Festgemauert in deutscher Erde war seit Jahrhunderten das Bündnis zwischen Staat und Kirche. Bröckelt es? Bricht es? Bischöfin Margot Käßmann, als erste Frau an die Spitze des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland gewählt, hat es aufgekündigt, als sie in ihren Weihnachts- und Neujahrspredigten der Propaganda der Bundesregierung und der großen Mehrheit des Bundestages widersprach, die Zustände in Afghanistan zumindest »kriegsähnlich« nannte und sich weigerte, den Bundeswehr-Einsatz am Hindukusch als Friedens- oder Demokratiemission zu verklären. Unmißverständlich sagte sie, daß aus kirchlicher Sicht Krieg nicht sein darf.
Vor allem in den sich christlich nennenden Parteien erhob sich daraufhin ein Wutgeheul derer, die die deutsche Beteiligung an dem Krieg befürworten und noch verstärken wollen (s. Ossietzky 1/10). Der CDU-Abgeordnete Philipp Mißfelder, der Rehabilationsmaßnahmen, Krebstherapie und künstliche Hüftgelenke für Bundesbürger über 70 abschaffen will, rief aus: »Die Bischöfin hat sich auf eine Stufe mit Oskar Lafontaine gestellt«, dem Gottseibeiuns. Der SPD-Abgeordnete Hans-Ulrich Klose mißbilligte, daß Frau Käßmann die Bundestagsmehrheit nicht respektiere, wobei er unerwähnt ließ, daß 70 Prozent der Deutschen gegen den Bundeswehreinsatz in Afghanistan sind und den Abzug der deutschen Soldaten verlangen, aber von der Bundestagsmehrheit nicht respektiert werden.
Auch innerhalb ihrer Kirche hat die Bischöfin in dieser Frage starken Rückhalt. In Freiburg (Breisgau) zum Beispiel würdigte Stadtdekan Markus Engelhardt das Verdienst der Bischöfin, nicht darum herumgeredet zu haben, daß deutsche Soldaten in einen Krieg geschickt werden. »Das nicht klar zu benennen, ist verantwortungslos.« Und Studentenpfarrer Michael Philippi erklärte, mit einer Militärintervention könne man in Afghanistan keinen Frieden und keine Zivilgesellschaft aufbauen.
Doch nicht nur in Sachen Krieg und Frieden ist das Bündnis zwischen Kirchenoberen und Regierenden brüchig geworden. Die weltlichen Machthaber konnten sich bis in unsere Tage darauf verlassen, daß ihre Wirtschafts- und Sozialpolitik letztlich immer die Unterstützung der Kirchen fand, sofern nicht deren Eigeninteressen ernsthaft tangiert wurden. Die Zeiten, in denen noch Kardinal Lehmann und der EKD-Ratsvorsitzende Huber angesichts von Agenda 2010 und Hartz IV »die Grundrichtung der Berliner Reformpolitik« und deren »positive Auswirkungen« lobten, scheinen vorbei zu sein. Von Hubers Nachfolgerin jedenfalls wird man das nicht mehr hören, eher das Gegenteil. Und auch der Beifall der anderen großen Kirche ist fast verstummt. Ein historischer Einschnitt?