Ein Jubiläum bietet immer eine gute Gelegenheit zur Besinnung auf Geleistetes, vor allem, wenn alles »wunderbar«, »intelligent« und »lustig« zugleich war, wie der Festredner bei der Würdigung der Aktivitäten des Schweriner Kunstvereins feststellte.
Wichtige Höhepunkte der vergangenen zehn Jahre sind für mich zwei Kunst-aktionen, die durchaus für alle anderen stehen könnten.
Bei der einen sorgte ein Künstler für bundesweites mediales Aufsehen, indem er in der Stadt Schwerin einen Sack voll Hundescheiße aufsammelte. Die Performance verweist nicht etwa auf Versäumnisse der Schweriner Stadtreinigung oder Nachlässigkeiten örtlicher Hundebesitzer. Sicher sollte sie auch nicht so interpretiert werden, daß der Künstler die Stadt Schwerin für ziemlich beschissen hält. Das hätte der Schweriner Kunstverein gewiß nicht lustig gefunden. Diese Kunstaktion verweist im Gegenteil darauf, daß für Kunst selbst der kleinste Scheißdreck wichtig sein kann. Ist es doch Aufgabe der Kunst, zufällig aufgefundenes Material, irgendwo fallen gelassen, zu sammeln, zu konzentrieren und damit den Blick für das Große und Ganze zu öffnen. Erst dann entsteht Kunst! Das Echo in mehreren überregionalen Printmedien dokumentiert die Erwartung, die man heute an Kunst stellt, und ist damit zumindest deutschland-, wenn nicht sogar weltweit auf einem einheitlichen Niveau.
Bei der zweiten Aktion spielt Materie eigentlich keine Rolle, da geht es um Nichts. Beim weltweit ersten, in Schwerin etablierten »Fachgeschäft für Nichts«, einer hochintelligenten Installation, sollte nicht allein Nichts, sondern sogar vielfältiges Nichts verkauft werden. Der Künstler hatte sich bereits über viele Jahre sehr intensiv mit Nichts beschäftigt. Seine Sammlung dazu ist immens, so ist das auf der Website des Kunstvereins zu lesen. Sein Künstlerpseudonym hat er sinnfällig mit vielen o´s ausgestattet, weil für ihn der leere Innenraum dieses Buchstabens Nichts ist und nicht etwa eine typographisch gestaltete Binnenform. Zwar ist nichts unmöglich, aber er beweist das Gegenteil. In leeren Flaschen bietet er Nichts an, was selbstverständlich ein kleiner Irrtum ist, denn da ist immerhin Luft drin. Und Luft ist zwar unsichtbar, aber bei weitem nicht Nichts. Unser Atmen und damit das Leben geriete zu Nichts, wenn Luft Nichts wäre. Aber so genau will man Nichts in der Kunst nicht definieren. Das wäre ja dann schon eine wissenschaftliche Interpretation. Dagegen steht das Verständnis des Künstlers und der Kuratoren, daß die Beschäftigung mit Nichts Philosophie sei. Was hält die Welt zusammen? Wahrscheinlich nichts! Und auch Goethe formulierte in seinem letzten verbürgten Satz: »Mehr nicht!«
So ist es folgerichtig, daß sich moderne Kunst heute vorwiegend mit nichts beschäftigt, daß nichts uns erschüttert, daß heute schon sehr viele Menschen nichts wissen, daß Politiker mehr und mehr nichts sagen, auch wenn sie lange reden, daß in vielen Büchern heute vor allem nichts steht. Der Künstler hatte sich besonders erfreut gezeigt, daß die Besucher seiner Installation großes Interesse an Nichts hatten. Allerdings, so die Schweriner Volkszeitung, hatte ein alter Mensch die Sache mit diesem speziellen Fachgeschäft völlig falsch verstanden. Er wollte dort seine Altstoffe abgeben. Man sieht daran, nicht alle haben nichts begriffen.
Winfried Wolk ist Maler und Grafiker.