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Titel217

Cranach kopiert Bosch  (Peter Arlt)

Kurz bevor die lutherische Reformation losbrach, starb Hieronymus Bosch 1516 in ‘s-Hertogenbosch. Vermutlich 1450 oder etwas später war er in derselben Stadt geboren und ausgebildet worden. Von der Bruderschaft Unserer Lieben Frau, ein Sammelpunkt in vielen Städten mit bis zu 70.000 Mitgliedern, bekam Bosch einige Aufträge für Gemälde oder Glasfensterentwürfe vermittelt. Bosch wurde bald bekannt und berühmt. Entscheidend dafür ist das Medium der Sprache menschlicher Figuren, oft verfremdet als Mischwesen, organisch zusammengesetzt aus Mensch, Amphibien, Insekten und Blumen. »Wimmelbilder« waren immer schon beliebt, weil sie die Neugier anstachelten, zur Motivsuche und zum Entdecken einluden. Boschs Bilder wurden oft kopiert oder anverwandelt. Das ist das Thema der kleinen Berliner Ausstellung »Hieronymus Bosch und seine Bilderwelt im 16. und 17. Jahrhundert«.

 

Im Malstil Boschs vereint sich der bürgerliche Naturalismus der früheyckschen Zeit mit der phantastisch-dämonischen Bildsprache, die jahrhundertelang in der volkstümlichen Überlieferung, so in Chorstuhlschnitzereien, Wasserspeiern und den Randminiaturen in Stundenbüchern, die Kunst mitbestimmt hatte. Von solchen Bildern, die sich gern, wie die Berliner Ausstellung vorführt, der grotesken Gestalten bei der »Versuchung des heiligen Antonius« bedienen und die dramatischen Ereignissen des Weltgerichtes heraufbeschwören, glaubte man, dass sie damit einen Beitrag zur Rettung der Seelen leisten können. Etliche Bildmotive bleiben heute unverständlich und unterliegen vielfältigen Interpretationsmöglichkeiten: aus der Perspektive alchemistischer Symbolik, astrologisch, psychoanalytisch oder aus neuentstandener Symbolik. Rosemarie Schuder riet, zur Deutung die Geschichte der Kämpfe zwischen Adel und Bürgertum, der Bauernaufstände und des nationalen Kampfes gegen ausländische Unterdrücker, vor allem die Spanier, heranzuziehen.

 

Programmatisch für Boschs Werk ist seine Zeichnung »Der Wald, der hört und sieht«, um 1500, die Berlin besitzt und aus Lichtschutz nur in der ersten Ausstellungsphase zeigte. Eine Eule hockt in einer Baumhöhle, sieben Augen liegen auf dem Hain und zwei Riesenohren richten sich im Unterholz auf. Am oberen Bildrand hat Bosch lateinisch einen Satz nach Cicero hingeschrieben, der etwa lautet: Der ist arm im Geiste, der nur bereits Erfundenes benutzt und nicht das noch zu Erfindende. Diese Innovationsforderung ging durch alle Zeiten, wurde auch von vielen Niederländern, so Alart du Hameel, getragen, die Bosch in ihrem druckgraphischen Werk rezipierten; schöne Blätter sind zu sehen. Erwähnt sei vor allem Francisco de Goya aus einer Welt, die ähnlich der Zeit Boschs »von den Geburtswehen einer neuen Gesellschaftsordnung durchkrampft wurde«. Das betonte Francis Donald Klingender in »Goya«, übersetzt von Eva Schumann; und er zitierte Goyas Bekräftigung von Boschs Maxime: Ein Künstler darf sich auch »in Formen oder Bewegungen ausdrücken, die nur in der Einbildung bestanden haben«. Die Radierung »Der Schlaf der Vernunft bringt Ungeheuer hervor« (Caprichos Nr. 43) von Goya belegt das und spannt den Ausstellungsbogen bis ins 19. Jahrhundert.

 

Bosch war der Lieblingsmaler des Habsburgers Philipp II., des Erzfeindes der flämischen Revolution und »des Schwertträgers der Gegenreformation«, wie Klingender schreibt. Der spanische König wollte mit dem Erwerb der Gemälde »die geistige Weltherrschaft« gegen die Bürgerlichen begründen. Doch Bosch ist durch seinen Einfluss auf den Bauern- und Bettlermaler Brueghel, der noch mehr die Sache des Volkes vertrat, mit der flämischen Revolution verbunden, mit seiner Kritik an den menschlichen Torheiten ganz auf Seiten des Volkes und gegen das weltliche Streben der Kirche. Folglich wurde Bosch später von der Habsburger Herrschaft als Maler von Teufelsspuk und als Ketzer bekämpft.

 

Im Zentrum der Präsentation steht Boschs doppelseitig auf Eichenholz gemaltes Original-Gemälde von 1500. Auf der Rückseite umkreist die Passionsgeschichte den die Jungen nährenden Pelikan. Vorn sieht man »Johannes auf Patmos«, den Bosch von Martin Schongauer entlehnt hat. Dem Propheten erscheint die apokalyptische Madonna, die Gottesmutter mit Christus. Deren himmlische Predigt vermittelt ein blauer Engel. Wie die Vision der Offenbarung schauspielerisch mit dem großartigen Wolfram Koch dargestellt wird, zeigt in der Berliner Volksbühne das empfehlenswerte Stück »Apokalypse (nach der Offenbarung des Johannes)«.

 

Hingewiesen sei auf zwei Kopien, die entstanden, weil der Auftraggeber sie haben wollte, und wegen des Reizes, die phantastischen Formen Boschs nachzumalen und daraus zu lernen. Das von Lucas Cranach d. Ä. um 1520/25 geschaffene Weltgerichts-Triptychon, nach dem sich heute in der Wiener Kunstakademie befindlichem Original nach genauestem Studium gemalt, bleibt, wie es in der Bildinformation heißt, »die einzige bekannte Kopie nach Hieronymus Bosch, die zweifelsfrei einem bedeutenden Künstler zuzuschreiben ist«. Ein dramatisches Schicksal erlebte das als Original gekaufte Triptychon »Versuchung des heiligen Antonius«, denn es wurde zwanzig Jahre später von Wilhelm von Bode als Kopie erkannt, aus den Ausstellungräumen genommen und dazu verdammt, im Depot in einen schlechten Zustand zu geraten. Die Restaurierung dauerte lange und bezeugt den nunmehrigen Respekt vor der malerischen Leistung eines Künstlers, der nicht mit der Aura »Bosch« aufwarten kann.

 

Boschs phantastische Bildwelt zeigt die Wirklichkeit, deren dämonische Erscheinung unheimlich ist, wahrheitsgetreu. Mit rationaler Verstandesschärfe sind Boschs Bilder nicht zu analysieren. Die radikale Kritik Boschs an der Kirche und Gesellschaft forderte alle späteren kritischen und phantasievollen Menschen auf, seine einzigartige, rätselhafte, phantastische Bildhaftigkeit auf aktuelles Geschehen zu beziehen. Im brennend aktuellen Sinne wollte der Dichter Johannes R. Becher (1891–1958) für uns Heutige in einem Gedicht zu Bosch dessen Wirkung herbeirufen: »Wann ruft die Glocke, die den Menschen weckt / Aus seiner Hölle? Weckt sie nicht zu spät?!«

 

»Hieronymus Bosch und seine Bilderwelt im 16. und 17. Jahrhundert«, Gemäldegalerie, Kulturforum Berlin, Matthäikirchplatz, bis 19. Februar 2017; Di., Mi. und Fr. 10 bis 18 Uhr, Do. 10 bis 20 Uhr, Sa./So. 11 bis 18 Uhr.