Gefragt nach der Ursache für das rapide Ansteigen der Staatsschulden, antwortete der schwergewichtige stellvertretende Ministerpräsident Theodoros Pangalos auf dem ersten Höhepunkt der Krise 2010 im griechischen Parlament: »Das haben wir alle gemeinsame verfressen.« Die Bild-Zeitung wusste es freilich besser, das große Fressen stand erst noch bevor. So verkündete das Blatt das offene Geheimnis der Griechenland-Rettung: »Verkauft doch eure Inseln, ihr Pleite-Griechen ... und die Akropolis gleich mit.« Zur ständigen Begleitmusik gehört seitdem die Behauptung, die Privatisierungen öffentlichen Eigentums würden zum Abbau der Staatsschulden beitragen. Faktisch verhält es sich entgegengesetzt: Mit der aus der staatlichen Verschuldung resultierenden Zwangslage wird der Verkauf öffentlichen Eigentums durchgesetzt. Denn bis 2010 waren die Privatisierungen mit Ausnahme der Telekommunikationsgesellschaft und der Olympic Airways am Widerstand der Beschäftigten gescheitert. Dass die Erlöse aus den seitherigen Privatisierungen dem Anwachsen der Staatsschulden entgegengewirkt hätten, hat sich bisher niemand ernsthaft getraut zu behaupten.
Bisher war es kein Problem, dass im Zuge der von den Gläubigern auferlegten Programme die Staatsverschuldung kontinuierlich sowohl relativ zum Bruttoinlandsprodukt als auch in absoluten Zahlen auf 185 Prozent beziehungsweise 326 Milliarden Euro Ende 2016 angestiegen ist. Von den ursprünglich 50 Milliarden Euro, die durch die Privatisierung staatlichen Eigentums erzielt werden sollten, ist schon lange keine Rede mehr. Das Ergebnis der nach dem Vorbild der deutschen Treuhand AG gegründeten griechischen Privatisierungsfirma TAIPED, soviel ist jetzt schon klar, wird ähnlich desaströse Ausmaße annehmen wie das Wirken der Treuhand in der ehemaligen DDR: Das öffentliche Eigentum ist futsch, dafür verbleibt ein Haufen Schulden bei der öffentlichen Hand.
Exemplarisch für das Vorgehen der TAIPED, deren Mitarbeiter qua Gesetz vor jeglicher Strafverfolgung im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit geschützt sind, ist die Privatisierung von 14 griechischen Regionalflughäfen, darunter der Flughafen der zweitgrößten griechischen Stadt Thessaloniki. Den Zuschlag bei dem Geschäft hat mit der Fraport eine Gesellschaft bekommen, die überwiegend in öffentlichem Besitz ist. Zu ihren Anteilseignern gehören neben der Stadt Frankfurt das Land Hessen und die Lufthansa. Die bisher bekanntgewordenen Bedingungen des Deals haben es in sich. Im Überlassungsvertrag werden dem griechischen Staat eine Reihe von Kosten aufgebürdet, während die Fraport von der Immobiliensteuer und anderen Abgaben befreit worden ist. So trägt die griechische Republik im Falle von Arbeitsunfällen die Folgekosten, ebenso die Ausfälle, die durch die Insolvenz von Pächtern entstehen – das betrifft Cafés, Geschäfte oder Autovermietungen. Zudem gehen etwaige Schulden und Bankkredite des Unternehmens bei Pachtende an den griechischen Staat über. Ebenso soll der Staat entlassene Mitarbeiter der bislang öffentlichen Unternehmen entschädigen, wenn Fraport sie nicht mehr braucht. Zahlungspflichtig ist die griechische öffentliche Hand auch bei Streiks, Planungskosten, Umbauten, Reparaturen und der Instandhaltung von Anlagen. Zudem bleibt der Staat für die Flughafen-Feuerwehren zuständig. Bereits jetzt ist ein Verfahren anhängig, da aus Fraport-Sicht Griechenland über 74 Millionen Euro für Reparaturen von Anlagen zahlen soll, die beim Kauf in einem »nicht ordnungsgemäßen Zustand« waren.
Für die Arbeitsverhältnisse hat die Privatisierung weitreichende Folgen. Das Bodenpersonal ist bereits an Subunternehmen ausgelagert worden. Diese vergeben nur befristete Jobs, da die Fraport mit ihnen nur kurzfristige Verträge abschließt. Die monatliche Entlohnung beträgt rund 400 Euro – ein Betrag, von dem man in Griechenland nicht leben kann. Die Fraport kann außerdem Menschen aus Nicht-EU-Staaten, zum Beispiel Flüchtlinge ohne Aufenthaltstitel, einstellen. Das wäre keineswegs abwegig, da bereits eine gesetzliche Regelung besteht, in den Lagern eingesperrte Flüchtlinge als Arbeitskräfte heranzuziehen.
Ein zentrales Argument, das immer wieder für die Privatisierung ins Feld geführt wird, lautet, dass dem griechischen Staat die Mittel für die notwendigen Investitionen zur Erneuerung der Infrastruktur fehlen. Durch die Veräußerung beziehungsweise Verpachtung kämen Gelder in die Staatskasse und zusätzliche Investitionen ins Land. Die öffentlichen Unternehmen werden jedoch weit unter Wert verkauft. Das gilt auch für die Regionalflughäfen, die für 1,23 Milliarden Euro an die Fraport gegangen sind. Angesichts der Bedeutung der Flughäfen für den Tourismus – dazu gehören Rhodos, Santorini, Korfu und Mykonos – ist der Preis für die 40-jährige Verpachtung ein schlechter Witz. Zwar kommen noch jährliche Konzessionsgebühren in Höhe von 23 Millionen Euro und Gewinnabgaben hinzu, aber die ausfallenden Gewinne machen diese Summen bei weitem nicht wett. Zudem wandert die Pachtsumme laut Kreditvertrag vom Sommer 2015 komplett in die Tilgung der Staatsschulden. Im Übrigen stammen 30 Prozent der Summe aus Krediten griechischer Banken, die bereits mehrfach mit Steuermitteln rekapitalisiert worden sind. Von einem Kapitalzufluss durch einen Investor kann also keine Rede sein.
Betrachtet man die zum Verkauf stehenden oder bereits privatisierten öffentlichen Unternehmen, so handelt es sich durchgehend um äußerst profitable Infrastrukturmonopole: Versorgungsunternehmen (Strom, Wasser, Gas), Verkehr (Luftfahrt, Häfen, Flughäfen, Autobahnen, Eisenbahn, Nahverkehr), Glücksspiel und Telekommunikation. Dabei kommen vor allem staatliche oder ehemals staatliche Unternehmen zum Zuge: Neben der Deutschen Telekom die chinesische COSCO, die sich den Hafen von Piräus gesichert hat, oder die italienische Staatsbahn Ferrovie dello Stato Italiane (FSI), die 2017 die ehemalige griechischen Staatsbahn OSE gekauft hat. Durchgehend werden die Unternehmen dabei unter Wert veräußert. So war die OSE zunächst für 300 Millionen Euro angeboten worden, die FSI erwarb sie für 45 Millionen Euro, wobei Altschulden in Höhe von 700 Millionen Euro von der griechischen öffentlichen Hand getragen werden. Die Privatisierungsverfahren sind durchgehend dubios – bis zum offenen Rechtsbruch – und münden regelmäßig in äußerst fragwürdige Vertragswerke. Symptomatisch dafür ist der Straferlass per Gesetz in Höhe von 38 Millionen Euro zugunsten des griechisch-russischen Geschäftsmanns Ivan Savvidis, der wegen Zigarettenschmuggel gegen eine von ihm gekaufte Firma verhängt worden war. Savvidis, der auch Besitzer des Fußballclubs PAOK Saloniki ist und über diverse Medienbeteiligungen verfügt, hat Teile der Hafengesellschaft von Saloniki gekauft.
Besonders heikel ist die Privatisierung der öffentlichen Wasserversorgung. In ganz Europa, etwa in Paris oder Berlin, ist die Wasserversorgung aufgrund der schlechten Erfahrungen mit privaten Betreibern wieder in kommunale Hände übernommen worden. Entgegen diesem Trend erzwingt die Troika in Griechenland das Gegenteil, und zwar gegen den ausdrücklichen Willen der Betroffenen. In Thessaloniki hat 2014 bei einem Referendum, das die damalige Regierung mit allen Mitteln zu verhindern suchte, eine breite Mehrheit gegen die Privatisierung der Wasserversorgung gestimmt.
Nach wie vor wird die Refinanzierung des Schuldendienstes über Steuern und Abgaben, Renten- und Gehaltskürzungen von der breiten Masse der Bevölkerung getragen. Auch der verschleppte und geleugnete (Staats-)Bankrott ist und bleibt ein florierendes Geschäft, erzwungen von den Gläubigern und politisch vollstreckt vom griechischen Staat und der ihn regierenden ehemals sozialistischen Syriza. Der Verkauf öffentlichen Eigentums ist ein Teil dieser Kapitalakkumulation durch Enteignung. Der Prozess hat freilich irgendwann ein Ende, da die griechische Ökonomie sich trotz einer vorübergehenden Stabilisierung insgesamt nach wie vor auf niedrigem Niveau in einer deflationären Abwärtsbewegung befindet. Da die private Verschuldung aufgrund sinkender Einkommen und steigender Steuern stetig zunimmt, ist die Frage der Zwangsversteigerungen von Wohnungen neben den Privatisierungen zu einem zentralen Konfliktthema geworden. Nur wenn diese Enteignungen politisch durchgesetzt werden, bleiben Staat und Banken zahlungsfähig – und das ist die Voraussetzung für den Erfolg der Griechenland-»Rettung«.