Träume und Alpträume
Dem rechten Weg folgen, um ruhigen Gewissens zu sterben, nachdem man sich ehrlich überfahren ließ.
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Die Religionen sind nur die Konzerne des Aberglaubens.
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Die Revolution ist bisweilen ein Traum, die Religion immer ein Alptraum.
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Der Krieg wäre ein Geschenk der Götter, brächte er nur die Berufsmilitärs um.
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Wenn die Straßenkehrer streiken, sind die Schmutzfinken empört.
Jacques Prévert (1900–1977)
Zum Rastern oder Ausrasten
Wie kommt man zu Erfolgen im »Krieg gegen Terroristen«, den ja auch Obama ausgerufen hat? »Wir kennen den Gegner« ist ein Leitartikel in der FAZ überschrieben, und der Autor weiß auch, was nun geschehen muß: das Diskriminierungsverbot mal beiseitelegen, auf Religionszugehörigkeiten achten, denn »wenn die terroristische Bedrohung fast ausschließlich von jungen muslimischen Männern ausgeht, dann muß diese Gruppe gerastert und, wenn weitere Merkmale hinzutreten, unter Beobachtung gestellt werden«. Nun halten sich, wie man weiß, Terroristen nicht an nationale Grenzen und junge muslimische Männer sind weltweit nicht gerade wenige vorhanden. Ja, da muß sich doch in der Raster- und Kontrollindustrie enormes Wachstum erzielen lassen, dem Propheten sei Dank.
Peter Söhren
Wer mäkelt an Merkel?
Einen Zwergenaufstand gegen die Parteioberin versuchten die Fraktionsvorsitzenden der CDU in den Landtagen von Hessen, Thüringen und Sachsen: Angela Merkel lasse die Wirtschaftsliberalen und die Konservativen im Stich, den Papst habe sie kritisiert und Erika Steinbach im Regen stehen lassen. Notwendig sei eine Wende im Kurs der Partei: für »Leistungsanerkennung«, »gegen überzogene (soziale) Ansprüche an den Staat«, für »deutsche Leitkultur«, für ein »christliches Wertefundament«.
Aber woher einen solchen Ersatz für die Parteivorsitzende nehmen? Ein zugleich marktradikaler, deutschtümelnder und »romtreuer« christdemokratischer Führer ist nicht in Sicht.
Also konnte die Kanzlerin schmunzeln, und die Frondeure mußten sich mit Sympathie bei der
Jungen Freiheit begnügen.
A. K.
Zwei schlechte Zeitungen
Sie rühmen sich, zu den besten Zeitungen der Welt zu gehören: die
Londoner Times und die
Frankfurter Allgemeine Zeitung. Alexander S. Neu hat die Probe aufs Exempel gemacht. Mit wissenschaftlicher Gründlichkeit hat er die Jugoslawien-Kriegsberichterstattung beider Blätter aus der ersten Hälfte der 1990er Jahre untersucht. Sein Ergebnis (in meinen knappen Worten): Beide erwiesen sich als Hetzblätter. Sie verbreiteten Tatsachenbehauptungen, wie sie ihnen gerade in den Kram paßten. Sie zeigten sich an ethnischen Auseinandersetzungen interessiert, damit der Vielvölkerstaat auseinanderbrach. Sie waren desinteressiert am Völkerrecht, an der UNO, an Vermittlung zwischen den Konfliktparteien, an friedlichen Lösungen. Sie tadelten die USA wegen angeblich unzureichender Bereitschaft zu militärischem Eingreifen und hofften vor allem darauf, daß die NATO außerhalb des Bündnisgebietes zum Akteur werde (nachdem der Warschauer Pakt zerbrochen war, der sie daran hätte hindern können).
Nicht viel anders als die
Times, aber noch rabiater zeichnete die
FAZ von Jugoslawien ein Zerrbild, in dem Serbien allemal als schuldig erschien. Die Kontinuitäten deutscher Politik (s. die Parole »Serbien muß sterbien« im Ersten Weltkrieg und das antiserbische Wüten faschistischer Hilfstruppen aus Kroaten, Bosniern und Kosovo-Albanern im Zweiten Weltkrieg) blieben in den Frankfurter Blatt außerhalb der Betrachtung.
Am Ende fragt der Autor, wie eine Gesellschaft verhindern könne, »daß die Massenmedien ihr faktisches Informationsmonopol mißbrauchen, um ihre Weltanschauung zu verbreiten, statt möglichst objektiv Informationen (...) zu publizieren?« Meine Antwort: Vordringlich brauchen wir solche Untersuchungen wie die seine, die den Lesern bewußt machen können, wie massiv sie um die Wahrheit betrogen werden, wie notwendig also eine Demokratisierung der Medien ist.
Karla Koriander
Alexander S. Neu: »Die Jugoslawien-Kriegsberichterstattung der Times und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung«, Nomos Verlag, 271 Seiten, 49 €
Walter Kaufmanns Lektüre
Günter Wallraffs »Expeditionen ins Landesinnere«, so der Untertitel seines jüngsten Buches, erweisen sich als gewagte Einsätze eines Einzelkämpfers. Sie erinnerten mich an jenen weißen Amerikaner, der sich in den siebziger Jahren als Schwarzer dem Alltag in den Südstaaten stellte und danach das erschütternde Buch »Black like me« verfaßte. Die Erfahrungen, die Wallraff zeit seines Lebens machte und in seinen Büchern festhielt, nimmt ihm keiner. Und auch nicht die Hochachtung dafür! Er hat sich in unserer Welt, der »schönen neuen«, wieder einmal eingebracht, hat sich als Schwarzer umgetan, als Obdachloser unter Brücken gefroren, sich als Callagent unter Callagenten gemischt und für Lidl Brötchen gebacken – und hat aufgedeckt, was dort aufzudecken war.
Nicht überall war er selbst dabei, war kein Koch in der Luxusgastronomie, kein »Barista« bei der Kaffeehaus-Kette Starbucks, wurde nicht als Beschäftigter der Deutschen Bahn ausspioniert und aufs Abstellgleis geschoben und war kein Opfer von »Arbeitgebermobbern und Betriebsratskillern« – und doch haben mich die nahezu fünfzig Seiten, die davon handeln, kein Deut weniger beeindruckt. Im Gegenteil, ich halte sie für die brisantesten und politisch weitestreichenden.
Mich empört, was ich über den Düsseldorfer Anwalt Helmut Naujoks erfahren habe, der für Spitzenhonorare Betriebsräte zum Aufgeben zu zwingen sucht und das nicht selten auch schafft. Die Methoden vom Rufmord bis hin zur Anstiftung von Tätlichkeiten sind perfide. Plötzlich tauchen an den Arbeitsplätzen Flugblätter auf, die einem dem Chef unliebsamen Betriebsrat unterstellen, er habe nicht das Wohl der Belegschaft, sondern nur das eigene im Sinn, wolle hoch hinaus oder trachte nur nach einer Abfindung für sich selber, mit der sich gut leben ließe ... Von solchen Unterstellungen bleibt immer etwas hängen, nagt am Vertrauen, und wenn dann noch dem Betroffenen gerichtliche Verfahren angehängt werden, auch wenn die Anschuldigungen sich allesamt als unhaltbar erweisen, dann zermürbt das. Die Betriebsrätin Rita Regenfelder, so schildert es Wallraff, wurde in ihrer Freizeit überwacht und fotografiert, der Betriebsrat Roland Renger ständig von einem Auto verfolgt und der Betriebsratsvorsitzende der Firma Doppstadt in Calbe hinterrücks überfallen. »Jemand zog ihm einen blauen Müllsack über den Kopf, er wurde zusammengeschlagen. Der Täter konnte nicht ermittelt werden. Kurz nach dem Überfall, der Betriebsratsvorsitzende lag noch krank zu Hause, gaben die Betriebsräte auf ...«
Ein Glanzstück ist es, wie Günter Wallraff schließlich in der Rolle eines hilfesuchenden Unternehmers diesen Düsseldorfer Anwalt aufsucht, um dessen Tricks, Schliche und Winkelzüge offenzulegen. In seinem Betrieb, sagt er, lasse sich vermutlich eine Frau finden, die bereit wäre, einem unliebsamen Mitarbeiter eine sexuelle Nötigung unterzuschieben. Ob er, Naujoks, wohl bei der Suche nach einer solchen Frau, die als Zeugin vor Gericht die Nerven behalten würde, behilflich sein könne? Naujoks weist das nicht etwa empört von sich, berichtet Wallraff, »sondern meint, daß man sich das schon genau anschauen müsse. Wenn die Möglichkeit besteht, dann soll man das auch machen.« Einen »Anwalt des Schreckens« nennt ihn Wallraff. Aber verurteilen muß man nicht nur ihn, sondern erst recht die Unternehmer, die ihn bezahlen.
Walter Kaufmann
Günter Wallraff: »Aus der schönen neuen Welt. Expeditionen ins Landesinnere«, Kiepenheuer & Witsch, 325 Seiten, 13.95 €
Tschernobyl
Nachdem der am 26. April 1986 explodierte Reaktor in Tschernobyl unter Zehntausenden Tonnen Stahl und Beton begraben worden war, so berichtet Landolf Scherzer, »kletterte ein Armist auf den höchsten Schornstein des Kraftwerks und hißte die Rote Fahne des Sieges über Tschernobyl. Die Rote Fahne des Sieges. Wie 1945 nach dem Sieg über den Hitler-Faschismus auf dem Reichstagsgebäude in Berlin. Sechs- bis achthunderttausend Männer hatten den Krieg gegen die drohende Atomkatastrophe gewonnen. Wäre er verloren worden, hätten vierzig Prozent der europäischen Bevölkerung evakuiert werden müssen, und fast die Hälfte der europäischen Fläche wäre landwirtschaftlich nicht mehr zu nutzen gewesen. Daß 20 Millionen Sowjetmenschen im Krieg gegen die deutschen Okkupanten gefallen sind, weiß man. Aber keine staatliche Stelle hat erfaßt, wie viele Zehntausende Liquidatoren, die den Krieg gegen die Atomkatastrophe gewonnen haben, inzwischen an den Spätfolgen ihrer Verstrahlungen gestorben sind.«
Zwanzig Jahre später reiste Scherzer, einer der besten deutschen Reporter, zweimal zu den Überlebenden im Norden der Ukraine. Das Buch, das seine Erfahrungen zusammenfaßt, hat kaum 80 Seiten, aber darin steckt mehr Wahrheit als auf 1000 landesüblichen Zeitungsseiten.
Eine Wahrheitspartikel: die weinenden Ingenieure und Arbeiter auf Bildern vom 15. Dezember 2000, als die übrigen Reaktoren des Kraftwerks Tschernobyl abgeschaltet wurden.
Eine andere: Die arbeitslose, einkommenslose Lehrerin, die mit ihren hungrigen Kindern in eine verstrahlte, von den meisten früheren Bewohnern verlassene Stadt nahe Tschernobyl gezogen ist, weil sie dort wenigstens kostenlos wohnen kann.
Und diese: das wohlausgestattete Sanatorium aus Sowjetzeiten, in dem sich jeweils 150 strahlengeschädigte Kinder eine Zeitlang unter ärztlicher Betreuung mit strahlenfreier Nahrung erholen sollen. Von Dezember bis März, sagt der Direktor beim Empfang des deutschen Schriftstellers und einiger deutscher Tschernobyl-Helfer, sei das Heim geschlossen. Und jetzt im April? Jetzt werde ein bißchen renoviert. Und nach dem sechsten Wodka: »Im Heim sind keine Kinder, weil der ukrainische Staat uns in diesem Jahr kein Geld für die Behandlung von strahlengeschädigten Kindern überweist.« Deswegen werden Zimmer für Übernachtungen vermietet und Privatpatienten behandelt.
Und auch diese Beobachtung: ein in Delikatessen schwelgender gelernter Bergmann, jetzt Fabrikbesitzer, Stanislaw, der in Sowjetzeiten Abteilungsleiter für Bergbau in der ukrainischen Regierung geworden war und nach der Wende die Ukraine bei Verhandlungen mit der Europäischen Union vertrat; das Land bekam damals Geld dafür, daß es zwecks sogenannter Markt- und Kapazitätsbegrenzung der EU mehrere ukrainische Bergwerke schloß.
Aber auch diese: der jüdische Weltkriegsveteran Emil, der das eine Schande nennt: »Wir haben den Reichtum unseres Landes, das Korn und die Kohle, im Krieg gegen die Eroberer verteidigt. Und heute verschenkt ihn unsere Regierung für ein paar Millionen Dollar.«
Viele Einzelheiten, aus denen sich die Wahrheit zusammensetzt. Dazu gehören auch die einst von den deutschen Besatzern in SS-Uniformen gesteckten Ukrainer, die ukrainische Partisanen töteten und ukrainische Dörfer niederbrannten und heute zu Helden des Kampfe um Unabhängigkeit von der Sowjetmacht erhoben werden. Und: die korrupte Geistlichkeit und die korrupten Politiker, von denen Scherzer Sätze hört wie: »Die Atomstrahlen von Tschernobyl waren Gottes Strafe für unsere Ungläubigkeit in der Sowjetunion.«
Und auch sie noch: Reklame für »einmaligen Extremtourismus«, womit Busfahrten von Kiew nach Tschernobyl gemeint sind, 130 Euro pro Person.
Der Wahrheit mit all ihren Widersprüchen ist noch hinzuzufügen, daß dieses von der Literarischen Gesellschaft Thüringen herausgegebene Büchlein mit Unterstützung des atomstromproduzierenden e-on-Konzerns erschienen ist.
Eckart Spoo
Landolf Scherzer: »Das Sarggeld von Uljanowna«, Wartburg Verlag, 81 Seiten, 11 €
Apropos Atomenergie
Vor einigen Wochen notierte ich mir bei einem Vortrag des Münchener Strahlenmediziners Professor Edmund Lengfelder anläßlich einer Foto-Ausstellung über Tschernobyl in einer kleinen Galerie in Berlin-Weißensee: Die radioaktive Asche aus Tschernobyl ging damals nur zum kleinen Teil über dem Norden der Ukraine nieder. Sie wurde vom Wind weiter nach Norden getragen und regnete zu 70 Prozent auf das Nachbarland Belarus, das Land, das wie kein anderes im Zweiten Weltkrieg Opfer der Nazi-Strategie geworden war, beim Rückzug nur »verbrannte Erde« zu hinterlassen. Belarus ist ein Land ohne Atomkraftwerke. Besonders charakteristisch ist die Tatsache, daß sich Belarus seit 1990 dem Kapitalismus nicht so schnell geöffnet hat wie die Ukraine und andere Nachbarländer, sondern langsam, mit politischer Vorsicht und sozialer Rücksicht. Deswegen ist es in den deutschen Medien jahrelang nur beschimpft und von der ganzen Europäischen Union boykottiert worden.
Im südöstlichen Regierungsbezirk Gomel hatte sich gleich im Jahre 1986 die Zahl der Totgeburten verdreifacht. Bis zum Jahr 2000 stieg die Zahl der Schilddrüsen-Krebserkrankungen bei Kindern und Jugendlichen um das 58fache. Aber jahrelang, als schon viele Tausende Menschen, vor allem Liquidatoren, an den Folgen der Explosion gestorben waren, behaupteten die Internationale Atomenergiebehörde, die Weltgesundheitsorganisation und andere internationale Organisationen in einer gemeinsamen Erklärung, im Zusammenhang mit Tschernobyl seien keine gesundheitlichen Störungen festgestellt worden, die direkt einer Strahlenbelastung zugeordnet werden könnten; die IAEO und die WHO einigten sich vertraglich über die Vertraulichkeit von Informationen. Auch auf Bayern regnete viel Tschernobyl-Asche, mehr als auf andere Gebiete in Deutschland. Aber bis heute ist kein bayerisches Krankenhaus bereit, sich an einer Untersuchung der Folgen zu beteiligen.
Das radioaktive Inventar eines deutschen Atomreaktors ist größer als das des Unglücksreaktors in Tschernobyl. Die regierenden Politiker hierzulande haben es den Konzernen bisher gestattet, sich nicht gegen die Schäden zu versichern, die im Katastrophenfall auftreten könnten, sonst würde der Preis des Atomstroms ums Mehrfache steigen. Man tut einfach so, als wären deutsche Atomanlagen sicher. Siehe die Atommülldeponie Asse bei Wolfenbüttel: Zur Vermeidung einer Katastrophe sollen dort jetzt möglichst schnell alle eingelagerten 130.000 Fässer herausgeholt werden. Die Kosten, amtlich geschätzt: zwei Milliarden Euro. Und die schwarz-gelbe Koalition will jetzt sogar die Laufzeiten der Reaktoren verlängern, damit sie den Konzernen möglichst viel Rendite abwerfen. Bisher ist hier ja noch keiner explodiert. Und die deutschen Apotheken halten nicht einmal Jodtabletten bereit.
E. S.
Nachtrag zur Gesundheitsreform
Die Bundesregierung läßt mit ihrem Reformwerk die Reichen um ihre Villa im Tessin, um die Wertpapiere und die Konten im steuerfreundlichen Ausland bangen. Für die beklagenswerten Opfer ist es kein Trost, daß die alte Tante ebenfalls gerupft wird. Jetzt bedroht das Sozialamt ihr Klein-Häuschen als Ausgleich für die »Stütze«.
Der Stadtrat von Schilda hat nach gründlicher Durcharbeitung der Reformmaterie mit Hilfe gewiefter Fachleute einen Beschluß gefaßt, mit dem er die Bundesregierung um Überprüfung offenkundiger Schwachstellen bittet, die den Bürger unbillig und unnötig belasten. Der Landkreis hat diesem einstimmig gefaßten Beschluß ohne Einschränkungen zugestimmt und die Landesregierung gebeten, ihrerseits alles zu tun, damit die Fehler korrigiert werden.
Der Beschluß lautet:
»In Verantwortung gegenüber den Bürgern des Landes hat der Gemeinderat von Schilda die von der Bundesregierung erarbeiteten Neuregelungen im Bereich der Finanzwirtschaft und Krankenfürsorge auf ihre Finanzierbarkeit, insbesondere auf Einsparungsmöglichkeiten und auch auf ihren Nutzen hin überprüft. Dabei ist besonders das Augenmerk darauf gerichtet worden, ob dem Versicherten weiterhin unbedingt die teuersten Ersatzteile bezahlt werden sollen, wenn die Bedarfslage die vorhandenen Geldmittel weit übersteigt. Beispielhaft wird darauf aufmerksam gemacht, daß teure Gebisse problemlos durch einen Fleischwolf ersetzt werden könnten. Dieses Beispiel versucht den Zwängen gerecht zu werden, die der demographische Wandel nicht nur der Gesundheitsversicherung auferlegt. Für den Eintausch in einen Fleischwolf spricht neben den geringen Anschaffungskosten auch die leichte Handhabung und die einfache Wartung und Pflege.«
Der von uns befragte Bürgermeister schloß, um etwaigen Mißverständnissen zu begegnen, einen Sonderparagraphen nicht aus, der Ausnahmen für verdiente Bürger zuläßt: »Dann kann ich jedenfalls mein Gebiß behalten.«
Wilhelm Boeger
An die Lokalpresse
Wie oft resignieren Menschen, wenn sie feststellen müssen, daß nach wie vor Kriege geführt werden! Immer wieder bezweifeln sie, daß man noch Wirksames gegen Krieg und Vernichtung tun kann! Aber jetzt gibt es eine überzeugende Lösung: Wie das
rtv-Fernsehmagazin mitteilt, bietet die Uhrenmanufaktur Windgassen die »Obama-Friedensnobelpreisuhr« an! Aus Silber gefertigt, achtzehnkarätig goldplattiert, mit wertvollen Diamanten besetzt und auf der Rückseite mit dem Obama-Friedensmedaillon veredelt, stellt sie, so formuliert es der Hersteller bescheiden, »einen wichtigen historischen Meilenstein in dem Streben nach Weltfrieden dar«, und das für eine begrenzte Zeit noch zum Billigpreis! Danach, meine Herrschaften, wird der Frieden wieder teurer. Mein Tip: Das Chronometer kann natürlich auch an unsere Feldgrauen versandt werden, denn »die einzigartige Alarmfunktion ist ein weiteres praktisches Merkmal der Obama Friedensnobelpreisuhr«. – Ladiskaus Glockenschlag (72), Uhrensammler, 79877 Friedensweiler
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Der
Berliner Kurier teilte dankenswerterweise mit, daß jede fünfte Britin ohne Höschen zur Arbeit geht. Da ich mich schon immer stark für hygienische und soziale Fragen interessiert habe, möchte ich wissen, ob der Redaktion dazu auch Vergleichszahlen aus anderen EU-Ländern und aus den USA vorliegen. Und wie verteilt sich solche Aufgeschlossenheit auf die unterschiedlichen Berufs- und Qualifizierungsgruppen? Gibt es signifikante Unterschiede zwischen Normalbürgerinnen und Akademikerinnen? Wie wirken sich Lebens- und Berufsalter der Probanden aus? Unterscheidet sich das diesbezügliche Verhalten von Verheirateten und Singles? Weicht das ermittelte Erscheinungsbild bei Ausländerinnen vom deutschen Normverhalten ab? Fragen über Fragen! Wie man sieht, besteht weiterhin großer Klärungsbedarf. Und ich kann nur hoffen, daß die volksverbundenen Tageszeitungen dieser Problematik auch in Zukunft den gebührenden Platz einräumen. – Miriam Mittenzwei (29), Bürofachfrau, 09484 Hammerunterwiesenthal
Wolfgang Helfritsch
»Auszeit« für die Solidarität?
Der alljährlich stattfindende Solidaritätsbasar, der Berlins Journalistinnen und Journalisten in erfreulich engen und produktiven Kontakt mit sehr vielen ihrer Leser gebracht hatte und auch künftig bringen sollte, fiel in diesem Jahr ins Wasser. Wie es scheint, in ein recht trübes Wasser.
»Mancher wird sich gewundert, viele werden ihn vermißt haben«, bemerkt das
Sprachrohr, Mitteilungsblatt des ver.di-Fachbereichs Medien, Kunst und Industrie Berlin-Brandenburg. Das Mitteilungsblatt hat fein beobachtet: »Der September 2009 verging ohne das Ereignis.« Und Andreas Köhn, stellvertretender ver.di-Landesleiter, der sich auch als »Cheforganisator der bisherigen gewerkschaftlichen Solibasare« vorstellt, erzählt dem von ihm redigierten Sprachrohr, warum das so ist:
»Zum einen war der Alexanderplatz aktuell mit der großen Ausstellung zu 20 Jahren Mauerfall belegt«, was nicht zutrifft, denn diese Ausstellung belegte nur ein Stückchen Alex, während ein anderer Teil der Platzfläche von Bauarbeiten belegt beziehungsweise von unterirdischen Bauarbeiten unterbelegt war. Weiter verkündet der Cheforganisator a.D.: »Der zweite Grund ist ein inhaltlich-konzeptioneller. Die Struktur unseres Basars und die Art des Programms müssen überdacht werden ... Wir müssen das Gesamtprojekt neu konzipieren. Dafür ist das Jahr Auszeit gut zu nutzen.«
Bislang hat Köhn die Auszeit anscheinend noch nicht genutzt; er sagt nichts von seinem Überdenken und von eventuellen Ergebnissen. Daß sich das Verlagshaus Axel Springer nicht an einem Solidaritätsbasar beteiligt, ist bekannt. Aber – und darüber sagt Köhn ebenso wenig – auch der große Berliner Verlag mit seinen diversen auflagenstarken Blättern hält sich dem Solidaritätsgedanken fern; sein Erwerber Alfred Neven DuMont, Chef des expansiven Kölner Medienkonzerns DuMont-Schauberg, und der Stuttgarter Medienfürst Holtzbrinck, dem unter anderem der
Tagesspiegel gehört, haben vielleicht schon mal die Namen Bert Brecht und Hanns Eisler gehört, aber nicht deren Solidaritätslied. Womöglich ist Solidarität gar nicht das Hauptanliegen derjenigen, die sich nach und nach fast alle Medien angeeignet haben, vor allem die tonangebenden mit den hohen Anzeigeneinnahmen. Die Gewerkschaften, auf die es dann um so mehr ankäme, sollten nicht zu lange in ihrer Aus-Zeit verharren. Aktionszeiten bringen mehr.
Lothar Kusche
Fortbildung
In einer Museumsbibliothek geringfügig beschäftigt, hatte ich heute die Ehre, in eine neue Arbeit eingewiesen zu werden: Loseblattsammlung! Da gibt es ein Künstlerlexikon der Gegenwart in acht Ordnern. Ich sollte die neu hinzugekommenen Künstler an der alphabetisch richtigen Stelle einsortieren. Auch die Beschriftung von Ordnern mit den Namen der darin zu findenden Künstler war fällig. Mein Vorgesetzter ist in dieser Hinsicht sehr genau, auch wenn er zugibt, daß Fehler vorkommen. Um so genauer muß man eben arbeiten.
Also setzte er sich neben mich und beobachtete mich, wie ich die alphabetische Liste der Namen durchging und darauf achtete, wo ein neuer auftauchte, der einzusortieren war. Das ging so eine gute Stunde. Ich hatte ihm zuvor versichert, daß ich sowas früher auch schon gemacht hatte, ganz traute er mir freilich nicht. Irgendwann wurde es ihm aber langweilig, und er fragte mich mehrfach, ob ich das denn verstanden hätte. Ich bejahte. Aber sobald ein Problem auftauchte, sollte ich sofort kommen, was ich ihm auch versprach. Dann habe ich ein paar Stunden gearbeitet, bis ich Feierabend hatte.
Zwischendurch ging ich mit der Rechnung, die ich einen Tag zuvor für eine bevorstehende Fortbildung bekommen hatte, zu meiner Bibliothekschefin. Früher konnte man Fortbildungen mittels einer eigens dafür hergestellten Mappe beantragen, die voller Blätter in Klarsichthüllen ist. Nun wurde auch dieses Verfahren auf EDV umgestellt. Dafür gab es eine hausinterne Fortbildung, an der ich aber nicht teilgenommen hatte. Meine Chefin war dort gewesen, hatte aber alles gleich wieder vergessen. Also rief sie den zuständigen Sachbearbeiter an und versuchte ihn zu überreden, daß er sich meiner annehme, zumal ich ja nicht einmal einen PC hätte – und auch keinen bekommen würde. Das stimmt, alle meine Arbeiten sind sozusagen prädigital, klassische Handarbeit wie Büchereinräumen et cetera. Der Mann redete lange mit meiner Chefin. Heraus kam, daß er das nicht machen werde! Sie solle! Also begann sie mit dem Ausdruck der 50-seitigen Anleitung, wie man Fortbildungen ab jetzt übers Internet zu beantragen habe.
Nachdem wir die Seite im WWW gleich gefunden hatten, wurde die Personalnummer abgefragt. Die wußte ich nicht. Also bei der Verwaltung anrufen. Die Nummer war leicht zu bekommen, dann sollte man aber auch noch ein Paßwort eingeben. Ich hatte keines und wußte keines. Also die Funktion »Paßwort vergessen« anklicken. Da gab es dann nur noch die Möglichkeit, an die zuständige Behörde ein Fax zu schicken, die dann das Paßwort mit der Post zu mir nach Hause schickt. Ich fürchte, das Seminar ist lange vorbei, bis ich meine Teilnahme beantragt habe.
Hans W. Buchhalter
Press-Kohl
Bei Donaustauf in der Nähe von Regensburg erhebt sich, allen Flußschiffern und -touristen sichtbar, eine deutsche Ruhmeshalle. Die »Walhalla«, meldet die
Deutsche Presse-Agentur, enthält neuerdings auch eine Büste der Nonne Edith Stein. Sie ist »der 129. Marmorkopf in der Halle. Unter den Geehrten sind nur sechs Frauen.«
Mit Staunen entnahm unser Kollege Joachim Bennewitz der
dpa-Meldung, daß Edith Stein »eine von den Nazis ermordete und heiliggesprochene Nonne« war. Nie zuvor hatte er gehört, daß nazistische Mörder ihre Opfer heiligsprachen.
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Unter der Titelzeile »Als der Papst zu Boden ging«, berichtete die
Berliner Zeitung: »Die junge Frau wollte dem Papst näher sein als alle anderen und ihn umarmen. Innerhalb von Sekunden übersprang sie die hölzerne Absperrung im Petersdom, packte Benedikt XVI. an seinen schweren liturgischen Gewändern und riß ihn zu Boden. Dann wurde sie von Sicherheitskräften überwältigt ... Der Papst ist bei jedem öffentlichen Auftritt umgeben von Mitgliedern der Schweizer Garde, die seit mehr als 500 Jahren für die Sicherheit der Päpste zuständig sind.«
Die Mitglieder der Schweizer Garde, die seit mehr als 500 Jahren für die Sicherheit der Päpste zuständig sind, befinden sich demnach jeweils in einem quasi biblischen Alter von rund 530 bis 560 Lebensjahren.
In dieser Entwicklungsphase ist die genaue Beachtung der komplizierten liturgischen Rituale und Zeremonien besonders ermüdend.
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Ein Pressesprecher der Berliner Polizei wurde über die Häufung der Fälle befragt, in denen Luxus-Autos durch Feuer vernichtet werden.
In diesem Zusammenhang bemerkte der Experte: »Es ist schwierig, sozial oder politisch motivierte Täter von normalen Brandstiftern zu unterscheiden.«
Der Trick der normalen Brandstifter besteht darin, daß sie gar nicht wie Brandstifter aussehen, während die normalen Taschendiebe ihre Hände in fremde Taschen stecken, weil sie oft so kalte lange Finger haben, was auf Durchblutungsstörungen zurückzuführen ist.
Felix Mantel