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Datenschutz besiegt »Verfassungsschutz«  (Rolf Gössner)

Ende 2011 ist ein Urteil rechtskräftig geworden, mit dem ich zum zweiten Mal gegen eine Verfassungsschutzbehörde gewonnen habe, worauf mich die taz zum »Geheimdienstbezwinger« kürte. Erst Anfang 2011 hatte das Verwaltungsgericht Köln in einem sensationellen Urteil meine vier Jahrzehnte lange Überwachung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) für unverhältnismäßig und grundrechtswidrig erklärt (vgl. Ossietzky Heft 22/10). Und nun erklärte das Verwaltungsgericht Düsseldorf nach dreieinhalbjährigem Prozeß auch meine Überwachung durch den nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz (VS NRW) sowie die Speicherung meiner personenbezogenen Daten für rechtswidrig (Az. 22 K 4905/08).
Tatsächlich war ich außer vom BfV auch von einzelnen Landesverfassungsschutzbehörden geheimdienstlich beobachtet und ausgeforscht worden. Der VS NRW hatte über mich eine Personendatei mit Personalien und diversen Kontakten zu »verdächtigen Gruppen und Personen« angelegt. Um welche es sich dabei handelte, blieb im Gerichtsverfahren weitgehend geheim – mit der Begründung, daß ansonsten Quellen gefährdet seien. Zusätzlich waren in neun elektronischen Dokumenten meine Veranstaltungen in Nordrhein-Westfalen sowie Daten zu »linksextremistischen Bestrebungen beziehungsweise Verdachtsfällen« registriert worden; außerdem Gespräche, Äußerungen Dritter über mich, Protokolle und Berichte über Treffen und Sitzungen, über Aktionen und künftige Vorhaben.
Die Informationen beruhten auf »Quellenberichten« von V-Leuten und anderen geheimen Informanten des VS NRW. So wurden etwa »Erkenntnisse« gespeichert über einen nicht namentlich genannten Verein, in dem ich Vorstandsfunktionen innehatte und der angeblich von außenstehenden Personen politisch »unterwandert« werden sollte; sie sollen einer Organisation angehört haben, die in der berüchtigten EU-Terrorliste geführt wird. Der Verdacht habe sich jedoch, so der VS NRW vor Gericht, nicht erhärtet. Gleichwohl war und blieb ich fürsorglich gespeichert – angeblich zu meinem Schutz und zum Schutz des Vereins vor Unterwanderung.
Ebenfalls erfaßt wurde die Tatsache, daß ich für die Internationale Liga für Menschenrechte an der Beobachtung eines Prozesses vor dem Verwaltungsgerichtshof (VGH) Mannheim teilgenommen hatte, in dem es um ein Berufsverbot für einen Realschullehrer in Baden-Württemberg ging (vgl. Ossietzky Heft 6/07). Der VGH erklärte dieses vom baden-württembergischen Verfassungsschutz begründete und vom Kultusministerium verhängte Berufsverbot für rechtswidrig und hob es auf. Als Prozeßbeobachter blieb ich in Nordrhein-Westfalen weiterhin erfaßt.
Zu den erfaßten Veranstaltungen in Nordrhein-Westfalen, bei denen ich als Referent auftrat, gehörten etwa solche, die das Duisburger »Netzwerk gegen Rechts« organisierte oder auf denen ich Vorträge zu »Innerer Sicherheit«, »V-Leuten in Neonaziszenen« oder zum »Abbau von Menschenrechten« hielt. Dabei interessierten den VS NRW auch Angaben zur Honorierung meiner Vorträge sowie Ausführungen eines dem »linksextremistischen Spektrum« zuzurechnenden Redners zum gescheiterten NPD-Verbotsverfahren (2003): »Etwa 30 der 200 NPD-Vorstandsmitglieder waren Geheimdienstler, das Peinliche war nur, daß sie – nach Rolf Gössner – an Brandstiftung, Totschlag, Mordaufrufen, Waffenhandel, Gründung einer terroristischen Vereinigung direkt beteiligt waren.«
Mit seinem Ende 2011 rechtskräftig gewordenen Urteil hat das Verwaltungsgericht Düsseldorf die gesamte Datenspeicherung und -verarbeitung des VS NRW in meinem Fall für rechtswidrig erklärt, weil nicht kenntlich gemacht wurde, ob ich »verdächtiges Objekt« war – in den Worten des VS NRW: »doloses Objekt«, also mutmaßlicher »Verfassungsfeind« oder »Extremist« – oder aber eine »undolose« Kontaktperson, die selbst keine »verfassungsfeindlichen Bestrebungen« verfolgt. Mangels korrekter Kennzeichnung war es möglich, mich als »belastete« Person einzustufen – mit der fatalen Folge, daß meine Daten gesetzeswidrig etwa bei Sicherheitsüberprüfungen hätten Verwendung finden können. Auch die Tatsache, daß Daten über mich in sogenannten Sachdatenbanken nach Belieben namentlich recherchierbar waren, verstieß gegen geltendes Recht. Mit diesen Praktiken sei, so das Gericht, einer verbotenen zweckwidrigen Weiterverwendung von personenbezogenen Daten unkontrollierbar Tür und Tor geöffnet worden.
Dem VS NRW wirft das Gericht vor, eingrenzende gesetzliche Bestimmungen nicht eingehalten und vor allem die Datennutzung nicht effektiv kontrolliert und protokolliert zu haben. Nach Auffassung meines Prozeßbevollmächtigten, Rechtsanwalt Udo Kauß (Humanistische Union), wird dieses Urteil über den Einzelfall hinaus bundesweit erhebliche Auswirkungen auf die Datenverarbeitung aller 17 VS-Ämter des Bundes und der Länder haben: »Erstmals wird eine Geheimdienstbehörde durch ein Gericht verpflichtet, ihre Datenverarbeitung so zu organisieren, daß die VS-Bediensteten nur auf die gespeicherten Daten zugreifen können, auf die das Gesetz für die jeweilige Aufgabe einen Zugriff erlaubt.« Das Gericht hat den VS NRW auch verpflichtet, durch technische Vorkehrungen sicherzustellen, daß die Rechtmäßigkeit eines jeden Datenzugriffs im Nachhinein jederzeit überprüft werden kann. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, so Kauß, sind »jegliche Speicherung und jeglicher Zugriff rechtswidrig und ein Eingriff in das Grundrecht auf Informationelle Selbstbestimmung des Betroffenen«.
Die Internationale Liga für Menschenrechte und die Humanistische Union werteten das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf als eine »längst überfällige datenschutzrechtliche Absicherung des Grundrechts auf Informationelle Selbstbestimmung«. Auf der Grundlage dieses Urteils forderten beide Organisationen, bundesweit die gesetzwidrigen Praktiken unverzüglich einzustellen, wie dies in NRW inzwischen geschehen ist. Tatsächlich werden die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder während ihrer nächsten Konferenz das Urteil und seine Auswirkungen beraten, um notwendige Schritte anzumahnen.
Im Gegensatz zu diesem Urteil ist das Kölner Urteil gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz noch nicht rechtskräftig, weil die Bundesrepublik inzwischen die Zulassung der Berufung beantragte, über die das zuständige Oberverwaltungsgericht Münster/NRW noch nicht entschieden hat. Und so ist noch vollkommen offen, ob dieses unsägliche Verfahren abgeschlossen und rechtskräftig wird oder aber durch die nächsten Instanzen weitergeführt werden muß – was mich nochmals viel Aufwand und Zeit, Kraft und Nerven kosten würde, möglicherweise bis ins hohe Rentenalter.
Die Fraktion Die Linke in der Bremischen Bürgerschaft fordert anläßlich ihrer Gratulation zum Düsseldorfer Urteil: »Wir brauchen eine rechtsstaatliche Reform der Geheimdienste, an deren Ende ihre Abschaffung stehen sollte.«