erstellt mit easyCMS
Titel219

Aufschrei im Vorhof der Hölle  (Rainer Butenschön)

Oberhalb der Mosel bei Cochem liegt idyllisch im Grün der Eifel einer der Vorhöfe der Hölle. »Vorsicht Schusswaffengebrauch!«-Schilder weisen ihn als Militärgelände aus, als Fliegerhorst Büchel, Basis des Jagdbombergeschwaders 33, das die Bundesluftwaffe vor gut fünf Jahren in »Taktisches Luftwaffengeschwader 33« umbenannt hat. Dessen Piloten donnern dort tagtäglich in ihren Tornado-Jets über den Himmel. Sie fliegen für den nächsten Krieg, üben den Abwurf von amerikanischen Atombomben, die in Büchel lagern.

 

Auf dem Stützpunkt werden die letzten 20 dieser in Deutschland verbliebenen US-Massenvernichtungswaffen für den Krieg bereitgehalten und angeblich streng bewacht. Doch der ausgewiesene Friedenstäter (s. Ossietzky 8/2018) und Ossietzky-Autor Gerd Büntzly (69) hat wenig Mühe, als er dort in der Nacht des 16. Juli 2017 zusammen mit den vier US-Friedensaktivisten Susan Crane, Bonnie Urfer, Stephen Baggery und John LaForge in die Militärbasis eindringt. Sie schieben zwei Zaunelemente zur Seite, Büntzly durchtrennt mit einem Seitenschneider zwei Maschendrahtzäune, und schon spazieren die fünf unbemerkt zum Flugplatzbereich C 3, unter dessen begrünten Hügeln die nuklearen Höllenfeuer schlummern. Im Fall ihrer Zündung würden die Waffen insgesamt 80-mal gewaltiger sein, als der radioaktive Feuersturm, in dem 1945 Hiroshima verglühte. Eine Stunde verweilen die Aktivisten auf einem der Atombunker. Erst als sie dessen Stahltor mit der Parole »Disarm!« (Abrüsten!) verzieren, werden sie von Bewegungsmeldern erfasst und von Soldaten und Polizei vorübergehend festgesetzt. Der aus dem Bett geklingelte Kommandant, Oberstleutnant Schlemmer, erstattet Anzeige wegen Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung. Das Amtsgericht Cochem aber klagt allein Gerd Büntzly an und verurteilt ihn zu einer Geldstrafe, Übernahme der Gerichtskosten und 1000 Euro Schadenersatz für den zerschnittenen Draht.

 

Unbehelligt lässt die deutsche Justiz die vier US-Bürger, die für ähnliche Aktionen zivilen Ungehorsams in den USA zusammengenommen bereits 19 Jahre hinter Gittern von US-Gefängnissen zugebracht haben. Es werde wohl schwierig, die vier postalisch zu erreichen, habe die Staatsanwaltschaft mündlich verlauten lassen, erklärt die Kampagne »Büchel atomwaffenfrei«, zu der sich 60 Gruppen der Friedensbewegung zusammengeschlossen haben, die seit Jahren dort gegen den Atomtod demonstrieren.

 

Obwohl die vier US-Friedenstäter am 25. Juli 2018 ihre ladungsfähigen Adressen bei der Staatsanwaltschaft in Koblenz persönlich abgeben, eröffnet die deutsche Justiz kein Verfahren gegen sie: »Die US-Regierung bricht mit den Atombomben in Büchel genauso wie die deutsche Regierung den Atomwaffensperrvertrag, in dem sie sich verpflichtet haben, keinem Nicht-Atomwaffenstaat – dazu zählt Deutschland – Atombomben zu überlassen!«, erläutert John LaForge seine Motive, den Fliegerhorst unerlaubt zu betreten. Susan Crane ergänzt: »Wir alle haben die Aktion mit dem Ziel durchgeführt, auch gerichtlich das internationale Recht hier zur Geltung kommen zu lassen. Die Staatsanwaltschaft scheint internationale Verwicklungen mit den USA hierüber zu scheuen.«

 

Büntzly versteht sein »Go in« in Büchel als einen »Aufschrei«: Er habe es satt, und er fühle sich persönlich verantwortlich, »wenn in [s]einer unmittelbaren Umgebung die Vernichtung der Menschheit geplant« werde. Wenn die Politik behaupte, wir alle müssten mit der Bombe leben, dann weigere er sich, »diesen Gang in den Selbstmord mitzumachen«.

 

»Ich muss noch lange durchhalten«, seufzt er am 16. Januar dieses Jahres am Rande seiner Berufungsverhandlung im Landgericht Koblenz. Büntzly ist entschlossen, durch alle Instanzen zu gehen, in der Hoffnung, dass das Bundesverfassungsgericht oder spätestens der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Regierung auf die Einhaltung des Völkerrechts verpflichtet, das laut Artikel 25 Grundgesetz in Deutschland unmittelbar gilt und Einsatz sowie Lagerung von Massenvernichtungswaffen verbietet.

 

So verweist er vor dem Landgericht auf den auch von Deutschland ratifizierten Atomwaffensperrvertrag und auf den noch nicht in Kraft getretenen Internationalen Vertrag zum Verbot aller Atomwaffen, dem beizutreten, die Bundesregierung sich weigert. Und er argumentiert mit dem Gutachten des früheren irischen Außenministers und Friedensnobelpreisträgers Seán MacBride für die UNO, das, so Büntzly, »juristisch bereits die Existenz von Atomwaffen als Verbrechen an der Menschheit qualifiziert«. Denn, so der Kern vieler völkerrechtlicher Bestimmungen, um die Zivilbevölkerung zu schützen, sei nicht jede Waffe erlaubt. »MacBride erwähnt alle Verbote von Massenvernichtungswaffen und von Giftgas, die es seit dem Ersten Weltkrieg gibt«, sagt Büntzly und betont: »Er schließt Atomwaffen in dieses Verbot ein: Was gibt es Giftigeres als Radioaktivität?« fragt er das Landgericht.

 

Das aber ignoriert völkerrechtliche Argumente und lehnt wie das Amtsgericht Cochem alle entsprechenden Beweisanträge ab. Zwar senkt es die gegen Büntzly verhängte Geldstrafe auf 25 Tagessätze – mit 40 Tagessätzen à 30 Euro war die Strafe zuvor im Vergleich zu dessen kleiner Rente recht hoch ausgefallen – aber ansonsten bestätigt das Landgericht das Urteil der ersten Instanz: Wer wie Büntzly unerlaubt irgendwo eindringe und Zäune zerschneide, begehe eine Straftat, er könne sich auch bei einer Atomwaffenbasis nicht auf einen rechtfertigenden Notstand berufen. Abgelehnt wird auch Büntzlys Forderung, sein Verfahren dem Bundesverfassungsgericht (BVG) zur Prüfung vorzulegen. Es gehe allein um Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch, meint der Vorsitzende Richter Martin Junker, das seien keine Angelegenheiten für das BVG. Im Übrigen könne Büntzly ja mit erlaubten Mitteln gegen die Atomwaffen opponieren.

 

Die stehen weiter im Fokus der Friedensbewegung. Am 2. Februar berät die Kampagne »Büchel atomwaffenfrei« in Mainz, wie die 20 Bomben in der Eifel ab 26. März erneut für 20 Wochen belagert werden können. Ob John LaForge und Susan Crane dann dort erneut Zeichen für Abrüstung setzen können, ist fraglich. Beide waren zu Büntzlys Berufungsverfahren nach Koblenz gereist, um als Zeugen auszusagen, worauf das Landgericht verzichtet hat.

 

Dennoch haben die Behörden sie beachtet: Kurz nach ihrer Einreise hat die Polizei bei ihrer Gastgeberin in Hamburg geklingelt, der Sprecherin der Kampagne »Büchel atomwaffenfrei« und Ossietzky-Autorin, Marion Küpker, um den US-Friedenstätern eine Aufenthaltsverbotsverfügung zu überreichen. Vorerst bis zum 25. Januar dürfen sie das Gelände am und im Büchler Vorhof der Hölle nicht betreten.

 

Spenden zur Unterstützung des verurteilten Friedenstäters Büntzly bitte auf das Konto der Internationalen Ärzte zur Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) überweisen: IBAN: DE39 1002 0500 0002 2222 10, BIC: BFSWDE33BER, Verwendungszweck: Rechtshilfe/Gerd Büntzly. Infos über die 2019 geplanten Aktionen in Büchel unter www.atomwaffenfrei.de.