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Titel022013

Heißsporn aus dem kühlen Norden  (Ingrid Zwerenz)

Es gibt starke Typen, Themen, Thesen, die bleiben immer aktuell, im Guten wie im Bösen. Wer freut oder ärgert sich heute noch, denkt er an den »Roten Jochen«? Manchen ist auf die Sprünge zu helfen, nennt man den Namen »Kuddl Schnööf«. Wie auch immer jemand zum 1922 in Kiel geborenen Jochen Steffen gelangt, es lohnt sich. Nach langen Mühen und Kämpfen verließ er 1979 eine SPD, der er seit 1946 angehörte, die er aber wegen vieler übler Erfahrungen nicht mehr als seine Partei empfand. Zuvor hatte er in wichtigen Funktionen bis zur Erschöpfung gearbeitet, unterstützt von Ehefrau Ilse, die ihn zuverlässig im VW-Käfer von Termin zu Termin chauffierte, er hatte keinen Führerschein. Ein braver angepaßter Parteisoldat war er nie. Dazu diese bewegte Szene aus Steffens fragmentarischen Aufzeichnungen, eine chronologische Autobiographie gibt’s nicht, stattdessen schöne Einzel-Geschichten: 1948 hatte man ihn mit einigen anderen Juso-Landesvorsitzenden in einer Ruhrgebietsstadt »versammelt, um von Kurt Schumacher erleuchtet zu werden.« Zum »Erleuchter« gehört ein Boxerhund und der »riß Schumachers damalige Sekretärin, Annemarie Renger, hinter sich her über den weiten Hof, daß sie uns mehr segelnd als laufend entgegenkam. Ich habe furchtbar lachen müssen ...« Pikiert erfragt Frau Renger den Grund für Steffens Heiterkeit, der antwortet ironisch: Ihm imponiere die »souveräne und charmante Beherrschung einer prekären Situation«. Der junge Genosse zeigt kein Mitgefühl mit einer Dame, die einem ungestümen, kräftigen Hund nicht gewachsen ist. Intuitiv neigte ich eher der SPD-Genossin Annemarie zu, ihr gelingt in diesen Jahren totaler Herrenzeit eine lange steile politische Karriere, doch als der Rote Jochen und die spätere Miss Bundestag sich kennenlernten, ging alles schief, genau wie beim Treffen mit Kurt Schumacher, der, notiert Steffen, »wurde behandelt wie ein rohes Ei. Ihn umgab ein Schwarm Menschen mit einer Servilität und Beflissenheit, die mir beinahe physische Pein bereitete.« Da kriecht also einer nicht im Staub vor einem noch so gepriesenen berühmten Obergenossen. Fürs Unbehagen gab’s schwerwiegende Gründe: »Weil mir … völlig bewußt war, daß mit der ›Ehre des deutschen Soldaten‹ die finstere Reaktion zur politischen Offensive antrat und mich die Hilflosigkeit der Arbeiterbewegung zutiefst entsetzte.« Zu diesem brisanten Thema hatte Schumacher mit dem General Stumpff hanebüchene Absprachen ausgekungelt. Der Weltkriegszwei-Offizier überzeugte offenbar den Sozialdemokraten Kurt Schumacher von seiner apologetischen Sicht auf das Nazi-Heer, jedoch nicht den jungen SPD-Genossen Jochen. Der faßt zusammen: »Wieso sollten wir über den Kommiß und ähnliches diskutieren? So ... habe ich mir immer den Kadavergehorsam von Hosenscheißern vorgestellt.« Die beiden Kontrahenten Schumacher und Steffen sitzen sich am Tisch gegenüber. Der jüngere Genosse wird vom älteren scharf fixiert: »Sein Zeigefinger stieß durch die Luft, ich dachte, er durchbohre mein Herz ...« Aggressiv die verbale Drohung: »Willst du damit sagen, daß die Linie der Partei falsch ist?« Woran erinnert mich denn bloß diese liebenswürdige Frage – das ist ja der hinreißende SED-Jargon, den man von schweren politischen DDR-Querelen noch im Ohr hat. Dabei verabscheute Schumacher laut eigener Aussage kaum etwas so sehr wie Regierung und Funktionäre im zweiten deutschen Staat. Den Kommando-Ton hat der Genosse Kurt S. noch drauf, da spürt man den Offizier aus dem Ersten Weltkrieg. Vertraut sind einem die ruppigen Umgangsformen auch von späteren SPD-Genossen wie dem heute ringsum angebetenen Weltökonomen Helmut Schmidt, im Zweiten Weltkrieg unbeirrter, getreuer Leutnant bis zum 1945er Finale. Wesensverwandt ist beiden der eben gekürte, oft rabiat argumentierende und agierende Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, obwohl der nie gedient hat. Er benannte als seine Vorbilder aus der »edelsten Sozialdemokratie« mit Recht Lassalle und Brandt, aber auch den ihm im Temperament ähnelnden autoritären Schumacher. Lauter Exempel für großmäulige SPDiktatoren – das ist ja eine feine sozialistische Partei. Kein Wunder, daß Jochen Steffen sie verließ, vergrätzt hatte ihn auch ein Schumacher-Satz, der dekretierte, Kommunisten sind rotlackierte Nazis – dieser undifferenzierte Schimpf ist schändlich und war von einem hochintelligenten Mann wie Kurt S. nicht zu erwarten. Der im Dritten Reich so mutige SPD-Abgeordnete Schumacher attackierte 1932 im Reichstag die NSDAP sehr scharf. Später in verschiedenen Konzentrationslagern eingesperrt, muß er schwer körperlich arbeiten. In den letzten KZ-Jahren hilft ihm ein junger kommunistischer Mithäftling, das strenge Reglement zu bewältigen, allein hätte der im Ersten Weltkrieg schwer Versehrte das mit seinem einen verbliebenen Arm nicht geschafft. Ist dieser solidarische junge KP-Genosse also auch ein rotlackierter Nazi?

Die biographischen Notizen des Roten Jochen verdienten viele Leser, zu danken ist seinem Sohn Jens-Peter Steffen, daß er als »befangener Herausgeber« die Aufzeichnungen 1997 im agimos verlag unter dem Titel »Personen Beschreibung« der Öffentlichkeit zugänglich machte. Steffen senior, der leider schon 1987 verstarb, war nicht nur ein mitreißender Redner, er arbeitete auch für Zeitschriften und Rundfunk: Die Neue Gesellschaft, Hamburger Morgenpost, Die Zeit, Spiegel, Pardon, Das da, Welt der Arbeit, WDR, NDR – um nur eine kleine Auswahl zu nennen. In vielen dieser Publikationen begegnete man sich und nahm einander erfreut zur Kenntnis. Und Eckart Spoo gab 1972 einen Sammelband in der »Reihe Hanser 93« heraus mit dem nach wie vor brandheißen Titel »Fetisch Eigentum, wie privat sind Grund und Boden?«, an dem auch Steffen beteiligt war.

Zum Schluß ein genau kalkulierter Seitenhieb auf den Roten Jochen von einem heutigen Zeit-Herausgeber: »Wir sind trotz unserer erheblichen grundlegenden Meinungsverschiedenheiten Freunde geblieben. Jeden Sommer ist er mit seiner Frau an den Brahmsee gekommen und hat mich besucht. Er war ein anständiger Junge. Aber sein Marxismus war in meinen Augen dummes Zeug.« (Helmut Schmidt im Zeitmagazin Nr. 38/10).