Die meisten Araber hatten sich Barack Obamas »New Beginning«, dessen er sich voriges Jahr in Kairo in seiner gefeierten Rede an die islamische Welt rühmte, sicher anders vorgestellt. Von einem Rückzug aus dem Irak ist noch nichts zu sehen, vielmehr weiten die USA ihren Krieg im Mittleren Osten auch auf den Jemen aus. Anfang Dezember gab der frischgebackene Friedensnobelpreisträger »Feuer frei«. Nach Informationen von ABC News und New York Times beteiligte sich die US-Luftwaffe am 17. Dezember an der Bombardierung mehrerer Ziele. Allein beim Angriff auf ein angebliches Trainingscamp in der Südprovinz Abyan wurden nach Angaben von Augenzeugen 64 Menschen getötet, darunter 23 Kinder und 17 Frauen.
Die Rechtfertigung dafür kam diesmal nachträglich: mit dem versuchten Anschlag auf einen Airbus beim Anflug auf Detroit. Egal wie man diesen merkwürdigen Vorfall einschätzt, für die US-Regierung hätte er kaum passender kommen können. Da sich hier eine Verbindung zum Jemen assoziieren ließ, kann sie nun mit breiter Zustimmung im Land für ein stärkeres militärisches Eingreifen dort rechnen.
Bisher lief die Intervention weitgehend im Geheimen ab, gesicherte Informationen gibt es kaum. Die vorweihnachtlichen Attacken scheinen nicht die ersten US-Angriffe im vergangenen Jahr gewesen zu sein. Nach Informationen des britischen Guardian begehen die USA im Jemen seit über einem Jahr verdeckte Mordanschläge mit Drohnen, während die CIA Bodenoperationen unterstützt, an denen vermutlich bereits US-Spezialeinheiten direkt beteiligt sind. Auch Vertreter der im Norden aktiven Houthi-Bewegung berichten, US-Kampfjets hätten seit August, dem Beginn der jüngsten Regierungsoffensive gegen sie, 30 Angriffe auf Ziele in der Nordprovinz Saada geflogen. Während zwei andere Kriege immer noch weitergehen, so die New York Times, haben die USA in aller Stille im Jemen eine dritte, größtenteils verdeckte »Front gegen al-Kaida« eröffnet.
Ob der Jemen tatsächlich eine Basis für eine bedeutende Zahl militanter Islamisten ist, die man organisatorisch oder ideologisch »al-Kaida« zurechnen kann, ist zweifelhaft; selbst die jemenitische Regierung, die die Bedrohung gern hochspielt, spricht nur von 300 Kämpfern. Sicher ist jedoch, daß der Jemen nun eine weitere Basis für US-amerikanische Todesschwadrone im Nahen und Mittleren Osten geworden ist. Wie der britische Daily Telegraph Anfang Dezember berichtete, hat die US-Regierung schon »Spezialeinheiten«, die aus dem Vietnamkrieg berüchtigten »Green Baretts«, in das Landes geschickt. Diese Sonderheiten sind gegenwärtig vor allem in Afghanistan und im Irak im Einsatz, um sowohl eigenhändig in verdeckten Operationen gezielt Gegner »auszuschalten« als auch Einheiten der einheimischen Verbündeten für solche Operationen auszubilden.
Entgegen der offiziellen Begründung für die zunehmende militärische Gewalt geht es dabei nicht nur um »al-Kaida«, sondern um die Stabilisierung des autoritären und korrupten, aber mit dem Westen verbündeten Regimes, das sich an allen Ecken oppositionellen Kräften gegenübersieht, die trotz aller Unterschiede in einem übereinstimmen: im Widerstand gegen den prowestlichen Kurs Sanaas.
Im Süden kämpft eine starke Bewegung für die Wiederabtrennung des ehemals sozialistischen Südjemens, und in den Nordprovinzen trotzen Tausende Kämpfer der Houthi-Bewegung den militärischen Offensiven der Zentralregierung und Saudi Arabiens. Das Regime in Sanaa steht mit dem Rücken zur Wand und wirbt um westliche Unterstützung gegen seine Gegner, denen es enge Verbindungen zu Al-Kaida und dem Iran unterstellt: Ohne westliche Hilfe gebe es keine Rettung vor den »terroristischen Gruppen«.
Die Houthi sind Zaiditen, eine schiitische Glaubensrichtung, die im Jemen eine starke Minderheit bildet. Sie sind in den lokalen Stammesstrukturen verankert und kämpfen gegen die Benachteiligung ihrer Bevölkerungsgruppe und die Vernachlässigung ihrer Region. Mit »al-Kaida« haben sie nichts gemein, vielmehr sind sie sogar erklärte Feinde solcher radikalen sunnitischen Gruppen. Da der Zaidismus sich stark von demjenigen Schiitentum unterscheidet, das im Iran dominiert, sind die arabisch-nationalistischen Houthi auch keineswegs natürliche Verbündete des iranischen Regimes.
Die parlamentarische Opposition hat in den letzten Jahren ebenfalls an Gewicht gewonnen. Die wichtigsten Oppositionspartien haben sich zu einem Bündnis zusammengeschlossen, das als »links-islamisch« gilt. Hauptkraft in dieser Allianz ist al-Islah, die Jemenitische Vereinigung für Reform. Sie ist mehr Bewegung als Partei und hat vor allem durch ihr weitgespanntes Netz von Wohlfahrtseinrichtungen Rückhalt in der Bevölkerung. Gerade dadurch wurde sie den US-Geheimdiensten suspekt. Einer ihrer Führer, Scheich Abdul Madschid al-Zandani, steht bereits auf der Terrorliste der USA. Die Forderung Washingtons, die jemenitische Regierung solle gegen ihn und diverse Einrichtungen der Bewegung vorgehen, birgt gewaltigen innenpolitischen Sprengstoff.
Washington geht es vor allem darum, zu verhindern, daß sich im Süden der arabischen Halbinsel starke politische Kräfte etablieren, die sich mit Rückhalt in der Bevölkerung dem westlichen Einfluß und den US-amerikanischen Plänen für die Region widersetzen können. Am Eingang des Roten Meeres, an einer der wichtigsten Schiffahrtsrouten der Welt, gegenüber Somalia und Eritrea, wollen die USA militärisch präsent sein wie auch am Golf von Aden. Obamas verstärkte Intervention im Jemen fügt sich somit nahtlos in das »Greater Middle East«-Projekt, mit dem schon sein Amtsvorgänger George W. Bush die Absicht verband, die gesamte Region von Ägypten bis Pakistan dauerhaft unter US-amerikanische Kontrolle zu zwingen.
Übrigens sind es nicht die USA allein, die im Jemen intervenieren. Die britische Regierung will dort ebenfalls verstärkt militärisch mitmischen. Und Deutschland hat schon damit begonnen. Die Bundesregierung unterstützt, wie German-Foreign-Policy berichtet, Jemens Regime beim Ausbau der Küstenwache, trainiert die Polizei und hat eine »Beratergruppe« der Bundeswehr zu den jemenitischen Streitkräften abkommandiert.