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Titel217

Sauberleute  (Harald Kretzschmar)

Wir leben im Zeitalter der Geschlechtergleichheit. Da verbietet es sich, in der Einzahl stets nur von »Saubermann« zu reden. Es ist so schade – der sprichwörtlichen Bedeutung dieser maskulinen Bezeichnung entspricht leider keine feminine Sauberfrau, das klingt blöd. Sogar fast beleidigend, bedenkt man die Empfindsamkeit der Personen, die womöglich damit belegt werden. Es ist aber durchaus denkbar, das Wort zur Benutzung freizugeben. Wenn wir genug Beispiele beisammen haben, dürfen wir darauf zurückkommen.

 

Es ist die Frage, worauf sich die hier ironisierte Sauberkeit denn überhaupt bezieht. Da ist offenbar die Vermutung einer lediglich vorgetäuschten solchen gemeint. Reingewaschen, von wem auch immer. Der Unglaube daran, was lediglich den schönen Schein zeigt, schwingt mit. Aber: Das höchste freiheitliche Gut sei die Einwandfreiheit, raunen tonangebende Moralapostel. Besonders im deutschen Sprachraum ist das auf diese feinsinnige Weise am prachtvollsten auszuformulieren. Das Vorweisen einer reinen Weste stand seit jeher in der deutschen Kleiderordnung ganz obenan. Man spreizt sich dann eben auch im übertragenen Sinn so, dass kein Fehl und Tadel zu bemerken ist.

 

Sauberleute, vom Ehrgeiz besessen, mit ihrem Glanz andere in den Schatten zu stellen, wollen als die Lichtgestalten im demokratischen Staatswesen gelten. Alles Diktatorische, wo immer es sich zeigt auf der Welt, ist befleckt vom Schmutz der Repression und Gewaltherrschaft. Im unmittelbaren Umfeld der Sauberleute war es am schmutzigsten. Licht ist zu bringen in die Finsternis der Unterdrückung. Der Stern des Ideals der Freiheit strahle – ganz so wie die lachenden Zähne der Kronsiegelbewahrer der Sauberkeit. Nagelneu angefertigt und frisch blankgeputzt im vollmundig edle Worte absondernden perfekt gelifteten Gesicht. Der spontan zu machende Eindruck allein ist sinnstiftend. Die Umgebung soll geblendet sein. In diesem Licht können die echten Überzeugungen wachsen.

 

Eine gewaltige Herausforderung sei das, belieben die Sauberleute zu verkünden. Das eigene gute Gewissen ist schwer vermittelbar. Trauerselige und Schuldbeladene, weichet zurück! Lasst uns den gebührenden Vortritt! Oft ist es eine Gratwanderung ohnegleichen für die Sauberleutseligkeit, das zu schaffen. Wie bedrohlich ist die Gefahr des Scheiterns aller Säuberungsversuche! Schließlich tragen alle menschlichen Verhaltensweisen den Keim der Fehlerhaftigkeit in sich. Die Verführung, krumme Wege statt gerade einzuschlagen, ist übermächtig. Wer heldenhaft einer Diktatur widersteht, kann nicht zimperlich sein in der Wahl der Mittel dazu. Wo Vorsicht geboten ist, da muss Rücksicht weichen. Also sind Sauberleute ununterbrochen gezwungen, die Sauberkeit ihrer Biografien gegen schmutzige Anwürfe zu verteidigen.

 

Diese Mühsal hat erst in der gewissen Höhenlage gigantischer Spitzeneinkommen und Geldvermögen ein Ende. Geschickt zu Wege gebrachte Zusatzgewinneinkünfte machen dann tollkühn. Steuermanipulationen gehören zum Tagesgeschäft, und ob nun blitzsauber oder eben nur leicht changierend zum Schwarzgeld- oder Rotlichtmilieu, das ist dann schnuppe. Wer mit einer begnadet treffenden Fußspitze das Ball-Leder trifft, und von Millionen Fans dafür umjubelt wird, spielt sich damit in die Sphäre der Unberührbaren. Die Sauberleute des Mittelfeldes sehen neidvoll – keine Schurkerei wird so wenig mit einer gelben oder roten Karte geahndet wie die Fouls der Sportsfreunde in der Finanzbranche. Da muss man das schon ganz schön blöd angestellt haben, wenn man sich am Ende auf einer Strafbank wiederfindet, die echten Saubermännern eigentlich nicht zuzumuten ist. Sie sehen, meine Damen – dorthin passen Sie eben gleich gar nicht.