Oft wird die Frage nach der Bewahrung der Kunst der DDR negativ beantwortet, politisch motiviert, gehässig und zerstörerisch. Aber gibt es auch Gründe, die einer Beseitigung von Werken zustimmen lassen? Gegen die pauschale Forderung der Linkspartei »Alle Kunst am Bau in der DDR ist erhaltenswert« erhebt Ronald Paris in seinem Buch »Wahr und wahrhaftig« den Einwand: »Aber nicht jede baugebundene Kunst aus DDR-Zeiten ist wichtig für die politische und kulturelle Bildung kommender Generationen« (S. 25–26). Grundsätzlich ist zu fragen, wenn alle aus den bisherigen Epochen entstandenen Werke erhalten bleiben, welche bildliche Überschwemmung als ungeheurer Alp der Geschlechter es dann gäbe. In dieser menschheitlichen Perspektive kann der Grundsatz des Einigungsvertrages auf Kunst aus der DDR mit Qualitätskriterien geprüft werden.
Der Fall der zu beseitigenden Wandbilder sei am Beispiel des Bildes an einer Schule von Bad Tennstedt dargelegt. Ihre fast vierzigjährige Vergangenheit trägt sie mit einer traurigen, dunklen Putzfassade vor; vermutlich dürfte eine Instandsetzung mit Wärmedämmung bevorstehen und das Wandbild verschwinden lassen. Gemalt wurde es 1976 für die Polytechnische Oberschule »Johannes R. Becher«, die 1990 zur Novalisschule umbenannt wurde. Etliche Bäume verdecken das mit Silikattechnik auf eine Betonfläche gemalte Wandbild von geschätzten elf Metern Länge und knapp drei beziehungsweise fünf Metern Höhe. Die Bildmotive reduzieren sich auf einfache Motivbeschreibungen: Auf einer gewellten Erde und unter einem dunkelblauen Himmel sitzen, hocken, bücken und stehen sechs rötlichbraune, von Konturen umrahmte Figuren, ein kindliches sowie größere und frauliche Mädchen mit stilisierten Kopfformen und wehenden Haaren, bessere Momente des Bildes, auch wenn sich ihre Formen eintönig wiederholen. Zusammenhängende Formen deuten auf eine oberflächliche Nachahmung mexikanischer Wandmalerei hin. Hier sei auf den Unterschied zu dem 1977/78 in Erfurt-Rieth entstandenen Wandbild »Die Idee wird zur materiellen Gewalt, wenn sie die Massen ergreift« des Malers Erich Enge hingewiesen, der die Strukturen seines Werkes vom Vorbild Siqueiros konsequent und mit schöpferischer Eigenständigkeit abgeleitet hat. Das europaweit einmalige Werk auf vier umlaufenden Fassaden, eine intensive, eine humane Gesellschaft preisende Malerei, bekam – mit Kampf – den Denkmal-Status.
Das Tennstedter Bild stammt von Nguyen, keine vietnamesische Künstlerin, wie vermutet, sondern, wie das VBK-Archiv mitteilt, eine 1943 im Kreis Templin geborene Barbara Brunzendorf-Sommer-Nguyen, die in Dresden studierte und vom Bezirksverband Erfurt des Verbandes Bildender Künstler der DDR (VBK) den Auftrag für das Wandbild erhielt. Solche Wandbildaufträge besaßen nie nur den Aspekt Kunst am Bau, sondern gleichfalls den sozialen Aspekt der wirtschaftlichen Unterstützung des Künstlers. Künstler taten etwas und bekamen dafür Geld. Damit hatte es sich insofern erledigt, wenn nicht ein künstlerischer Wert besteht, weswegen das Wandbild erhalten bleiben muß.
Johannes R. Bechers Anfang der DDR-Nationalhymne »Auferstanden aus Ruinen« bestimmt das Thema des Wandbildes und das Bildgeschehen, denn eine Figur richtet sich nach und nach zur vollen Größe auf, so erklärt eine frühere Kunsterzieherin der Schule und verhehlt keineswegs, daß das Bild von den meisten abgelehnt wurde. Die Metaphorik des Auferstehens wird durch die gestalterische, kompositorische Unfähigkeit und das anatomische Unvermögen von Nguyen zerstört. Selbstverständlich beruht das Bilddenken nicht auf den »Formen des Lebens selbst« (Tschernyschewski) in ihrer sinnlichen Präsenz, sondern fordert über den engen Kunstbegriff hinaus Repräsentanz und Symbolbedeutungen. Wo aber Figürliches aufgegriffen wird, muß es diesem Aspekt gerecht und in dieses Medium gestalterisch eingearbeitet sein: wenn ein Bein zur Gestalt zurückgeführt wird, ohne eine Körperstelle zu finden, die das Bein gnädig aufnimmt; wenn alle Hände und Füße dilettantisch zu Klumpen reduziert sind oder wenn ein Mädchen eine schräge Lage erhält, um die hinter ihr stehende Figur mühselig abzudecken und zu kaschieren, daß diese nur ein Bein besitzt. Ein Anatomieereignis, das sich mit zynischem Reflex auf die gegenüber befindliche Fachklinik für Rehabilitation beziehen ließe. Ein grausames Kunstereignis, das sich beseitigen läßt.