Ein Grandseigneur des Kinos wird am 25. Januar 100 Jahre alt: Kurt Maetzig. 1945 gehörte er zu den »Aktivisten der ersten Stunde«, die für einen Neuanfang des deutschen Films sorgten. Aus dem Bürgertum kommend – die Hamburger Großeltern hatten mit Teehandel ein Vermögen gemacht – überlebte der an der TH München promovierte Doktor der Technischen Wissenschaften und Diplomkaufmann, der zudem in Paris an der Sorbonne Psychologie, Soziologie, Jura und Pathologie studiert hatte, die Nazizeit in der Berliner Kopieranstalt seines Vaters, als Kameramann in Trickfilm-Ateliers und im eigenen fotochemischen Labor, zuletzt in einem Versteck in Werder, doppelt gefährdet als Kommunist und »Halbjude«. Wenige Monate nach Kriegsende zählte er mit den Schauspielern Hans Klering und Adolf Fischer, den Filmarchitekten Carl Haacker und Willy Schiller sowie dem Beleuchter Alfred Lindemann zu den Mitgliedern eines »Filmaktivs«, das die Keimzelle der ersten neugegründeten deutschen Filmgesellschaft bildete, der DEFA. Neben Klering und Lindemann saß Maetzig auch in deren Direktorium nach der Lizenzerteilung durch die sowjetische Besatzungsmacht.
Schon vorher hatte er die Wochenschau »Der Augenzeuge« aufgebaut, die anfangs unter dem Motto stand »Sie sehen selbst, Sie hören selbst, urteilen Sie selbst!« – so wie Maetzig später auch in Zeiten der Bevormundung für den mündigen Zuschauer plädierte. 1946 drehte er den ersten DEFA-Dokumentarfilm »Berlin baut auf«, ein Jahr später seinen ersten Spielfilm »Ehe im Schatten«. Der half, Schutt in den Köpfen wegzuräumen. Als Betroffener – die jüdische Mutter hatte Selbstmord begangen – erzählte Maetzig die Tragödie einer »arisch-jüdischen Mischehe« im »Dritten Reich«, der des Schauspielers Joachim Gottschalk nachgestaltet. Die ästhetischen Mittel waren noch die der alten UFA, aber sie erleichterten wohl auch den Weg zu zwölf Millionen Zuschauern in ganz Deutschland.
Mit seinem nächsten Film »Die Buntkarierten« (1949, Drehbuch: Berta Waterstradt) wirkte Maetzig schon daran mit, eine neue DEFA-Tradition – neben dem Antifaschismus – zu begründen: die Aufarbeitung deutscher Geschichte aus der Sicht von »unten«. Neue formale Wege in der erstmaligen Mischung von Fiktivem und Dokumentarischem beschritt er mit seinem Film »Rat der Götter« (1959) in Zusammenarbeit mit dem aus Moskauer Exil heimgekehrten Autor Friedrich Wolf und dem aus Hollywood kommenden Komponisten Hanns Eisler. Die Fakten zu dieser Abrechnung mit der Rolle der Industrie in der Nazizeit lieferte das Buch des amerikanischen Publizisten R. Sassauly über die I. G. Farben.
Im Werk dieses Regisseurs spiegelt sich, so ausgeprägt und kontinuierlich wie bei keinem anderen, auch die Entwicklung der DEFA. Seine beiden Thälmann-Filme (1954/55) stehen exemplarisch für den Stil des damaligen »Sozialistischen Realismus«. »Schlösser und Katen« (1957) war dann der erste Schritt zu einem wirklichen Realismus. In dieser Chronik der Umwälzung auf dem Lande, vor Augen geführt in eindrücklichen individuellen Biographien, wurde auch zum ersten Mal der 17. Juni 1953 enttabuisiert. Kritische Auseinandersetzung mit DDR-Geschichte der fünfziger Jahre stieß 1965 an dogmatische kulturpolitische Grenzen. Maetzigs Film »Das Kaninchen bin ich« wurde zum meistzitierten Exempel einer ganzen Reihe Babelsberger Produktionen, die damals nicht ans Licht der Leinwand durften, weil sie mit dem Impetus, die sozialistische Gesellschaft zu reformieren, stalinistische Strukturen kritisierten. Erst nach der »Wende« wurden sie rehabilitiert und erlebten ihre Uraufführung. 1975 verabschiedete sich Maetzig als Regisseur mit »Mann gegen Mann«, auch in diesem seinem 21. Spielfilm noch stilistisch Neues suchend.
Aktiv blieb er weiter. An der Babelsberger Filmhochschule, deren Gründungsrektor er 1954 bis 1964 war, lehrte er noch als Professor. Die Internationale Vereinigung der Filmklubs wählte ihn zu ihrem Ehrenpräsidenten. Auf deren Seminar in Weimar 1985 erlebte ich, wie er noch im Schlußwort mit einem Stegreif-Privatissimum über die Zukunft des Kinos im Zeitalter der neuen Medien brillierte. Diese Kunst, ohne Manuskript druckreif zu formulieren, konnte ich bei späteren Begegnungen noch mehrfach bewundern.
»Lernt aus meinen Fehlern« wollte Kurt Maetzig seine 1987 erschienene Biographie nennen, die nun einfach »Filmarbeit« heißt. Unerfüllt blieb sein Wunsch, Heinrich Manns »Henri Quatre« zu verfilmen, ein Werk, an dem, wie er in einem Interview sagte, »die Erfüllung des Humanismus als Regierungsprinzip« der wertvollste Aspekt sei. Der Roman endet mit der Mahnung: »Macht es besser als ich. Ich habe zu lange gewartet. Die Revolutionen kommen nicht immer zur rechten Zeit ...«
Von der deutschen Vereinigung erhoffte Maetzig, daß sie »mit Toleranz, Weitsicht, Würde und eben unter humanistischen Prämissen vor sich geht«. Mögen sich andere Wünsche zu seinem Geburtstag besser erfüllen.
Ein Porträt Maetzigs »Filmen für ein besseres Deutschland« sendet der MDR am 23.1. um 23.40 Uhr. Am 24.1. um 22.55 Uhr läuft im MDR »Das Kaninchen bin ich«, am 25.1. um 22.45 im RBB »Die Buntkarierten«.