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Mit Widmung für Erika Steinbach  (Gerhard Zwerenz)

Im April 2009 notierte ich: »Soeben meldet unser PEN-Zentrum, das vom 14. bis 17. Mai 2009 in Görlitz seine Jahrestagung abhalten will, schon vorher und in aller Eile solle dort am 22. April ein PEN-Vorkongreß zum Thema ›Flucht und Vertreibung – Das Gedächtnis der Literatur‹ stattfinden, dabei gehe es »um die Rolle von Erika Steinbach«. Gut so, denke ich. Dort könnte Marcel Reich-Ranicki über seine Vertreibungen und den jüdischen Aufstand 1943 in Warschau sprechen. Ich könnte mich über den nationalpolnischen Aufstand 1944 äußern und wie ich mit polnischer Hilfe von der Wehrmacht zur Roten Armee flüchtete. Grass erzählt vom verlorenen Danzig und warum er als Soldat der Waffen-SS mitten im Wald ›Hänschen klein‹ sang. Hermann Kant berichtet, wie er in Warschau jahrelang aufbauen durfte, was deutsche Kameraden zerstört hatten, weshalb er nach seinem Aufenthalt im Gefangenenlager Genosse wurde und Romane schrieb. Erika Steinbach aber laden wir ein, uns zu erklären, warum ihr Papa, der Besatzungssoldat, mit Familie das Land verlassen mußte, das er im Krieg erobert hatte. Soweit meine Vorschläge. Der PEN jedoch will, so lese ich, einige junge Wissenschaftler der zweiten oder dritten Flüchtlings- und Opfergeneration aufbieten, die uns das Thema ›Flucht und Vertreibung‹ erläutern sollen. Da freue ich mich riesig drauf. Anschließend wird der PEN wohl geschlossen der SPD beitreten, wie Grass aus vormals Danzig predigt, und die Partei entschließt sich aus lauter Dankbarkeit, Erika Steinbach als deutsche Botschafterin nach Warschau zu entsenden.”

Soweit mein, wie ich zugebe, leicht ironischer Kommentar wenige Tage vor dem 22. April. Anschließend fand der PEN-Vorkongress in Görlitz statt, und die Medien schwiegen darüber. Einzig die liebe örtliche Lausitzer Rundschau berichtete und bedauerte, »daß ehrenwerte Veranstaltungen dieser Art in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen werden. Viele Stühle in der Görlitzer Synagoge blieben leer ...«

Es ist eben Krise.

Gerade fand ich in unserer Hausbibliothek die ansehnliche Anthologie »Deutsche Teilung – Lyrik-Lesebuch aus Ost und West« (Limes Verlag Wiesbaden 1966). Die Lektüre offenbart eine staunenswerte Spannweite von Autoren und Texten. Was wir doch alles schon mal wußten und niederschrieben und wieder vergessen haben, denke ich ganz naiv erschrocken und entdecke dabei Verse von mir selbst. Im Buch aufbewahrte Zeitungsartikel zeigen, die Zeilen wurden damals oft zitiert, zum Beispiel von Siegfried Einstein in Die andere Zeitung vom 1. September 1966, wo er meine drei Vierzeiler »eines der erschütterndsten und wahrhaftigsten Gedichte« nannte und sie abdruckte:

Du willst nach Eger? / Nimm den Weg über Lidice. / Du willst nach Karlsbad? / Fahr über Theresienstadt.
Du suchst das verlorene Breslau? / Fahr nach Auschwitz. / Die Straße nach Stettin / führt durchs Warschauer Getto.
Am Tag, da du ankommen wirst / deine Trauer darf sagen: / Dies hier / Dies hier war Deutschland.


Gar nicht so übel, denke ich und: Darf man weit zurückliegende Strophen im Nachhinein noch jemandem widmen? Vielleicht dem leider vergessenen Kollegen Siegfried Einstein? Oder der leider nicht vergessenen Erika Steinbach? Ganz ohne Ironie, ganz im Ernst. Wenn es der Friedensstiftung dient.