von Moskau erschienen (in der Zeitschrift
Sewer = Norden), brachten wir schnell in der repräsentativen Spektrumreihe. Anders erging es dem Buch »Sie nannten ihn Ur« über den Gelehrten Timofejew-Ressowski, der mit sowjetischem Paß bis Kriegsende in Deutschland geforscht hatte. Unsere Übersetzung war schon gedruckt, als die Auslieferung von »ganz oben« gestoppt wurde. Ich machte mich daran, eine prinzipielle Würdigung des Werkes für
Sinn und Form zu schreiben. Inzwischen erschien es mit unserer Lizenz sogar in Westdeutschland (unter dem Titel »Der Genetiker«).
Schließlich – da hatte es eine »rehabilitierende« Publikation in Moskau gegeben – durften wir ausliefern (noch vor Erscheinen des
Sinn-und-Form-Artikels). Schließlich: »Peter der Große«. Der Roman wurde nicht nur zur letzten Herausgabe des Verlags, der die »Wiedervereinigung« nicht lange überleben durfte. Er erschien als Volk-und-Welt-Titel, als es den Verlag Volk und Welt nicht mehr gab.
Viele Übersetzungen zeugen von Granins großer Leser-Gemeinde in Deutschland. Wünschen wir dem Autor Gesundheit, Glück und trotz »Blätterfall« neue grüne Triebe am Baum seines Schaffens. »Blätterfall« heißen Granins 2008 erschienene Memoiren – ein lesenswertes Zeitbild, in dem höchstens ein Satz über Marx zu Streit herausfordert. Dazu – und zur Gesamtwürdigung – sollte doch eine deutsche Ausgabe auch dieses Werkes Gelegenheit geben.
All den Reden, die Granin auf dem Festakt mit Konzert und Bankett gewidmet wurden, galt zum Schluß in unvergeßlich Graninscher Art sein Dank – voll Hoffnung, die Teilnehmer zu beunruhigen. Folgendes Zitat aus dieser Ansprache wählte eine Zeitung tags darauf als Überschrift: »Bei uns sinkt die Produktion von Herzensgüte«.
Leonhard Kossuth
Hartlib Rex
»Das große Triptychon ›The American Way of Death‹ stellt als einzige Aktivität ein Spiel mit Geld oder Munition dar. Auf dem linken Flügel sieht der Tod diesem Treiben in erwartungsvoller Haltung zu, rechts verwehrt ein Soldat mit Bajonett den Ausgestoßenen den Zutritt zum Tisch der Reichen.« So aktuell dies ist, erscheint es doch wie aus ferner Vergangenheit. Bilder solchen Inhalts werden bei uns schon lange nicht mehr gemalt. Das Zitat stammt aus einem Ausstellungsbericht des
Hamburger Abendblatts vom 12. März 1974. Es handelt sich um ein Gemälde von Hartlib Rex, das in der damals von ihm betriebenen »Galerie für Zeitgenössische Kunst« in Hamburg zu sehen war.
Das Thema Krieg und Frieden hat ihn nicht nur als Maler, sondern auch als Schreibenden beschäftigt. 1983 brachte er mit anderen zusammen Gedichte, Aphorismen und Bilder unter dem Titel »Der Krieg genießt seinen Frieden« heraus. 2003, inzwischen in der Schweiz lebend und arbeitend, beteiligte er sich an einer vom Deutschschweizer PEN-Zentrum herausgegebenen Anthologie zum Krieg in Irak mit dem Gedicht »Anklagen möchte ich«: »Wieder wird zurückgeschossen zurückbefreit zurückgebombt.« Für ihn war »menschliches destruktives Vermögen« nicht einfach wie für die meisten Teil der menschlichen Natur oder Psyche, sondern mitbedingt durch die gesellschaftlich »organisierte Friedlosigkeit (z. B. im Konkurrenzsystem)«. Sie zwinge die Menschen dazu, entgegen ihrem Willen und ihren Bedürfnissen zu handeln (Leserbrief an
Die Zeit, 1983).
In den sozialen Bewegungen der 60er und 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts spielten Montage und Collage eine große Rolle. Ihre Funktion: »Entschlüsselung der Wirklichkeit in ihren zwar verborgenen, aber tatsächlichen Zusammenhängen« durch Dekonstruktion des schönen Scheins – so Hartlib Rex in der Zeitschrift
linkskurve 1982. Neben und nach den Collagen zu politischen Themen malte Rex Landschaften und Porträts. Unbeirrt hielt er daran fest, daß die Kunst figurativ sein sollte, und stritt heftig gegen die »Ungegenständlichen«. Seine »Köpfe« zeigten, durchaus modern, auch das, was in ihnen an Unbewußtem steckt.
Mit seiner Frau, Sonia Rex-Junod, verwirklichte er schließlich den Traum von einem Museum für figurative und realistische Kunst, in das er seine Sammlung einbringen konnte. Sie gründeten nach der Jahrhundertwende in Marcigny, inmitten der sanften hügeligen Landschaft des südlichen Burgund, die »Maison d’Art Bourgogne du Sud«. Das Museum war von vornherein auch dem internationalen Kulturaustausch gewidmet.
Hier gestalteten sie in jahrelanger Arbeit ihren Skulpturengarten, der Kunst und Natur in einer unangestrengten Weise zusammen bringt. Das fand Anerkennung nicht nur in den touristischen Reiseführern der Region, des Brionnais. Auch in das nationale Verzeichnis der Parks und Gärten Frankreichs sind das Haus und der Garten des Malers aus Hamburg und seiner Schweizer Lebensgefährtin inzwischen aufgenommen worden.
»Cultiver son jardin« war das Fazit und die Devise Voltaires für die letzten Jahre des Lebens in seinem Roman »Candide«.
Hartlib Rex ist Anfang Januar im Alter von 72 Jahren in Marcigny gestorben.
Reiner Diederich
Press-Kohl
Muß ein Feuilleton-Redakteur rechnen können?
Über das Ableben eines Schriftstellers las man in der
Berliner Zeitung: »Der österreichische Schriftsteller G. J. ist tot. Wie sein Verlag bestätigte, starb der Schriftsteller 62jährig am Sonntag in Wien. J. galt als einer der wichtigsten österreichischen Autoren der Gegenwart.« Unterschrift des Porträt-Fotos: »G. J. (1945–2009)«.
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Am 1. Januar 2009 kam es in Österreich zu einem schrecklichen Ski-Unfall. Auf der Kreuzung zweier talwärts führender Pisten kollidierte Dieter Althaus, Ministerpräsident Thüringens, mit einer Ski-Touristin, die er möglicherweise nicht gesehen hatte. Der Zusammenprall endete tödlich für diese Frau. Althaus wurde schwer verletzt. Fachleute bemühen sich um Klärung des Vorgangs: Trifft Althaus eine Schuld?
Ein Magazin berichtete ausführlich. In seinem Fazit heißt es: »Tatsache ist: Der Kreuzungsbereich ist mit Netzen und Gefahrenschildern abgesichert, die jeden Fahrer warnen, an dieser Stelle besondere Vorsicht walten zu lassen und langsamer zu fahren.«
Das liest sich unglaublich. Daß die Netze und Gefahrenschilder alle Skifahrer davor warnen, besondere Vorsicht walten zu lassen und langsamer zu fahren, kann doch auch der Berichterstatter der SUPERillu nicht ernstlich glauben.
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Die
ARD-Sportmoderatorin Monica Lierhaus mußte nach einer Operation in ein künstliches Koma versetzt werden. Hierzu erklärte Programmdirektor Herres: »Die Zuschauer ihrer Sendungen müssen eine Zeit lang ohne Monica Lierhaus auskommen, aber das ist im Moment nachrangig.«
Herr Herres läßt sich derzeit auf einem Güterbahnhof im Rangierbetrieb ausbilden. Als Nachrangierer. Oder als Bremser.
Felix Mantel