Das Mädchen aus der Provinz sah trostlos aus. In seiner Schule, berichtete es, gebe es nur drei Computer. Wäre es nicht möglich, alle Klassen mit Computern auszustatten? Der Appell richtete sich direkt an Ministerpräsident Wladimir Putin. Im überregionalen Fernseh-Kanal Westi stellte er sich über vier Stunden lang den Zuschauern. Selbstverständlich durfte er in der selbstgewählten Rolle eines gütigen Weihnachtsmanns die Bittstellerin nicht enttäuschen. Er verkündete: Der Wunsch werde erfüllt, die Schule werde computerisiert.
Den Fernseh-Kontakt mit der Bevölkerung pflegt Putin seit acht Jahren, also seit er zuerst als Präsident, jetzt als Regierungschef Macht ausübt. Und immer wieder vollbringt er Wunder für die Glückspilze, die es geschafft haben, durch ein dichtes Wach- und Abwehrnetz zu ihm durchzudringen, um ihm ihre Sorgen persönlich vorzutragen.
So beschwerte sich einmal eine Landbewohnerin aus einer Gegend, wo Fuchs und Hase einander Gute Nacht sagen: Wann kommt endlich Erdgas ins Haus? Eine halbe Stunde später erhielt er eine Bescheinigung von Gasprom mit dem definitiven Versprechen: In einem Monat ist das Problem erledigt. Eine andere Frau fragte nach der Wasserleitung für ihr Dorf. Putin reagierte scharf: Er werde den dortigen Gouverneur nicht in seinem Amt bestätigen, solange die Wasserversorgung nicht in Betrieb sei. Prompt wurden 70 Millionen Rubel aus dem regionalen Etat zur Verfügung gestellt. Nach zwei Wochen wurde mit dem Bau begonnen. Wenig später präsentierte das staatliche Fernsehen die Beglückte neben einem tropfenden Wasserhahn.
Die Fragen an Putin sind vielfältig. Meist betreffen sie zugespitzte soziale Probleme. Nicht immer antwortet er zufriedenstellend – zum Beispiel einer Frau, die ihn an sein Versprechen erinnerte, er werde nicht zulassen, daß die Zahl der Arbeitslosen steige. Sie teilte mit, in ihrer Fabrik verlören 1.500 von insgesamt 4.000 Beschäftigten ihre Arbeitsplätze. Der Regierungschef tröstete sie mit der angekündigten Erhöhung des Arbeitslosengeldes auf 5.000 Rubel, präzisierte aber nicht, daß diese Summe nur denen zusteht, die 15.000 Rubel verdient haben, und daß die Frau mit ihrem Monatslohn von nur 6.000 Rubel keinen Anspruch auf eine solche Summe hat. Als Putin ihr den Gratis-Rat gab, sich in anderen Städten nach einem Job umzusehen und sich zur Umschulung zu melden, antwortete ihm die Frau: Die Leute reisen schon seit langem herum, finden aber nirgendwo Arbeit. Überall ist es trostlos.
Wenn Einzelpersonen beschert werden, ist das an sich nicht übel. Aber die globalen Probleme lassen sich auf solche Weise leider nicht lösen. Auch mit dem Geldregen nicht, der ab und zu über einzelne Industrien fällt. Die Regierung erklärt zum Beispiel stolz, wie viele Milliarden Rubel sie in den Straßenbau gepumpt habe. Aber wie viele Kilometer Straße wurden für dieses Geld verlegt? Und welcher Anteil von der zugebilligten Summe wurde zweckentfremdet (lies: gestohlen)? Das interessiert die Exekutive am wenigsten. Putin selbst greift die Beamtenschaft wegen ihrer Gier, Vetternwirtschaft, Korruption und Verflechtung mit dem Business schonungslos an. Die Wirksamkeit seiner Drohgebärden ist gleich Null. Aber als Geschenke verteilender Weihnachtsmann sieht er wirklich gut aus.