Für jemanden, der sich als Anwalt, Publizist und Menschenrechtsaktivist der politischen Prosa verschrieben hat und zu dessen treuesten Lesern, über vier Jahrzehnte hinweg, die Inquisitoren des Verfassungsschutzes gehören, ist es eher ungewöhnlich, einen Lyrik-Band zu besprechen. Und tatsächlich hat sich anläßlich meiner Einführung in einen Leseabend mit dem Autor Rudolph Bauer die taz darob zunächst gewundert, sodann aber messerscharf geschlossen, bei dem Band »Schutzschirmsprache. Politische Lyrik und Cartoons« könne es wohl kaum um »gefühlige Belanglosigkeiten« gehen, sondern ich interessierte mich für »Schutzschirmsprache« offenbar deshalb, »weil diese eminent politisch ist«. Hier liegt die taz-Kritik mit dem Titel »Verdichtete Weltsichten« durchaus richtig.
»Wann zuletzt ist in Deutschland ein Buch mit politischen Gedichten und Cartoons erschienen?« Diese Frage lesen wir in der Einleitung des Buches, dessen Titelbild stark an die deutsche Flagge erinnert – offenbar das Politische symbolisierend, aber kritisch gewendet und sinnverkehrt, denn hier werden die Flaggen-Elemente kurioserweise rückwärts gelesen: gold-rot-schwarz… Dazu paßt, allerdings wieder in der richtigen Reihenfolge, Rudolph Bauers Vers:
schwarzer balken
lastet gewitterwolkendunkelschwer
über dem rot brennender herzen
über dem licht wie pfirsichgold
Und wir lesen weiter zu Beginn des Buches – ein wenig martialisch – von einem »literarischen Minenfeld«, das der engagierte Bremer Sozialwissenschaftler und Bildende Künstler als Lyriker mit diesem Buch betrete; das mündet dann in die Frage: »Kann und darf Lyrik heute politisch sein?« Ja, was denn sonst und warum denn nicht? Wenn nicht heute, wann denn dann – in Zeiten von Krieg und Terror, Folter und Elend, Menschen- und Völkerrechtsverletzungen, Finanzkrise und Bankenrettungsschirmen, Armut und sozialer Kälte; in Zeiten von ausufernder Überwachung und Kontrolle, von Vorratsdatenspeicherung, GoogleStreetView und Zensus 2011, aber auch in Zeiten von Stuttgart21- und Antiatomprotesten, neuen Protestbewegungen und Kampf für mehr Bürgerbeteiligung.
Die Probleme und damit die Themen gehen nicht aus und harren auch der künstlerischen, der lyrischen und bildlichen Aufarbeitung und Umsetzung – so durch Rudolph Bauer, der mit seinen aufrüttelnden und aufklärenden, mitunter pathetischen Versen nicht nur politische Ansichten liefert, sondern auch neue Einsichten vermittelt und der so mittels lyrischer Verdichtung zu einer Art Welterklärer wird. Und Lothar Bührmann illustriert als kritischer Cartoonist die Bauerschen Gedichte kongenial und nicht selten in stilistischem Kontrast dazu – mit spitzer Feder, wenigen Strichen und Symbolen: geradezu minimalistisch und karg, dafür mit viel politgrafischer Ironie und Hintersinn.
Zurück zur Einleitung des Buches, in der auch die bange Frage gestellt wird: Handelt es sich bei politischer Lyrik »noch um Lyrik von literarischem Rang«? Ich denke, das kommt drauf an und ist wohl schwer zu beantworten, weshalb ich die Beurteilung Berufeneren überlassen möchte. Sicher: Manche werden diese radikale Abkehr von alter Innerlichkeit, Subjektivität und privater Verstörung beklagen und womöglich das »Lyrische Ich« vermissen, das hier einem imaginären »politischen Wir« weichen mußte.
»Lyrische Ergüsse« und »deutsche Innerlichkeit«, so der Rezensent Arn Strohmeyer, seien dem Autor Rudolph Bauer ebenso fremd wie »dunkle und undurchlässige Sprachlabyrinthe und kryptische Wortgeflechte, wie sie moderne Lyriker lieben«. Bauer schreibe politische Lyrik, »unbotmäßige, aufsässige Verse sozusagen – und das mit einer äußerst realistischen Sprache, die kein Blatt vor den Mund nimmt und dennoch durchaus poetisch ist«. Wobei, so wäre zu ergänzen, sich mancher dieser Lyrikverse auch als Prosa lesen ließe, weshalb bereits der Streit entbrannte, ob es sich überhaupt um »Lyrik« handele. Und so bezeichnen Andere Bauers Politlyrik als drastisch und kompromißlos, gar als »Flugblattagitation«, wie etwa die Kreiszeitung aus Syke: »Da kämpft einer mit dem Säbel für eine bessere Welt.« So unterschiedlich können Rudolph Bauers Verse wahrgenommen werden.
Schutzschirmsprache
Die kredite sind notleidend
die banken sind notleidend
finanz- und realwirtschaft
sind notleidend
die regierenden spannen schirme
schutzschirme für die
die da notleidend sind
nicht aber für jene in Not
armut bekämpfen die herren
und erbittert die armen und ohne erfolg
denn nicht fürs system
relevant sind die armen.«
Rudolph Bauer und Lothar Bührmann: »Schutzschirmsprache. Politische Lyrik und Cartoons«, Sujet-Verlag (www.anares-buecher.de). 112 Seiten mit 36 Abbildungen, 14.80 €